E.M. Forster: Auf der Suche nach Indien - Teil I der Rezension

  • Teil I der Rezension


    Bei der näheren Untersuchung von E.M. Forsters 1924 erschienenem Roman „A Passage to India“ – so der Originaltitel – kann man dreierlei Schnitte vornehmen, den zeitgeschichtlich-gesellschaftskritischen, den individualpsychologischen und den, der die Haltung des Autors zum Stoff in den Blick nimmt, soweit sie sich im Text offenbart - oder verbirgt.


    Die Story zuerst: Die junge Adela Quested reist von England nach der fiktiven indischen Stadt Tschandrapur, um herausfinden, ob sie den Richter Heaslop heiraten und auf Dauer in Indien leben will. Die beiden sind befreundet und noch nicht verlobt. Miss Quested wird begleitet von Mrs. Moore, der Mutter Heaslops. Beide bemühen sich, das Land und seine Menschen näher kennenzulernen. Dabei freunden sie sich mit dem jungen muslimischen Arzt Aziz und dem englischen Schulleiter Fielding an. Eine von Aziz geplante Landpartie entgleist. Adela beschuldigt Aziz zu Unrecht sexueller Nötigung, nimmt es später im Prozess zurück. Die öffentliche Ordnung ist infolgedessen monatelang gestört. Am Ende verlassen alle Hauptpersonen die Stadt oder Indien überhaupt.


    Der Romananfang stellt zunächst wie ein Streiflicht die alte indische Stadt und die neue britische Beamtensiedlung vor, einschließlich der Perspektiven, die man von dort jeweils auf die umgebende Welt hat. Es sind schon äußerlich zwei unvereinbare Milieus und Weltsichten. In den folgenden Kapiteln lesen wir, was Inder über die Briten im Land und diese Angloinder über die indigene Bevölkerung sagen. Schlechte Erfahrungen und Vorurteile beherrschen die Meinungsbilder. Dementsprechend wird die zu Ehren von Adela und Mrs. Moore vom britischen Verwaltungschef der Stadt organisierte gemischte Abendgesellschaft ein Fiasko. Anschließende Manöverkritik vertieft die Voreingenommenheit auf beiden Seiten. Deutlich wird jetzt auch die Kluft zwischen hinduistischen und muslimischen Indern.


    Der missglückte Besuch der Grotten von Malabar und die Anklage gegen Aziz lösen Unruhen in der Stadt aus. Massenhysterie fordert von allen: Die Reihen schließen. Der Schulleiter Fielding verweigert sich dem und ergreift Partei für die sich ins Unrecht gesetzt sehende indische Seite. Die Gerichtsverhandlung gegen Aziz offenbart sehr krass die rassistische Einstellung der Kolonialherren. Aziz` unerwarteter Freispruch führt zunächst zu verschärfter Konfrontation. Adela wird Heaslop nicht heiraten. Die abschließenden Kapitel spielen in einem der nominell selbständigen, doch unter britischer Oberaufsicht stehenden Fürstenstaaten, in dem Aziz jetzt lebt. Ein tagelanges religiöses Fest der dominierenden Hindus verdeutlicht die scharfe Trennung der drei Kulturen voneinander.


    Soweit wäre das ein farbiger, spannend zu lesender Thesenroman. Doch Forster will mehr erreichen und gestaltet Figuren, ihr Innenleben, ihr Verhältnis zueinander und zur Gesellschaft ihrer Zeit. Es wird zwischenmenschlich via Erotik und Bildungshorizont. Der junge Arzt Aziz ist mit Sympathie und einfühlsamem Spott gezeichnet. Er ist schon Witwer und hat drei kleine Kinder. Die Ehe war arrangiert worden, er pflegt die Erinnerung an die Tote. Der Schulleiter Fielding ist im gleichen Alter wie der Autor Forster, der Indien bereist hat und vor Niederschrift des Romans dort selbst eine Zeitlang beruflich tätig gewesen ist. Fielding teilt unter anderem Forsters antikolonialistische Einstellung. Beide sind als Mittvierziger noch unverheiratet. Fielding will, wie er sagt, lieber Gedanken als Kinder hinterlassen. Aziz und Fielding werden Freunde und sich einander im Verlauf der Handlung doch wieder fremd.


    Adela Quested ist guten Willens, emotional unsicher und zeitweise tief verwirrt. Ihre Grundeinstellung gegenüber Indien und seiner eingeborenen Bevölkerung kommt der Fieldings nahe. Obwohl sie insoweit mit Heaslop nicht harmoniert, verlobt sie sich mit ihm. Das ist die spontane Folge eines gemeinsam erlebten Verkehrsunfalls und als solche eben auch ein Missgeschick. Infolge des verstörenden Grottenbesuchs wird sie vorübergehend zur lokalen Galionsfigur einer antiindischen Kampagne. Nach ihrer Kehrtwende in der Gerichtsverhandlung schließt sie sich wieder dem gegnerischen Lager an, löst die Verlobung und kehrt bald nach England zurück.


    Vor ihr ist schon Mrs. Moore abgereist. Auch sie versteht sich in politischen und interkulturellen Fragen mit Adela, Fielding und Aziz besser als mit ihrem eigenen Sohn. Im Roman ist ihr Bild das berührendste Frauenporträt, gerade auch durch ihren nach dem Malabar-Ausflug rasch zunehmenden Verfall. Sie stirbt bald nach der Einschiffung in Bombay. Ihr Sohn ist infolge des knappen Raums, den er in der Darstellung einnimmt, nur eine von vielen Nebenfiguren. Deren Fülle rundet erst das Bild farbig-authentischen Lebens ab: Indien um 1920, wie es die drückende Kolonialherrschaft abzustreifen beginnt.


    (Forsetzung folgt)





    ASIN/ISBN: 359625308X