'Ulysses' - 12 Kyklop - Kneipe

  • Also das hier ist ein richtig witziges Kapitel, ich musste mehrmals laut lachen, und zwar richtig! Köstlich! :lache


    Der Erzähler hier ist ein Schuldeneintreiber (ohne Namen?), der sich in der Kneipe mit einigen Bekannten trifft. Dabei wird mal dieses, mal jenes Thema angesprochen, aber fast immer auf eine teilweise sehr schwarzhumorige Weise, die mir richtig gut gefallen hat :grin :anbet


    Ein paar Stichworte, zu den skurrilsten/lustigsten Stellen:
    S. 413: Blooms Versuch, dem Jungen eine Alkohol-Lektion zu erteilen
    S. 416: die Uhren in den Taschen des Avvocato Pagamini nach dem Tumult
    S. 427: "Bericht" über die Versammlung


    Insgesamt kommt Bloom hier jedoch wieder nicht gut an, sein Wissen wird als Besserwisserei empfunden und ganz ehrlich, so angemessen ist die Art und Weise, wie er es vorträgt tatsächlich nicht. Ob er es nicht besser kann/weiß? Vermutlich.


    Der auch hier gegenwärtige Antisemitismus (z.B. S. 411) tut sein Übriges... Deutlicher als je zuvor hat man den Eindruck, er wird nie ECHTER Teil dieser Gesellschaft, auch wenn er sich als solcher sieht.


    Die Hinrichtungsszene S. 414ff ist wirklich makaber, aber wahrscheinlich gar nicht mal so weit von der Realität entfernt...


    Gut gefallen hat mir die Respektlosigkeit gegenüber den englischen/irischen Königen auf S. 447/8. Mit "Georg dem Kurfürsten" wird wohl Georg III. gemeint sein, mit der "Germanenlackel" entweder Georg IV. oder William IV., mit der "blähsüchtigen alten Vettel" Königin Victoria und mit "Edward der Friedensstifter" König Edward VII. :lache


    Noch einige Verständnisfragen:
    - Wer ist der ominöse Bürger?
    - Was hat es mit den Henkersbriefen auf sich? Sind es Geständnisse von Personen, die diesen "Beruf" mal ausgeübt haben? Und war das damals geheim um sie zu schützen?

  • So jetzt, nachdem ich dreimal rausgeflogen bin, hoffe ich, zur Abwechslung fest zu stehen (sch... Server!!)



    Ja, das Kapitel ist klasse. :lache


    'Bürger' (Citizen) hat keinen Namen, steht für den fanatischen, halbblinden (Cyklop-Polyphem-einäugig) irischen Patrioten an sich.



    Der Kurfürst George ist eigentlich ein Name für George I., mit dem die 'Kurfürsten' aus Hannover nach England 1714 kamen. Anti-welfische Engländer nannten den gleich so.
    George III. war wegen der Union mit Irland aber auch nicht immer beliebt.
    Der Germanenlackel ist 'the German Lad' und damit der Ehemann Victorias, Albert von Sachsen-Coburg-Gotha.
    Das waren auch in England durchaus gebräuchliche, wenn auch von den Hoheiten nicht gern gehörte Bezeichnungen. :grin


    Die Henkersbriefe sind die da
    Juniusbriefe


    Hab leider keine gescheite Erklärung auf deutsch gefunden.


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Ganz schön verwirrend finde ich die Personenvielfalt in der Kneipe:
    Der anonyme Schuldeneintreiber, Joe Hynes, der Bürger und sein Hund, der Barkeeper Terry O´Ryan, Alf Bergan, Bob Doran,
    Dann kommt Bloom dazu, der Martin Cunningham sucht.
    Dann kommen noch: Jack O´Molloy, Ned Lambert, John Wyse Nolan, Lenehan.



    Bei den üblen Kneipenplaudereien macht Bloom ein paar Sprüche, die ich ganz witzig finde.
    Zum Beispiel: Manche Leute können wohl den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den Balken im eigenen, den sehen sie nicht.
    Ich frage mich, ist das original Joyce oder ein geflügelter Satz, den Joyce nur aufgreift und Bloom in den Mund legt? Ich meine, diesen Satz schon mal gehört zu haben! :gruebel


    Jedenfalls versucht Bloom den üblen Patriotismus etwas entgegen zu setzen.


    Wie der Bürger sich dann aufführt, da ist mir fast das Buch aus der Hand gefallen.
    „Der Bürger sagt nichts, er räuspert sich bloß den Schleim aus der Gurgel und spuckt, weiß Gott, eine ganze Red-Bank-Auster davon direkt in die Ecke“
    Widerlich! Und eine ganz miese Reaktion auf Bloom! Der Bürger ist ein echter Antisemit! :fetch

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Bei den üblen Kneipenplaudereien macht Bloom ein paar Sprüche, die ich ganz witzig finde.
    Zum Beispiel: Manche Leute können wohl den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den Balken im eigenen, den sehen sie nicht.
    Ich frage mich, ist das original Joyce oder ein geflügelter Satz, den Joyce nur aufgreift und Bloom in den Mund legt? Ich meine, diesen Satz schon mal gehört zu haben! :gruebel


    Meines Wissens nach stammt er aus der Bibel, allerdings kann ich dir die genaue Stelle nicht angeben ;-) :wave

  • Matthäus 7, 3


    Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge


    Es ist die alte Luther-Übersetzung, das ist die, die ich im Regal habe.
    Für katholische (Joyce) resp. ökumenische <schauder> habe ich leider keine Vorlage.


    :wave

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    K. Kraus

  • Die witzigste Stelle war für mich ganz eindeutig die Sache mit dem Gebirgsginster (Ulex europeus). (S.400) :lache Ich hab mich ja nich mehr eingekriegt, oh mann! Die Aufzählung der "irischen Helden und Heldinnen des Altertums" war auch nicht ohne.


    Wie Bloom am Ende behandelt wird, hat mich echt traurig gemacht! :-( Ich fand es sehr ergreifend und auch erschreckend. Seufz. Er tut mir so leid!


    Der Ich-Erzähler taucht in diesem Kapitel das erste Mal auf? Irgendwie glaube ich das nicht so recht. Bestimmt ist sein Name schon mal gefallen. Aber ja, Namen sind so eine Sache... *Herr Palomar zustimm*


    Und an Bibelzitaten und umgewandelten Nacherzählungen bzw. Parodien von bekannten Bibelstellen mangelt es ja wirklich nicht. Joyce hat sich ja von der katholischen Kirche abgewandt, aber erledigt ist das Thema für ihn wohl ganz und gar nicht. Sind diese Stellen der Grund, warum das Buch so lange auf dem Index stand?

  • Zitat

    Original von Jeanne
    Joyce hat sich ja von der katholischen Kirche abgewandt, aber erledigt ist das Thema für ihn wohl ganz und gar nicht.


    Das denke ich auch.
    Der amerikanischen Literaturhistoriker Harry Levin sagte: "Joyce hat zwar seinen Glauben verloren, nicht aber seine Kategorien"


    Von Harry Levin stammt auch der Satz über Ulysses: a novel to end all novels

  • Ich bin wieder dabei und das war wirklich ein gutes Kapitel um weiterzulesen.
    Die Red Bank Auster wurde ja schon erwähnt, aber
    ich fand es auch sehr witzig, als er (ich) Pinkeln geht.


    Wo gehts hier eigentlich nach St. Privat ?
    ..zwo Pinten von Joe raus und eine von Slattery noch..
    .. Gott ich muß ja glatt ne ganze Galone intus haben...


    oder


    Förster, laß den Baum doch stehn.


    Und überhaupt die ganzen Aufzählungen, bei denen ich erst geneigt war diese quer zu lesen, waren meist sehr witzig.


    Was ich nicht so ganz verstanden habe, war das mit "Flugblatt", dass war doch ein Mißverständnis, oder wußte Bloom wirklich, dass ein Pferd dieses Namens das Rennen gewinnen würde?

  • Zitat

    Original von buttercup
    Was ich nicht so ganz verstanden habe, war das mit "Flugblatt", dass war doch ein Mißverständnis, oder wußte Bloom wirklich, dass ein Pferd dieses Namens das Rennen gewinnen würde?


    Flugblatt ist ein ausgefallener Name für ein Pferd. :lache


    Ich glaube, dass Bloom von Lenehan zu Unrecht verdächtigt wird, einen größeren Betrag (5 Pfund) beim Pferderennen gewonnen zu haben.
    Bloom ist ja anschließend auch nicht auf dem Weg sich einen Gewinn abzuholen. Zumindest wird das nirgends erwähnt. Bloom geht stattdessen zum Strand.


    Beim Abschnitt "Setzt auf den Sieger" in dem Zeitungs-Kapitel ist es doch auch Lenehan selbst, der mit den Fahnen der Sportseite aus dem Büro kommt und fragt: wer will einen todsicheren Tip für den Goldpokal.


    Der Bürger benutzt Lenehans Bemerkung auch gleich, um eine antisemitische Bemerkung über Bloom zu machen: - Was, der weißäugige Kafir?

  • Nochmal zu der Pferdewette:
    Es ist tatsächlich ein Missverständnis.


    Im Kapitel Lotosphagen (in der Suhrkamp-Ausgabe auf S.115) trifft Bloom Bantam Lyons, der ihn fragt, gibt es was neues?
    Bloom überlässt ihm dann, um ihn abzuwimmeln seine Zeitung und sagt, "ist sowieso bloss ein Flugblatt."
    Bantam Lyons versteht das falsch und denkt, dass wäre ein Tip fürs Pferderennen, da es zufälligerweise ein Pferd dieses Namen gibt, dass an diesem Tag läuft und gewinnt.


    Bantam Lyons erzählt Lenehan davon, der ihm das Wetten aber ausredet.
    Ganz schön Pech für Bantam Lyons :grin

  • Hier nur die kurze Meldung, dass ich wieder dran bin ;-)
    Dieses Kapitel habe ich abgeschlossen, mein Beitrag kommt Mitte nächster Woche, ich möchte erst noch eure Texte dazu studieren.
    Aber immerhin: es ist in einer Kneipe, es herrscht Antisemitismus der reinsten Art, es wird gegen gewisse Monarchen gewittert und Bloom wird schlecht dargestellt. All dass habe ich erkannt. Vielleicht war die "kurze" Lesepause nicht schlecht. :gruebel

  • Zitat

    Original von Liesbett
    Hier nur die kurze Meldung, dass ich wieder dran bin ;-)


    Juhuuu! :hop Das freut mich. Und gibt mir die Gelegenheit, das Buch auch mal wieder zur Hand zu nehmen ;-) Zumal mich mein aktuelles Buch hin und wieder sehr stark an Ulysses erinnert...

  • Jeanne
    Welches Buch studierst du denn derzeit?


    Und nun zum Text:
    Den Schuldeneintreiber habe ich als "dichterisches Ich" durchaus erkannt, den Beruf aber einer anderen Person zugeschrieben. Die Häufung der Personen macht es schwierig, einzelne Namen im Gedächtnis zu behalten. Meistens erinnert mein Lesen eher an eine Fahndung nach Bloom, allenfalls noch Molly und Boylan oder wie der Knabe heisst. Dignam ist mir noch geläufig, dann hört es aber auch schon auf.


    Die Kritik an Blooms Besserwisserei habe ich mehrmals abweisen müssen, ich erkenne in ihm einen eher ausgleichenden Charakter, der nach dem Guten in den Taten und Reden der Leute fahndet. Er geht auf den Grund der Dinge. Anstrengend aber nicht die schlechteste Art. Und dass er mit Nationalismus und Patriotismus nicht so recht was anfangen kann kommt mir persönlich entgegen. Seine Stellung als Jude in der irischen Gesellschaft gleicht der aller Juden in allen europäischen Gesellschaften, sie werden immer als Aussenstehende wahrgenommen. Hat Joyce hier Kritik versteckt oder beschreibt er die Situation einfach nur nüchtern und wertfrei?


    Aufgefallen ist mir besondern die verwendete Sprache. Es ist wohl die, welche in den beschriebenen Kreisen tatsächlich benutzt wurde. Ein Zeitdokument quasi.


    Nebenbei habe ich registriert, dass das Buch in der Zwischenkriegszeit erschienen ist, geschrieben wurde es aber doch lange Zeit vorher. Ist schon untersucht worden, wie und ob sich diese Ereignisse im Buch wiederspiegeln?


    Die tiefere Bedeutung der aufgezählten irischen Helden würde mich auch sehr interessieren. Am Anfang habe ich noch jeden einzelnen studiert, irgendwann aber bin ich nur noch über die gestolbert, die ich nicht wirklich nach Irland sortiert hätte, Dante als Beispiel genannt. Übersteigert hier jemand seine patriotische Einstellung?


    Aufgefallen ist mir, dass wenige Leute wirklich hart arbeiten, im Prinzip scheinen sie mir von Kneipe zu Kneipe zu ziehen und sich ein Bier nach dem anderen hinter die Binde zu kippen.


    Interessant finde ich den Aufbau des Kapitels. Eine Kneipe als Handlungsort, eine Menge Menschen, die in abwechselnden Szenen agieren, sich manchmal überschneiden, ineinander übergehen ... hochinteressant gemacht. Ein Panorama, wenn man so will.


    Bloom scheint mit ein Gegner der Todesstrafe zu sein. Zudem scheint er einen wissenschaftlichen Hintergrund zu besitzen und mit ihm zu argumentieren. Er steht dem Bürger in dessen Kleingeistigkeit gegenüber und kommt meiner Meinung nach viel besser weg, obwohl jener spottet. Überhaupt kommt einiges neues über Blooms Charakter heraus, immer von wechselnden Seiten mit unterschiedlichen Augen betrachtet. Ich als Leserin darf mir dann das mir genehme heraussuchen oder selbst zusammen setzten. Nimmt Joyce am Ende eine Wertung über den Hauptdarsteller vor?


    Und die interessanten und teilweise abstrusen Details, die Joyce einstreut .. sie sind ja oben schon beschrieben. Der Schriftsteller hat sich wirklich mit viel Mühe ein detailreiches Bild der damaligen Zeit erdacht.


    Schön fand ich:
    Augen, in denen Tränen und Lächeln kämpfen (S. 400)


    Lustig fand ich den kurzen Disput um die Beerdigung Dignams. Man hat sich die Freiheit genommen ihn zu beerdigen ... (S. 406)


    Die Briefe der Henker habe ich als eine Art Bewerbungsschreiben verstanden, mit denen sie ihre Dienste zur nächsten Urteilsvollstreckung anboten.


    Liesbett

  • Jeanne
    Kommt da nicht bald eine Leserunde zu? Muss mich mal informieren.


    Mittlerweile habe ich den Eindruck, in jedem Buch findet sich etwas zu Ulysses oder andersherum. Kein Wunder dass Joyce ein paar mehr Jahre zum Verfassen dieses Monumentes benötigt hat.

  • Zitat

    Original von Liesbett
    Jeanne
    Kommt da nicht bald eine Leserunde zu? Muss mich mal informieren.


    Ja, die gibts ab 6.Mai. Mir hat das Buch gut gefallen, kann ich nur empfehlen!!


    Zitat

    Original von Liesbett
    Mittlerweile habe ich den Eindruck, in jedem Buch findet sich etwas zu Ulysses oder andersherum. Kein Wunder dass Joyce ein paar mehr Jahre zum Verfassen dieses Monumentes benötigt hat.


    Ja, da ist was dran ;-) Erinnert mich daran, was magali mal irgendwo geschrieben hat: Dass man nach Ulysses Bücher anders sieht/liest.