T Cooper : Lipshitz

  • Originaltitel:Lipshitz Six, or Two Angry Blondes


    Inhalt:


    1907: Als in Russland Pogrome ausbrechen, entkommt Familie Lipshitz nur mit knapper Not. Vater Hersch und Mutter Esther wandern mit ihren vier Kindern nach Amerika aus. Doch als sie endlich Ellis Island erreichen, ist Ruben, der jüngste Sohn, verschwunden. Esther hofft, den kleinen Blondschopf im Meer der dunkelhaarigen Einwanderer schnell zu finden. Doch Ruben taucht nicht wieder auf.
    1927, über zwanzig Jahre später, liest Esther in der Zeitung von dem jungen Charles Lindbergh, der gerade mit der Spirit of St. Louis als erster Mensch nonstop den Atlantik überflogen hat. Auf der Titelseite prangt sein Foto: blond, blauäugig, 25 Jahre alt. Es trifft Esther wie ein Blitz. Für sie ist jeder Zweifel ausgeschlossen: Lindbergh ist ihr verlorener Sohn.
    2002: T Cooper, letzter Spross der Lipshitz, heizt in New York auf Bar-Mizwas den kreischenden Kids als Eminem-Double ein. Als Ts Eltern bei einem Autounfall umkommen, kauft sich T einen Modellbausatz der Spirit of St. Louis und beginnt, Stück für Stück Lindberghs Flugzeug zusammenzusetzen, fest entschlossen, in eine Familienchronik voller Fragezeichen endlich eine verdammte Antwort einzutragen.
    «Ist das alles wahr?» The New York Times über Lipshitz «Nicht ein Fitzel ist wahr, auch wenn einige Vorfälle stimmen, und andere auch, obwohl ich sie erfunden habe.» T Cooper


    Meine Meinung:


    Wow !!! Das war endlich mal wieder richtiges Lesevergnügen! Angeregt durch Frau Heidenreichs Besprechung in lesen! habe ich mir auf der Arbeit das Leseexemplar gegriffen. Ich denke mal, in der handelsüblichen Ausgabe wird das Autorendossier nicht enthalten sein. Schade eigentlich, denn T Cooper ist schon sehr interessant... Mal abgesehen von meiner Irritation, daß Frau Heidenreich von einer Autorin sprach, in dem Dossier sich T aber als Mann entpuppt, steigert sich diese Irritation beim Lesen des letzten Abschnittes noch. Der letzte Abschnitt ist die große Frage, die am Ende bleibt: was ist Fiktion und was autobiographisch... ein genialer Schachzug, der mich nicht allzu unzufrieden zurückgelassen hat, obwohl ich offene Fragen am Ende eines Buches eigentlich nicht mag! :grin


    Die Geschichte der Lipshitz' läßt einen anfangs vom Stil her echt vermuten, einen versierten, "älteren" Schriftsteller zu lesen - ich sage das ganz wertfrei, denn wer den letzten Abschnitt liest, versteht meine Verwunderung: anfangs ein historischer Familienroman, der sich schräg entwickelt, zum Schluß eine ultramoderne, rapartige Schreibe ... krasser könnte der Sprachgegensatz fast nicht sein!


    Die "Idee" , wenn es denn nicht auf einer realen Familiengeschichte basiert, grandios! Esthers Versteifung auf die Identität ihres vermissten Sohnes zerreißt einem fast das Herz, man leidet echt mit.
    Schade fand ich, daß dem Bruder Ben, der meiner Meinung nach die interessanteste Nebenfigur ist, nicht mehr Raum zur Verfügung gestellt wird.


    Fazit: Absolut lesenswert!! Ich kann dieses Buch allerdings nicht mit etwas ähnlichem vergleichen, so nach dem Motto: "für alle, die ... mögen" . Wagt es einfach! Viel Spaß dabei!!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Die Verwirrung ums Geschlecht des Autoren ist wohl ziemlich gewollt. Mit Absicht steht da nur T und es gibt keine Fotos und keine wirkliche Aussage dazu.
    Ich habe einen längeren Artikel darüber mal in der amerikanischen Presse gelesen.


    Achja, gerade auch in der deutschen Presse gefunden:


    Bekannt wurde T. Cooper musikalisch als Mitglied der ehemaligen Boygroup "The back doors boys". Was das Ganze allerdings kurios macht, ist die Tatsache, dass T. Cooper, Jahrgang 1972, eigentlich weiblichen Geschlechts, also eine Frau, ist.
    Ihre wahre Identität blieb lange ein Geheimnis. Auch noch im Pressetext des marebuchverlages zu ihrem neuen, mittlerweile zweiten Roman "Lipshitz" scheint T. Coopers Geschlecht vermeintlich männlich zu sein. Der Entscheidung für diese Darstellung gingen im Verlag lange Diskussionen voraus. Für den Roman selbst spielt es auch fast keine Rolle.


    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/534270/

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

  • @ Janda
    Danke für den link! Das sie/er Mitglied in dieser Boygroup war, steht ja auch in dem Dossier im Buch, aber es gibt dort auch Fotos: da kann mir einer sagen, was er will, da sieht sie/er sehr sehr männlich aus!!!!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Ändert nichts an der Tatsache, daß T eine Frau ist... :lache

    :lesend
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    Oprah Winfrey

  • Darf ich hierzu noch was schreiben?
    Ich lese es gerade (bin auf S. 250 ca) und bin noch zwiespältiger Meinung. Bisher gefällt es mir recht gut (auch wenn ich mich in die Rolle der Esther so überhaupt nicht einfühlen kann).
    Aber die Kritiken sind ja sehr unterschiedlich und der Teil in der "Neuzeit" soll ja ganz anders sein. Mal sehen, ob ich dann weiterlese.
    GIbt es noch mehr Stimmen?

  • Zitat

    Original von Gänseblümchen
    Darf ich hierzu noch was schreiben?


    Auf jeden Fall! Egal, wie alt eine Rezi ist, weitere Beiträge sind uns immer willkommen!!


    Zitat

    Ich lese es gerade (bin auf S. 250 ca) und bin noch zwiespältiger Meinung. Bisher gefällt es mir recht gut (auch wenn ich mich in die Rolle der Esther so überhaupt nicht einfühlen kann).
    Aber die Kritiken sind ja sehr unterschiedlich und der Teil in der "Neuzeit" soll ja ganz anders sein. Mal sehen, ob ich dann weiterlese.
    GIbt es noch mehr Stimmen?


    Halte ruhig noch ein wenig durch - es lohnt sich!!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • "..der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?"


    Das ist wirklich wahr und gut :-) - das sollte mal meine liebe Schwiegermutter lesen *seufz*


    Ich beherzige das schon *ggg*


    Lg

  • Ich liebe ja Familiengeschichten, besonders solche mit jüdischem Hintergrund, und so war ich mir ziemlich sicher, dass dieses Buch was für mich sein würde.

    Was soll ich sagen: Ein schönes Buch, eine klassische Familiengeschichte, aber trotzdem mehr.


    Denn anstatt chronologisch und umfassend die Geschichte ihrer Familie zu erzählen, beleuchtet T Cooper lediglich Schlüsselszenen.
    Das Verschwinden des kleinen Ruben bei der Ankunft in New York gibt das Thema dieses Romans vor: die Töchter dieser Familie müssen den Verlust zumindest eines Kindes verkraften, die Söhne bleiben kinderlos.
    Vielleicht deshalb und wegen erlebtem oder vermeintlich drohendem Unheil, ist die ganze Familie von einer sonderbaren Freudlosigkeit umgeben. „Stammmutter“ Esther kann über Rubens Verlust nicht wirklich trauern, ist eher unbeteiligt und will im Innersten nichts dringender als weg aus New York, zu ihrem geliebten Bruder nach Texas. Aber da sie durchaus weiß, dass dies einer „guten Mutter“ nicht ansteht, steigert sie sich lange nach dem Verschwinden ihres Sohnes in den Wahn, dieser würde als Charles Lindbergh weiterleben. Und so kriegt Lindbergh bis zu ihrem Tod die volle Packung „Mutterliebe“ ab, die sie sonst für keines ihrer Kinder empfindet.


    „Aber das ist noch nicht der Schluss. Der Schluss kommt jetzt“


    Nun tritt nämlich T auf den Plan. Und während der erste Teil zwar spannend, aber ziemlich leidenschaftslos erzählt wurde, treten nun die Emotionen, die in der bisherigen Familiengeschichte auf so eigentümliche Art gefehlt haben, deutlich zutage. T ist der letzte Lipshitz; er muss seine Eltern begraben und sich zusätzlich noch mit seinem nichtsnutzigen Stiefbruder herumschlagen.Und er ist wütend und zeigt das auch, und so schafft er es, das Schicksal seiner Familie abzuschütteln.


    Was als relativ simple Geschichte daherkommt ist perfekt gestrickt, und wenn Cooper sich in guter alter "Creative Writing"-Manier auch noch eine überraschende Wendung für den Schluss aufgehoben hat, ist das Buch doch absolut stimmig und toll geschrieben.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Was als relativ simple Geschichte daherkommt ist perfekt gestrickt, und wenn Cooper sich in guter alter "Creative Writing"-Manier auch noch eine überraschende Wendung für den Schluss aufgehoben hat, ist das Buch doch absolut stimmig und toll geschrieben.


    Sehr schöne Rezi und ich freue mich, daß dieses Schätzchen mal wieder etwas Aufmerksamkeit bekommt! :-)

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • "Was für ein seltsames Buch", hab ich öfters gedacht als ich so am Lesen war. Die Geschichte fängt mit mehr oder weniger "normalen" Charakteren an und entwickelt sich dann zu einem Buch, das voller seltsamer Menschen ist, die aber allesamt gut durchdacht und auch irgendwie authentisch sind.
    Aber wie gesagt, es gab viele Momente, die mir sehr fremd vorkamen. (z.B. als Esther immer wieder erzählt, dass sie ihren Bruder liebt oder die Ehe zwischen Esther und Hersch und auch die Tatsache, dass Esther ihre Kinder scheinbar nicht lieben kann).
    Ich bin ebenfalls von dem krassen Sprung der erzählten Familiengeschichte und der "Jetzt"-Zeit beeindruckt. Ich stelle es mir unglaublich schwer vor, auf zwei so unterschiedliche Arten zu schreiben.
    Da ich die Rezensionen hier schon vorab gelesen habe, hab ich ganz genau aufgepasst, wie T beschrieben wird. Der Bestattungsunternehmer sagt zu ihr, dass ihre Eltern ein Grab für T und ihr Ehemann (!) neben sich schon reserviert hätten. Da sie immer von ihrer Frau redet, geht man automatisch davon aus, dass sie ein Mann ist. Aber andererseits wird, glaub ich, auch ein Mal von ihr als Mann gesprochen. Die Verwirrung ist also perfekt :-)


    Mein Fazit: Ein Buch, das viele Fragen offen lässt und dessen Abschnitte ich gerne mit jemadem diskutiert hätte. Nett und interessant, aber umgehauen hat es mich nicht.