Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

  • Der große israelische Romancier legt mit diesem wirklich dicken Buch eine Art Biographie vor, bleibt aber fiktional. Die Geschichte der eigenen Familie ist dicht verwoben mit der Geschichte Israels, beginnend am Ende des neunzehnten Jahrhunderts bis zum späten zwanzigsten.


    Oz erzählt hauptsächlich davon, was Israel ist und was es bedeutet, auch davon, was es bedeutet, daß dieses Land existiert und wie es ist, ein Mensch in Israel zu sein, damals wie heute. Insofern ist „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ ein sehr nahes Zeugnis eines sehr wichtigen Teils der jüngeren Vergangenheit, die längst nicht abgeschlossen ist. Es vermittelt viel Verständnis für die Situation und die Lebenssicht der Israelis, der Diaspora-Juden, der israelischen Kultur und für die Position des Landes in der Welt und seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Der Eindruck, der entsteht, ist der eines fortwährenden Kampfes, der philosophischer Natur ist, aber auch sehr handgreifliche Komponenten hat, wenn man so will.


    Das Buch ist allerdings weniger ein Roman als vielmehr eine Aneinanderreihung von zuweilen sehr weitschweifigen Episoden, vermischt mit essayistischen Abhandlungen etwa darüber, was ein „guter“ und was ein „schlechter“ Leser ist – Oz schreibt viel über das Lesen und das Schreiben, über das Dasein als Schriftsteller und dessen Bedeutung.


    Ich habe mit sehr viel Interesse angefangen, weil ich Oz’ vorherige Bücher mit großem Vergnügen und großem Respekt gelesen habe, aber ausgerechnet dieses, das dichteste von allen, wenn man so will, verlangt dem Leser außerordentliche Konzentration und großen Durchhaltewillen ab. Die Detailverliebtheit und Genauigkeit des Erzählens machen es zu einer streckenweise recht quälenden Lektüre, bis hin zur Ermüdung. Die vielen Wiederholungen, akribischen Beschreibungen und eher lapidaren Episoden lassen echtes Lesevergnügen kaum aufkommen, aber das mag immanent und beabsichtigt sein.


    Fazit: Ein faszinierendes und lehrreiches Buch, aber ein eher trockener und manchmal recht langatmiger Roman.

  • Zitat

    Original von Tom
    ausgerechnet dieses, das dichteste von allen, wenn man so will, verlangt dem Leser außerordentliche Konzentration und großen Durchhaltewillen ab. Die Detailverliebtheit und Genauigkeit des Erzählens machen es zu einer streckenweise recht quälenden Lektüre, bis hin zur Ermüdung. Die vielen Wiederholungen, akribischen Beschreibungen und eher lapidaren Episoden lassen echtes Lesevergnügen kaum aufkommen, aber das mag immanent und beabsichtigt sein.


    Fazit: Ein faszinierendes und lehrreiches Buch, aber ein eher trockener und manchmal recht langatmiger Roman.


    Ich habe im Urlaub die TB Ausgabe gelsesen 800 something Seiten und dafür eine Woche Urlaub ist für mich der schlagende Gegenbeweis der auf dem Cover stehenden Rezension der Süddeutschen Zeitung :


    "Vor diesem Buch muß gewarnt werden. Es hat 830 Seiten, und man wird, ehe man es gelesen hat, seien gewohnten Tagesablauf ändern müssen, sich krank melden oder nächtens lesen."


    Ganz davon ab, das nächtens lesen zu meinem üblichen Tagesablauf gehört, dieses insgesamt sehr lesenswerte Buch braucht Pausen- die Geschichten in der Geschichte müssen sich setzen, die Reflexionen müssen reflektiert werden.


    lapidar. la|pi|dar : knapp [formuliert], ohne weitere Erläuterungen, kurz u. bündig. Meint der Duden, also das Genteil von recht langatmig, meiner Ansicht nach stimmt detailverliebt und beabsichtigte Wiederholungen.


    Die Romanbiographie (so wurde ich das Buch einordnen) schlägt den Bogen vom polnischen jüdischen Leben Ende des 19.Jahrhunderts im Stedl über die Flucht in den 30ern bis ins Israel der Gründungszeit mit Ausblicken in die heutige Zeit. Ein in sich verwobener Strang der durch die Geschichte der Großeltern, der Elten, Onkels und Tanten und der Lebensgeschichte des ich-Erzählers gebildet wird und dadurch bei Perspektivüberschneidungen Wiederholungen zwingend notwendig macht. Der Autor setzt sich viel mit der Entwicklung des jüdischen Staates vor der Russlandeinwandererwelle und dem Gegensatz des leidenden und kämpfenden Judentums auseinander und mit den Quellen dieser Geisteshaltungen.


    Fazit: Arbeit die sich lohnt.

  • Hallo, Beowulf.


    Zitat

    lapidar. la|pi|dar : knapp [formuliert], ohne weitere Erläuterungen, kurz u. bündig. Meint der Duden, also das Genteil von recht langatmig


    Wow, da benutzt man jahrzehntelang ein Wort, und kurz vor der Einweisung in die Geriatrie erfährt man, es nicht sinngemäß (weil "nebensächlich" gemeint war) benutzt zu haben. Danke! :wave


    Ansonsten: Zustimm. Die Arbeit lohnt sich, aber es ist kein spannendes Buch im Sinne von Spannung erzeugend.

  • Ich fand es weder langatmig noch lapidar.
    Ich fand es eines der besten Bücher 2004.
    Autobiograhien können sehr langweilig sein, wenn stilistisch nichts geboten wird, besonders bei 765 Seiten (Hardcover-Ausgabe).
    Aber Amos Oz kann wirklich gut schreiben, so dass sich auch eine Biographie wie ein Roman liest. Man erfährt viel von (Amos Oz) Israel von seiner Gründung bis heute und von Amos Oz literarischer Entwicklung.
    Die Art, wie er über seine Verwandten und seine Zeitgenossen schreibt, besonders seine Eltern, wirkt sehr ehrlcih und daher sehr eindringlich. Für mich haben sie sehr real und menschlich gewirkt, gerade weil Amos Oz auch negatives, besonders den Selbstmord seiner Mutter, schildert.


    Interessant auch die Abschnitte über den israelischen Nobelpreisträger S.J.Agnon, über den Oz "Das Schweigen des Himmels" schrieb.


    Für mich ist "Die geschichte von Liebe und Finsternis" gleichwertig oder mehr zu seinen Romanen:
    Black Box, Ein perfekter Frieden, Mein Michael, Der dritte Zustand, Nenn die Nacht nicht Nacht und Eine Frau erkennen.


    Amos Oz ist mein persönlicher Favorit für den Literaturnobelpreis.

  • Ich höre im Augenblick das Hörbuch und es gefällt mir ziemlich gut.
    Das Buch werde ich mir zu 90% auch noch kaufen.

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

  • Dieses Buch hat mich gefangengenommen.


    Ganz und gar.


    Nach anfänglichen Schwierigkeiten über die ersten hundert Seiten haben wir uns sehr gut verstanden. Irgendwie. Denn das Buch ist schon ein wenig… gewichtig.


    Der Stil war für mich gewöhnungsbedürftig, aber dann sehr angenehm, viele Wiederholungen rufen vergangenes wieder wach (was bei über 800 Seiten durchaus positiv ist) und bewirken einen ruhigen, gleichmäßigen, herrlich langsamen Lesefluß.


    Mir hat es gut gefallen – unter der Bedingung, dass man sich durch die ersten Seiten wirklich kämpfen muss, um durchzuhalten, kann ich es nur empfehlen. Ein ruhiges Buch, das eine Familie beschreibt und mir dazu viele neue Erkenntnisse über den Staat Israel und seine Geschichte geliefert hat.

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Titel: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis
    Originaltitel: Ssipur al ahava we-choschech
    Autor: Amos Oz
    Verlag: Suhrkamp
    Erschienen: September 2007
    Seitenzahl: 830
    ISBN-10: 3518457888
    ISBN-13: 978-3518457887
    Preis: 12.00 EUR


    Es ist weitaus mehr als eine Geschichte von Liebe und Finsternis. Es ist ein unendlich ergreifendes und emotionales Buch, es ist ein Buch welches wohl niemanden kalt lässt. 830 Seiten intensives Leseerlebnis. Was will man mehr?
    Ist es jetzt eine autobiographischer Roman oder eine romanhafte Autobiographie? Die Antwort wird wohl in der Mitte liegen. Amos Oz lässt den Leser an seiner Kindheit und Jugend teilnehmen und eben auch an der Kindheit und Jugend des Staates Israel. Aus jeder Zeile spricht die Liebe des Amos Oz zum Staat Israel und aus jeder Zeile spricht auch sein großes Verständnis für die Sache der Palästinenser.


    Amos Oz schildert seine Kindheit und hier insbesondere seine Liebe zu seinen Eltern, zu seiner Mutter, die er bereits im Alter von zwölf Jahren verlor und eben auch die Liebe zu seinem Vater, dessen Begabungen und Talente immer ignoriert wurden und der nie die Stellung im Leben erreichte, die seinem Wissen und seinem Können angemessen gewesen wäre. Amos Oz sagt aber auch, dass er eben viele Gespräche mit seinem Vater nicht geführt hat, die er liebend gern geführt hätte und die für ihn sehr wichtig gewesen wären.


    Der Focus hat dieses Buch als „...ein ergreifendes und unvergessliches Epos...“ bezeichnet und trifft es damit punktgenau. Dieses Buch ist ergreifend, es wird der Leserin und dem Leser unter Garantie unvergesslich bleiben, wenn eben diese Leserin und dieser Leser sich nur ein klein wenig Sensibilität und Mitgefühl bewahrt haben.


    Man erfährt über das Werden des Staates Israel eine Menge Wissenswertes und man erfährt, was vielleicht sogar noch wichtiger ist, über das Leben der „normalen“ Menschen während dieser Zeit unendlich viel. Amos Oz ist ein Schriftsteller der wirklich etwas mitzuteilen hat und gerade dieses Buch dürfte sein persönlichstes Buch sein.


    Die 830 Seiten dieses Buches lesen sich wie im Flug – denn man kann es einfach nicht aus der Hand legen. Unbedingt lesenswert.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich habe das Buch vor einem halben Jahr gelesen und wunder mich grade, daß ich die Rezi anscheinend nur im Blog veröffentlicht habe. Darum hier nachträglich auch meine Meinung:


    Dieses Buch hat mich gefangengenommen.


    Ganz und gar.


    Nach anfänglichen Schwierigkeiten über die ersten hundert Seiten haben wir uns sehr gut verstanden. Irgendwie. Denn das Buch ist schon ein wenig… gewichtig.


    Der Stil war für mich gewöhnungsbedürftig, aber dann sehr angenehm, viele Wiederholungen rufen vergangenes wieder wach (was bei über 800 Seiten durchaus positiv ist) und bewirken einen ruhigen, gleichmäßigen, herrlich langsamen Lesefluß.


    Erzählt wird eine Geschichte von dem Jungen Amos, der in den Vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Jerusalem groß wird. Aber auch die Geschichte einer Familie, die als Juden im Europa des 20. Jahrhunderts wirklich eine Menge erleben und mitmachen musste.


    Mir hat es gut gefallen – unter der Bedingung, dass man sich durch die ersten Seiten wirklich kämpfen muss, um durchzuhalten, kann ich es nur empfehlen. Ein ruhiges Buch, das eine Familie beschreibt und mir dazu viele neue Erkenntnisse über den Staat Israel und seine Geschichte geliefert hat.


    Mein Prädikat: Geschichtlich wertvoll und menschlich historisch!

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein