'Justine oder Die Leiden Der Tugend' - Erstes Buch

  • Zitat

    Original von Babyjane
    So, bin nun mit diesem Buch (fast) zu Ende. (Mina aus wievielen Seiten besteht denn deine Version? Wie ist sie gegliedert?)


    also, das Buch umfasst 172 Seiten. Eine Gliederung ist bisher nicht erkennbar. Es ist in einem runter geschrieben und es gibt auch nur ganz selten Absätze.


    Auch vom Inhalt her entferne ich mich immer weiter von Deiner beschriebenen Version...also bisher ist meine fast jugendfrei. Ja, weiß jetz auch nicht so recht, was ich machen soll...bin etwas ratlos :gruebel


    Extra noch das andere Buch zulegen möcht ich nicht unbedingt...mal kuckn, ich lese einfach hier weiter mit und harre der Dinge, die da kommen :grin

  • Ja, mach das.
    Jugendfrei ist meine Version ganz sicher nicht.
    Justine wurde im ersten Buch vergewaltigt, befand sich in mehreren Häusern, in denen sie zur "Lust" gezwungen werden sollte, sich aber immer wieder entzog.
    In dem Pensionat in dem sie schließlich landet, muß sie mitansehen, wie ihre Freundin vom eigenen Vater getötet wird, weil sie aufgrund von Justines Vermittlung mit einem Pastor betet.
    Dazu kommen immer wieder Mißhandlungen und Begrapschereien....

  • Habe das erste Buch soeben beendet. Nunja, als Frühstücksleküre sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig :-)


    Die Aufeinanderreihung der verschiedenen "Gastgeber" Justines - verbunden mit deren sexuellen Wünschen und Praktiken - langweilen fast schon. Der Kontrast "tugendhafte Justine - verdorbener Rest der Welt" wirkt absolut überzogen. Gerade in der Überzogenheit aber gewinnt der Text, unterstützt durch Nebenbemerkungen des Verfassers, an Ironie und Absurdität.


    Werde wohl weiterlesen (schon um BJ nicht alleine zu lassen ;-) )


    Mal sehen, was sich jetzt noch tut...

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)



  • Dazu fällt mir eine Frage ein, die ich mir von Anfang an stelle: inwiefern könnte man das Buch "globaler" sehen?


    Kann man das überhaupt? Also gut, de Sade ist ein absolutes Ferkel, aber gibt es hinter all diesen vordergründigen Perversitäten auch noch einen anderen Hintergrund?


    Dass die Darstellung dieser vielen sexuellen Handlungen auch als Träger einer Philosophie dienen? Besonders in Verbindung mit dem Existentialismus..


    Gut, de Sade hat sich ein sehr polarisierendes Genre ausgesucht, keine Frage. Aber geht dieses Buch über die offensichtliche Thematik der Ferkeleien hinaus? Oder wäre das in Euren Augen ein zuviel an Interpretation und das Buch einfach als eine Ansammlung offensichtlich sehr heftiger Sexphantasien des Autors zu werten ohne weiteren Hintergrund (philosophische Ansätze usw.)?


    das fänd ich eine spannende Frage :wave

  • Hm... ich denke, daß er auf jeden Fall durch diese Bücher seine eigene Weltsicht darstellen wollte. In soweit könnte man natürlich schon einiges interpretieren und herauslesen.... (MAGALI??? *kreisch* Hilf uns mal....)
    Ich bin mir nur noch nicht ganz schlüssig was, dazu müßte ich das Ende kennen und so weit bin ich noch nicht. :grin

  • Gute Stimme, BJ. :grin


    Ihr habt die Frage, um die es geht, korrekt gestellt. Steckt etwas dahinter oder nicht?
    Hilfreich ist es, wenn man Texte in ihren Entstehungszeitraum und in den Entstehungszusammenhang einordnet. Da finden wir bei de Sade die Aufklärung. d.h. eine Zeit, in der man denkerisch gegen bestimmte Vorstellungen anrannte, die man als Mauern empfand, die Obrigkeiten nämlich, kirchliche wie weltliche. Die gegebene Ordnung wurde grundsätzlich angezweifelt und schließlich abgelehnt. Von der damals herrschenden Ordnung aus gesehen war de Sade Materialist und Atheist.
    Daß sich hinter seinen pornographischen Texten ein eigenes philosophisches Gedankengebäude verbirgt, das sich aus Materialismus/Existenzialismus und Atheismus speist, wird seit dem ersten Drittel des Jahrhunderts intensiv diskutiert. Es geht also um die Frage, was der Mensch ist, was ‚gut’ ist, was Tugend und was Untugend, was sich ‚lohnt’. Was Sexualität ist.
    Dargestellt wird die reine Körperlichkeit des Menschen in diesen Texten. Ist das nun eine platte Reduzierung oder die platte Wahrheit? Sind wir gefangen in den Trieben?
    Man muß sich aber auch fragen, wie ernst man das alles nehmen, ob es ironisch gemeint ist, ob Übertreibung als Mittel eingesetzt wird, um zu zeigen, wie es um die reine Existenz des Menschen bestellt ist.
    Es scheint ja kein Jenseits mehr zu geben, das Hier und Jetzt wird nicht überwunden. Auch nicht durch die Sexualität/Ekstase. Am Ende steht der Tod.
    Das sind keine Antworten, wohlgemerkt, sondern Fragen, Ansätze zur Diskussion.


    Ich kenne mich in der Literatur zu de Sade nur wenig aus. Ich weiß nicht, inwieweit hier auch die Frage nach der Macht gestellt wird. Als Feministin muß ich mich fragen, wie es um die Rollenverteilung bestellt ist. Inwieweit die Frauen Opfer sind (und die Kinder, in den 120 Tagen geht es vielfach um Kinder, Jungen wie Mädchen), inwieweit sie selber bestimmen können, was sie tun.
    Oder ob ihnen nur angetan wird. In der Frage finde ich die Darstellungen de Sades of traditionell, die Frau ist als untergeordneter Mensch Objekt, wird zu dem Text, in den die männlichen Phantasien eingeschrieben werden.


    Zugleich aber könnte man an der Stelle eine Diskussion beginnen, von den Abhängigkeiten des Menschen überhaupt. Ist nur Sexualität gemeint? Der Mensch ist auch vom Hunger abhängig, vom Durst, von Krankheiten ...


    Man muß auch berücksichtigen, daß de Sade Adliger war, d.h. einer privilegierten Gruppe angehörte. Rechte besaß, finanzielle Mittel besaß, die ihm manches ermöglichten.
    Seine Ideen fanden nicht nur auf dem Papier statt, tatsächlich probierte er einiges an Prostituierten aus. Mindestens eine Frau starb an den Folgen einer Vergiftung mit Cantharidin (‚Spanische Fliege’), weshalb es 1772 auch zur Mordanklage kam – die Prozeßakten gibt es noch, soweit ich weiß. De Sade konnte sich, eben weil er reich war, dem Prozeß und seiner Verurteilung zum Tod entziehen. (Es gab eine öffentliche Verbrennung mit einer Strohpuppe, der Prozeß war wirklich ernst gemeint)
    Zugleich standen bei diesem Prozeß auch bestimmte Sexualpraktiken unter Anklage, Sodomie. Das war verboten, das Verbot ist nicht neu im 18. Jh., es gehört eüberhaupt zu den von kirchlicher Seite verbotenen Praktiken. Die Ausübung von Sexualität war nicht frei. Es war genau geregelt, was sich zwischen Mann und Frau abzuspielen hatte, die Palette war äußerst beschränkt - ein merkwürdiger Gedanke für uns heutzutage.
    Ich erwähne das, damit man die Ambivalenz der Sache sieht.
    Macht, Privilegien, freie Sexualität, Männer, Frauen. Freiheit/Pornografie.
    Das muß alles diskutiert werden bei diesen Texten.


    Ich warte ja noch auf ein Statement einer gewissen Nudelsuppe. :-)


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Auweia. Ich versuche mal eine andere These (ich sehe deSade als Thesenautor).


    Er zeichnet das Bild einer verdorbenen, patriarchalischen Gesellschaft, in der die Mächtigen lüsterne Feiglinge sind. Die Männer kommen nun wirklich nicht gut weg, sie haben im Prinzip nur Macht und Sex im Kopf.


    Demgegenüber stehen zwei souveräne Frauen:
    Justine läßt sich, trotz aller Schicksalsschläge, nicht unterkriegen. Sie geht ziemlich unbeirrt ihren Weg weiter.
    Juliette hat es etwas einfacher, durch einiges Geschick erreicht sie ihre Ziele, auch wenn die Männer die weltliche Macht besitzen. Sie nutzt die Schwächen der Männer aus und bewahrt jederzeit ihre Unabhängigkeit.


    Man könnte also deSade als ersten feministischen Autor lesen, bei dem das schwache Geschlecht der Mann ist, dem Moral, Anstand und Tugend nur als Werkzeuge der Unterdrückung dienen.


    :wave
    Marcel

  • Zitat

    Inwieweit die Frauen Opfer sind (und die Kinder, in den 120 Tagen geht es vielfach um Kinder, Jungen wie Mädchen), inwieweit sie selber bestimmen können, was sie tun.
    Oder ob ihnen nur angetan wird. In der Frage finde ich die Darstellungen de Sades of traditionell, die Frau ist als untergeordneter Mensch Objekt, wird zu dem Text, in den die männlichen Phantasien eingeschrieben werden.


    Hm... also im Justine Text, um den es ja geht, sind immer nur ein oder zwei "verdorbene weibliche Subjekte" an den Taten freiwillig beteiligt, die anderen werden gezwungen und gefügig gemacht, durch Schmerz oder beruhigende Kräuter...
    Ich tendiere daher zu deiner Interpretation, daß die Frau wohl in DeSades Auffassung eher eine zweitrangige Position hinter dem Mann einnimmt.
    Andererseits ist natürlich Unterdrückung etwas, daß man im normal Fall nur ausübt, weil man vor der freien Entfaltung Angst hat.
    In diesem Schluß würde also die Frau das höhere Wesen sein, welches vom Mann nieder gedrückt werden muß, um seine Position zu erhalten.... komplizierte Sache das....




    Zitat

    Justine läßt sich, trotz aller Schicksalsschläge, nicht unterkriegen. Sie geht ziemlich unbeirrt ihren Weg weiter.


    Puhuhu.... aber zu welchem Preis???

  • jaha, das sind eben die Positionen.


    <magali grinst>


    So eklig ich de Sades Bücher finde, so sehr sehe ich sie auch als Grundlage für wichtige Diskussionen.


    Soll man de Sade verbrennen? Nein. Aber die Auseinandersetzung damit ist schwer.
    Wahrscheinlich muß man sich dem stellen, seufz.


    Ich sehe ihn eher negativ in Bezug auf Abhängige. Positiv aber grundsätzlich für eine Entfaltung einer freieren Sexualität. Wobei in der Hinsischt die Sexualitätsforschung des frühen 20. Jahrhunderts (Hirschfeld etc.) mehr geleistet hat.
    Positiv auch in Hinblick auf die Frage: was ist der Mensch? Als Anregung zum Nachdenken, nicht seine Lösung!


    Wer mal ein positives Frauenbild der Zeit in sexueller Hinischt lesen will, dem sei Fanny Hill empfohlen.
    Wer die Frage der belohnten Tugend bzw. der nicht belohnten moralischer, also weniger sexualisiert, und literarischer will, greife zu Defoe, Moll Flanders oder vor allem Roxane.


    Die Thematik 'Lohn der Tugend' ist bei de Sade nicht neu, es war ein Thema der Zeit.
    Wir haben ja auch ein aufkommendes Bürgertum, das eine neue Moral entwickelte und die war recht engstirnig und keineswegs emanzipatorisch.


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Positiv aber grundsätzlich für eine Entfaltung einer freieren Sexualität.


    Genau da stimme ich dir absolut zu... nicht nur für die Entfaltung der Sexualität, sondern auch für die Offenheit über die eigene Sexualität zu sprechen.
    Ich hab da ja grundsätzlich gar kein Problem mit, aber es gibt so die ein oder andere Freundin/Bekannte, der würde ich zu gerne mal ein bißchen DeSade zur Auflockerung als Bettle(c)ktüre empfehlen... :lache