Holly Brickley: Deep Cuts

  • Unterhaltsame Mischung aus Coming-of-Age, Lovestory und einer Essaysammlung über Popsongs


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    An einem Freitagabend rund um den Jahrtausendwechsel trifft die Englisch-Studentin Percy Marks in einer Bar in Berkeley, Kalifornien, den jungen Musiker Joe Morrow und diskutiert mit ihm über den (gewaltigen!) Unterschied zwischen genialen Songs und genialen Albumtracks. Sie beide lieben Musik – er, weil er sie macht und das auch noch recht gut kann (und sonst eigentlich nichts), und sie liebt vor allem Songs – besonders solche gelungenen, fast genialen, aber nicht unbedingt populären Songs, die sich zuweilen auf Alben zwischen den Ohrwürmern und dem Füllmaterial finden, so genannte „Deep Cuts“. Aber der Begriff, der zum Romantitel wurde, ist natürlich auch eine Metapher. Denn das Buch ist in erster Linie ein fast schon klassischer Liebes- und Entwicklungsroman.


    Joe ist nämlich mit Zoe zusammen, und Percy, deren sexuelle Bewusstwerdung sich viel schleppender entwickelt als ihr Verhältnis zur Musik, ist sich auch nicht sicher, ob sie ihn (oder auch Männer im Allgemeinen) wirklich attraktiv findet, weshalb eine originelle Dreierfreundschaft entsteht, und ganz nebenher eine Zusammenarbeit, denn Percy hat aus ihrer Leidenschaft für großartige Popsongs eine Art Superkraft entwickelt: Sie kann zwar selbst nur laienhaft Musik machen, und sie kann zwar sehr gut schreiben, ist aber auch keine Songtexterin, doch sie kann den Finger genau auf die Probleme legen, die ein Song hat, der im Werden ist, und sie kann sogar Lösungen anbieten. Deshalb wird sie zur treibenden Kraft dafür, dass Joe mit seiner inzwischen gegründeten Band „Caroline“ zu einer brauch- und hörbaren Setlist kommt. Sie arbeitet mit ihm an Songs und Songtexten, und hilft ihm, aus recht Gutem etwas richtig Gutes zu formen. Und natürlich kommen sich die beiden dabei näher.


    „Deep Cuts“ umspannt knapp zehn Jahre und begleitet Percy auf ihrem originellen Weg, und er begleitet Percy und Joe bei ihrem doch recht komplexen Verhältnis, das zwischen den Extremen hin- und herpendelt, zuweilen aber auch vollständig abwesend zu sein scheint, weil die Leben der beiden getrennt voneinander stattfinden, und das außerdem einer Reihe von Einflüssen ausgesetzt ist. Dazu gehört auch der Neid auf Joes Erfolg, zumal dieser mindestens teilweise auf Percys Arbeit basiert, die Joe seinerseits lange Zeit nicht angemessen zu würdigen scheint.

    Der Roman beackert aber auch eine Reihe weiterer Themen, oft ausgehend von der (Indie-)Musik als Taktgeberin. Es geht um Rollen und Identität, um den Wertewandel in der Welt, um Feminismus und das Patriarchat – das das Musikbusiness jahrzehntelang beherrscht hat, was in vielen Bereichen noch immer so ist –, es geht um Freundschaft, Ehrlichkeit, Selbstfindung und immer wieder um geniale Songs (zumindest aus Percys Sicht – manch einem Urteil würde ich persönlich eher nicht folgen, aber das ist letztlich irrelevant), deren Aufbau und Wirkung Holly Brickley auf wirklich bemerkenswerte Weise analysiert und erklärt. Überhaupt ist „Deep Cuts“ trotz der vordergründigen Seichtheit des Plots ein kluges, wissensreiches, manchmal sogar rasantes und durchaus anspruchsvolles Buch, dessen Lektüre großen Spaß macht, auch wenn die zitierten Blog- und Zeitungsbeiträge, aber auch einige Abhandlungen über Songs in die Nähe von Füllmaterial kommen.


    ASIN/ISBN: 342328479X