Die bekannte Welt - Edward P. Jones

  • Titel der amerikanischen Originalausgabe: “The known world”


    Zum Buch


    Die bekannte Welt, sie endet in Virginia Mitte des 19. Jahrhunderts für viele an den Grenzen der Plantage, auf der sie geboren wurden. Und das gilt gleichermaßen für Sklaven, ihre weißen Herren sowie - kaum vorstellbar - für schwarze Sklavenhalter. Ein bahnbrechender Roman, der Einblick in ein weitgehend unbekanntes Kapitel amerikanischer Geschichte gewährt.


    Henry Townsend gehört zu den Schwarzen, die es geschafft haben. Als junger Mann von seinem Vater freigekauft, ist er mit dreißig Jahren Besitzer einer Plantage und der dazugehörigen Sklaven. Er hat sich damit arrangiert, auf der Seite derjenigen zu stehen, für die der Wert eines Schwarzen sich lediglich in Arbeitskraft und Dollars bemisst. Rund um das Schicksal von Henry Townsend erzählt Jones Geschichten über Weiße und Schwarze, über Gewalt und Widerstand, über Realität und Magie. »Mit einer Dichte, die an William Faulkner und Gabriel García Márquez erinnert« (Newsday), verwebt Edward P. Jones unzählige Lebensgeschichten kunstvoll zu einem großen, unvergesslichen Bild einer Epoche. Ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis.


    Zum Autor


    Edward P. Jones, Jahrgang 1951, wurde in Washington, D. C., geboren und studierte an der University of Virginia. Er arbeitete über zehn Jahre lang als Lektor und Korrektor bei dem Wirtschaftsmagazin Tax Notes. Für seine erste Veröffentlichung, den Erzählungsband »Lost in the City« (1992), erhielt er den PEN/Hemingway Award. Sein Romandebüt, »Die bekannte Welt«, an dem er zehn Jahre gearbeitet hat, sorgte schon kurz nach Erscheinen für Aufsehen. Er wurde 2004 mit dem Pulitzer-Preis für Literatur ausgezeichnet, dem weitere Auszeichnungen folgten. Heute lebt Jones wieder in Washington, D.C.


    Meine Meinung


    Ich fand das Buch unheimlich interessant, mir war gar nicht bewusst, dass es schwarze Sklavenhalter gegeben hat. :wow Der Autor hat es geschafft, mir diesen Aspekt der amerikanischen Geschichte näher zu bringen. Besonders gefallen hat mir, dass die Figuren in seinem Buch, unabhängig von ihrer Hautfarbe, vielschichtig sind. Henry Townsend ist, obwohl selbst ehemaliger Sklave, ein strenger Sklavenhalter, der auch nicht davor zurückscheut, einem Sklaven nach einem Fluchtversuch ein Ohr abzuschneiden. William Robbins, der mächtigste Mann in Manchester County und Henry Townsends ehemaliger Besitzer, ist ein ebenso strenger Sklavenhalter, gleichzeitig liebt er aber seine schwarze Mätresse und ihre gemeinsamen Kinder mehr als seine weiße Frau und er für Henry ist er eine Art Mentor und unterstützt ihn, wo er nur kann, wenn es darum geht, Land oder Sklaven zu kaufen.


    Das Buch beginnt mit Henrys Tod und in den folgenden Kapiteln wird zum einen Ereignisse nach Henrys Tod beschrieben, zum anderen gibt es aber auch Rückblicke in die Vergangenheit. Der Klappentext vermittelt den Eindruck, Henry sei die Hauptfigur, tatsächlich würde ich aber sagen, dass die Sklaverei die Hauptfigur ist und über die Schicksale vieler verschiedener Menschen werden unterschiedliche Aspekte der Sklaverei anschaulich gemacht. Die Rückblicke sind nicht chronologisch und ich fand es teilweise schwierig, der Geschichte zu folgen, vor allem am Anfang, zumal es auch noch eine Vielzahl von Figuren gibt, die alle irgendwie miteinander zu tun haben. Und dann gibt es neben den Rückblicken auch oft auch noch Vorausschauen auf die Zukunft bis hin zu den Urenkeln. Der weiteste Vorausblick ging, glaub ich, bis ins Jahr 1994.


    Nach einigen Anfangsschwierigkeiten hat mir das Buch richtig gut gefallen und es hat mich ziemlich beeindruckt. Der Autor hat es irgendwie geschafft, die Unmenschlichkeit der Sklaverei darzustellen, ohne in die Betroffenheitsliteratur abzurutschen. Oft einfach durch die Wortwahl, oder durch einen Nebensatz.


    Ich habe die Sprache zunächst als einfach empfunden, aber so richtig einfach war sie dann doch wieder nicht. Ich hatte beim Lesen immer so einen langsamen Südstaatenslang im Ohr. In der wörtlichen Rede sprechen die Sklaven ihren eigenen Slang, so dass die unterschiedlichen Stellungen und Bildungsgrade der Figuren sich auch in ihrer Sprache widerspiegeln. Ich beziehe mich hier auf die englischsprachige Ausgabe, in der deutschen Übersetzung, in die ich mal hineingeblättert habe, ist das leider alles glatt gebügelt worden.


    Tolles Buch, das ich sehr empfehlen kann. Allerdings ist es keins, das man mal eben so wegschmökern kann. Ich musste mich beim Lesen ziemlich konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren.


    Ich verlinke hier mal das Hard Cover, aber die deutsche Taschenbuchausgabe erscheint im Februar 2007.
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  • Ich habe letzte Woche "Die bekannte Welt" gelesen. Und nach der Lektüre war ich erstmal sprachlos. Eigentlich lässt sich zu Delphins Zusammenfassung und Meinung nichts gravierendes mehr hinzufügen. Da ich aber in einem anderen Zusammenhang eine Rezension geschrieben habe, füge ich sie hier trotzdem ein (auch auf die Gefahr hin, dass sich manches doppelt).


    Inhalt:


    Die "bekannte Welt" hier ist das fiktive Manchester County, Virginia zwischen 1830 und 1855.


    Im Mittelpunkt des Romans steht der ehemalige Sklave Henry Townsend. Er wurde als Junge von seinem Vater freigekauft, sehnt sich aber sein ganzes Leben nach dem geregelten, hierarchischen Leben auf der Plantage seines ehemaligen Herren William Robbins. Als er genug gespart hat, kauft er auf Vermittlung von Robbins Land und seinen ersten Sklaven, Moses. Leben die beiden anfänglich freundschaftlich zusammen (balgen sich, teilen sich ein Zimmer im Rohbau des Herrenhauses etc.), wandelt sich Henrys Verhalten nach einer Strafpredigt seines Mentors zu dem eines weißen Sklavenhalters. Später führt dies dazu, dass er einen seiner Sklaven für einen Fluchtversuch damit bestraft, ihm ein Drittel des Ohres abzuschneiden.


    Ausgangssituation der Handlung ist der Tag, an dem Henry Townsend stirbt. Ein Tag, der in der Folge zu schicksalshaften Ereignissen führt, aber auch dazu angetan ist, die Konstellationen rund um die Farm aufzuzeigen. So lernt der Leser viele wichtige Personen kennen:
    den bereits erwähnten ergeizigen Aufseher Moses (inklusive seiner Frau Priscilla und seinem Sohn Jamie), die verwirrte Sklavin Alice, den rebellischen Elias und seine Familie, Henrys Witwe Caldonia (sowie ihre Mutter Maude, ihren Zwillingsbruder Calvin), die Erzieherin Fern, den Sheriff John Skiffington und viele andere...


    Meine Meinung:


    Wie aus der Aufzählung der oben beispielhaft Genannten ersichtlich wird, wird der Leser mit sehr vielen Einzelschicksalen vertraut gemacht. Neben den häufigen Perspektivwechseln gibt es zudem auch viele Vor- und Rückschauen, die mitunter bis ins Jahr 1994 reichen. Im Wesentlichen beschränken sich diese zeitlichen Vorschauen auf die Schicksale nach dem amerikanischen Bürgerkrieg.


    Ich mag solche Zeit- und Perspektivwechsel, aber natürlich wird dadurch das Lesen anspruchsvoller. Deshalb solltet ihr euch viel Zeit nehmen, um den Roman zu lesen. Wer sich darauf einlässt, wird ein besonderes Highlight erleben!


    Ich fand sowohl die Handlung als auch die Art, in der sie beschrieben wurde, sehr beeindruckend! Hier geht es um eine Minderheit, von der kaum jemand etwas ahnte. Der Fokus liegt auf den "priviligierten" Schwarzen, die über ihre Freiheit, Bildung und einigen Reichtum verfügt und dennoch in der Gesellschaft unterhalb der "Hillbilles" angesiedelt ist. Eine wichtige Rolle spielt der Glaube, sei es der christliche Glaube der Weißen oder der eher mythische Glaube der Schwarzen. Einige mystische Einschübe verleihen manchen Schlüsselszene einen speziellen Charakter.


    Die Wünsche, Hoffnungen und Ideale der einzelnen Charaktere werden sehr deutlich. Mitunter glaubt man fast, jeder von ihnen hätte tatsächlich gelebt. Unterstrichen wird dieser Eindruck auch durch zahlreiche Fakten, Statistiken, historische Zeugnisse und Dollarangaben zum Wert einzelner Personen. Da es sich um ein fiktives Gebiet handelt, sind natürlich auch diese Angaben fiktionalisiert, aber ihr Einsatz at mir trotzdem sehr gut gefallen!


    "Die bekannte Welt" gehört eindeutig zu meinen Jahreshöhepunkten!


    Zitat

    Original von Delphin
    Ich habe die Sprache zunächst als einfach empfunden, aber so richtig einfach war sie dann doch wieder nicht. Ich hatte beim Lesen immer so einen langsamen Südstaatenslang im Ohr. In der wörtlichen Rede sprechen die Sklaven ihren eigenen Slang, so dass die unterschiedlichen Stellungen und Bildungsgrade der Figuren sich auch in ihrer Sprache widerspiegeln. Ich beziehe mich hier auf die englischsprachige Ausgabe, in der deutschen Übersetzung, in die ich mal hineingeblättert habe, ist das leider alles glatt gebügelt worden.


    Dass die Sprache verändert wurde, lese ich erst jetzt. Schade, kann ich nur sagen! Hätte ich das gewusst, hätte ich lieber zu der Originalausgabe gegriffen. Aber einschränkend kann ich dazu sagen, dass man nichts vermisst, wenn man es nicht weiß.


    Ein nettes Detail war die Personenübersicht am Ende des Romans. Bei der Fülle der Figuren eine hilfreiche Zugabe!