'Deutschstunde' - Kapitel 16 - 20

  • Zitat

    Original von geli73
    Der Maler Nansen scheint auch informiert zu sein, dass seine Wellentänzerin Aufruhr angerichtet hat, doch er muss feststellen, dass das Bild verschwunden ist, und der Leser erfährt, dass Siggi sie versteckt hat, obwohl er es vehement abgestritten hat.


    Dass Siggi tatsächlich im Besitz des Bildes war, hat mich wirklich überrascht, ich habe ihm das Leugnen 100% abgenommen :wow


    Zitat

    Original von geli73
    Dass er stellvertretend für seinen Alten da wäre, dass die Alten nicht mehr erziehbar wären, wo Erziehung aufhören würde. Sehr interessante Ansichten, die Siggi da vertritt. :anbet


    Absolut! Und grotesk, denn im Angesicht der Schuld des Vaters ist der Bilder"diebstahl" lächerlich...


    Zitat

    Original von geli73
    Himpel hat gewonnen, weil Siggi die Strafe abgeleistet hat und auch beendet hat. Aber Siggi? Hat er denn nun mit der Vergangenheit abgeschlossen? Das war mir nicht klar. :gruebel


    Ich glaube schon, zumindest insoweit, dass er - wenn auch mit einigen Schwierigkeiten - ein neues Leben beginnen kann.


    Im großen und ganzen hat mir das Buch gut gefallen, eine Abschluss-Rezi folgt...

  • Übrigens habe ich inzwischen die Abschlußarbeit gelesen, die Taki32 (glaube ich) verlinkt hatte. Ja, nette Zusammenfassung, aber so ganz neue Erkenntnisse habe ich nicht gewonnen, vor allem der Schlußsatz mit der Zufriedenheit wurde nicht erklärt. Nur aufgenommen, wie Siggi sich die Übergabe vorstellt.

  • Nun denn ich hab es auch endlich beendet. Erst mal die Gedanken zu den einzelnen Kapiteln:


    Kapitel 16
    Siggi, der ja plötzlich als einziger männlicher Erbe übrig bleibt, soll eine gute Karriere machen und wird, für seine bisherigen Verhältnisse, verhätschelt seit er aufs Gymnasium geht. Im Wattblick ist jetzt also ein Kinderheim für geistig behinderte. Ist klar, dass die Mutter, die ja auch bisher durch ihren sehr Nazi-Indoktrinierten Geist aufgefallen ist, da ihre eigene Meinung hat. Ist ja schließlich alles nur lebensunwertes Leben. Früher hätte man solche wie die "erlöst". So einfach war das. Ach ja, gute alte Zeit wo bist du hin? :rolleyes
    Schließlich der, so wie ich es verstanden habe, Höhepunkt des Buches. Der Punkt, der alles ausgelöst hat was sich von da an ereignete. Siggis geliebtes Versteck, der Ort seiner Sammlung und wo er die Bilder von Nansen versteckte und in Sicherheit geglaubt hatte, geht in Flammen auf. Siggi ist sogar bereit ins Feuer zu rennen und kann gerade noch gerettet werden. Verständlich, dass er glaubt, sein Vater hätte das Feuer gelegt. Zuzutrauen wäre es ihm, aber die Geschichte wird offenbar nie geklärt. Schön, dass der Maler ihn in seinem Schmerz versteht. Und dann die Überraschung: Der Maler wusste schon seit längerem von Siggis Versteck, war sogar gerührt und hat überlegt die Sammlung zu erweitern. Er ist auch nicht böse, dass Siggi ein weiteres Gemälde direkt aus dem Atelier mitnehmen wollte um es vor einer visionierten Flamme zu schützen. An dieser Stelle dachte ich, Siggi hat vielleicht, ebenso wie sein Vater, das zweite Gesicht und weiß wirklich, welche Gemälde als nächstes dem Polizeiposten zum Opfer fallen würde.


    Kapitel 17
    Wir erfahren, was der Maler und Hilke in der Mühle zu schaffen hatten. Ob da wirklich nicht mehr war als nur das Malen? Ich fand es irgendwie auffällig, dass ständig darauf hingewiesen wurde, wie aufgeregt Hilke auf Dittes Beerdigung war. Ich glaube jetzt übrigens zu wissen, woran Ditte starb. Dieser extreme Durst und die Schwäche deuten auf Diabetes mellitus hin. In einem anderen Buch, das ich gerade lese, starb jemand mit genau den gleichen Symptomen wie Ditte und dort stellte der Arzt "honigsüßen Harnfluss" fest. Das war übrigens im Jahre 1500, da sieht man mal wie fortschrittlich Dr. Gripp war. :pille
    Der Polizeiposten und seine Frau machen sich allerdings mehr Gedanken darüber, was die Leute aus dem Dorf denken werden, wenn sie das Bild sehen und Hilke eindeutig erkennen (einer hat es ja offenbar schon. Ob es vielleicht der Deichgraf war?) und was für eine Schande das für sie beide ist. Siggi tröstet seine Schwester, beide träumen davon wie es wäre fortzugehen und ohne die Eltern zu leben (da Umtausch ausgeschlossen). Plötzlich kommt der Maler ins Haus, schnappt sich Siggi und beschuldigt ihn eben jenes Bild mit Hilke gestohlen zu haben. Siggi versichert eigentlich sehr glaubhaft, dass er damit wirklich nichts zu tun hat, was sich im Nachhinein tatsächlich als Lüge erweist. Da war ich auch überrascht. Warum fängt Siggi plötzlich an die Bilder direkt vom Maler zu stehlen ohne es ihm zu sagen? Glaubt er, der Maler selbst wäre zu unvorsichtig? Siggi meint es gut, aber ausgelöst durch den Brand der Mühle hat er eine regelrechte Paranoia gegenüber seinem Vater entwickelt. Der Drang zu retten ist stärker als das Vertrauen zum Maler, der nun seinerseits offenbar kein Vertrauen mehr zu Siggi haben kann (wie auch die paar neuen Seiten von Mackenroth bestätigen). In der Gegenwart im Jugendgefängnis ist sich Siggi aber mittlerweile offenbar im Klaren darüber, das es eine Krankheit ist. Er sieht es als eine Erklärung, aber nie und nimmer als eine Entschuldigung. Tut es Siggi jetzt leid, was er getan hat?


    Kapitel 18
    Das Kapitel war mir ein zu großer Sprung. Der Vater hatte die Sammlungen schon entdeckt, und Siggi zu seiner neuen Nemesis ernannt. Weiter geht es mit der Kunstausstellung. Ganz gelungen fand ich das Erstaunen von Nansen über einen Kritiker der tatsächlich verstand, was er mit seinen Bildern ausdrücken wollte (das muss ein Schock für jede Art von Künstler sein :lache). Siggi steht offenbar schon unter Beobachtung, sobald er zu großes Interesse an einem Bild zeigt wird er schon verfolgt (dabei hat er das Bild doch noch nicht einmal berührt, oder hab ich da was übersehen? :wow). Er flieht zu Klaas, der mit Jutta (das hab ich irgendwie kommen sehen) und noch ein paar anderen seltsamen Gestalten in einer Art Künstlerkommune haust. Die Figur des Hansi, der sich schon mal von Haus aus über die alten und traditionellen heimatverbundenen Bilder von Nansen lustig macht, kommt unsympathisch und arrogant rüber. Klar, dass Siggi das so nicht stehen lassen kann. Die genaue Diskussion der beiden ging allerdings an mir vorbei, irgendwann konnte ich nicht mehr folgen und wirklich wichtig schien es mir auch nicht. Siggi wird letztendlich doch von der Polizei geschnappt und eingesperrt (obwohl man ihm diesmal doch wohl lediglich den Vorsatz aber nicht die Tat selbst vorwerfen konnte).


    Kapitel 19
    Siggis erste Zeit auf der Insel. Er ist noch im Übergangshaus, hat aber bereits seine Schlüsse über den tatsächlichen Grund seines Hierseins gezogen: Er ist stellvertretend für den Vater hier. Den kann man nicht mehr in den Knast zum Erziehen, weil man von ihm in seinem Alter doch nicht mehr erwarten kann, dass er sich ändert. Also muss der Junge herhalten. Im Hinblick auf Siggis Beschreibung über den Aufbau eines Aufsatzes in einem früheren Kapitel übernimmt dieses letzte geschriebene wohl die Funktion der "Wertung".


    Kapitel 20
    Hilke kommt zu Besuch, blättert in den Aufzeichnungen und erzählt das ihre dazu. Dabei kommt vor allem heraus: Das mit dem schichtig Kieken war wohl nix Herr Polizeiposten, der gute Asmussen erfreut sich offenbar bester Gesundheit und lebt in Glüserup. Alles nur Einbildung? Ausgeburten einer üblen Migräne? Lachen musste ich über den Satz "Was hast Du nur gegen meine Beine?" Das dachte ich mir beim Lesen auch öfter, wenn er von ihren krummen Waden oder fetten Kniekehlen schrieb.
    Schließlich die Anordnung von höchster Stelle: Die Strafarbeit wird abgebrochen und Siggi wird entlassen. Was der Direktor nicht weiß: Siggi ist eigentlich schon fertig mit der Strafarbeit, war nur einfach noch nicht so weit sie abzugeben. So kann jeder sich als Sieger in dieser Sache sehen. Allerdings sieht Siggi für sich keine besonders rosige Zukunft. Er weiß, er wird Rugbüll nie verlassen, egal wie weit er in die Welt reist. Deshalb fällt ihm auch erst mal nichts ein, was er mit der neuen vermeintlichen Freiheit anfangen soll. Wird er vielleicht am Ende sogar wieder anfangen, Bilder zu stehlen? Ich frage mich, wenn tatsächlich jemand von der Anstaltsleitung diesen Aufsatz lesen würde… was für eine Wertung würde er ihm geben? Thema verfehlt? Denn diese „Freuden der Pflicht“ hatte sich Korbjuhn doch sicherlich nicht bei seinem Aufsatzthema vorgestellt. Lediglich durch die Haltung Siggis, der schließlich mit dieser Strafarbeit selbst die Freuden der Pflicht verkörpert konnte das überspielt werden.


    FAZIT
    Das Buch ist beendet und ich weiß nicht so genau was ich dazu sagen soll. Die Schreibweise ist auf der einen Seite sehr schön und etwas besonderes, an manchen Stellen neigt sie aber auch stark zur Langatmigkeit. Es gibt viele Hinweise und Bemerkungen die dann nicht genutzt werden. Ich hätte zum Beispiel nach den Bemerkungen von Siggi gedacht, dass dieses "schichtig kieken" seines Vaters noch eine große Rolle spielen wird. Wie sich herausstellt taucht es nur noch einmal auf, man erfährt aber nicht was er sieht, sondern nur, dass es ihn veranlasst die Bilder zu verbrennen. Und nachdem man erfährt, dass es Asmussen offenbar blendend geht und er nicht wie vorausgesehen starb hat sich das Thema für mich sowieso erledigt. Oder was war nun eigentlich mit den Briefen von Klaas an Hilke? Was ist dieses Geheimnis, das sie teilen? Alles in allem muss ich sagen, für mich ein lediglich durchschnittliches Buch. Weder Charaktere, noch Handlung sind irgendwie etwas Besonderes oder Bemerkenswertes, in meinen Augen. Lediglich der Erzählstil hebt sich vom Gewöhnlichen ab. Aber ich hab im Leserunden-Thread schon einmal gesagt, ich kann normalerweise mit Kriegs- bzw. Nachkriegs-Romanen nicht viel anfangen und so war es auch hier. Ich hab es gelesen, verstehe nicht wirklich warum es so ein außergewöhnlich bedeutendes Buch sein soll und gebe es ohne das Bedürfnis es selbst haben zu müssen an seine Besitzerin zurück.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Hallo,


    auch ich habe das Buch jetzt beendet und will ein kurzes Fazit schreiben.


    Fazit: Durch die Sprache des Autors war das Buch für mich nicht so schnell zu lesen. Ich musste mir Zeit dafür nehmen. Trotz des sperrigen Themas und der für uns ungewohnten Sprache finde ich das Buch absolut lesenswert. Und trotz der zeitlichen Distanz finde ich, handelt es sich hier immer noch um eine aktuelles Buch, in dem man dazu angeregt wird, über die Pflichten, die man meint zu haben, nachzudenken und diese zu hinterfragen. Als Schullektüre erscheint es mir mit knapp 500 Seiten jedoch zu lang.


    Es war meine erste Leserunde hier bei den Büchereulen und ich habe mir schon Termine für weitere notiert. Ich denke gerade bei nicht ganz so leichter Kost ist eine Leserunde hilfreich und anregend.


    LG, Frühlingsfee

  • Zitat

    Original von geli73
    Übrigens habe ich inzwischen die Abschlußarbeit gelesen, die Taki32 (glaube ich) verlinkt hatte. Ja, nette Zusammenfassung, aber so ganz neue Erkenntnisse habe ich nicht gewonnen, vor allem der Schlußsatz mit der Zufriedenheit wurde nicht erklärt. Nur aufgenommen, wie Siggi sich die Übergabe vorstellt.


    :write ich hatte irgendwie auf ein erhellendes aha-Erlebnis gehofft, es gab aber keines.


    Mit Verzögerung nun auch meine Kommentare zum letzten Teil (ich hatte irgendwie nicht das nötige Sitzfleisch, um zu posten


    Kap. 16: Siggi geht aufs Gymnasium. So weit ich weiß, war das damals schon ungewöhnlicher als es heute ist, noch dazu auf dem Dorf. Bah, das ging mir so gegen den Strich, dass sein Vater es stolz überall herumposaunt! :fetch
    Jetzt weiss ich auch, woher Siggi den Spitznamen hat, mit dem Nansen ihn immer bezeichnet: "witt-witt", wie der Ruf des Strandläufers (wenn ich auch nicht wirklich verstehe, welcher Art der Bezug zwischen dem Vogel und Siggi sein könnte :gruebel weil Siggi auch immer so viel herumstromert? )
    Die Szene mit den Kindern aus dem Behindertenheim - die ging mir sehr nahe. Erst die Suche im Watt, dann das Begreifen, dass sie behindert sind - auch Siggis Hoffnung, das Mädchen möge ihn wiedererkennen, was sie nicht tut - und dann die kaltherzige Reaktion der Mutter darauf (auch wenn ich ja weiß, dass das damals sehr verbreitet war). :-(


    Sehr geil fand ich Siggis Aufsatz "mein Vorbild", in dem er einfach eines erfindet, da die Realität ihm keines liefern kann. :lache
    Ganz wunderbar gemacht finde ich den Übergang zwischen den Leuchtkugeln in seiner Fantasie und dem Widerschein des Feuers, als die Mühle in Flammen steht.
    Bei der Schilderung des Brands in der Mühle findet sich schon wieder eine Anspielung auf das Spiegelthema:


    Auch ich beobachtete das Feuer, oder doch sein zerlaufendes Spiegelbild, (...)


    Aber ich raffe einfach immer noch nicht, was es mit den Spiegelungen im Roman-Kontext auf sich hat... Es ergibt für mich keinen Sinn... :-(


    Sehr bedrückt hat mich der geschilderte Dialog am Ende das Kapitels, als Nansen sich anschickt, Siggi nach Hause zu bringen - und Siggi einfach nicht will. Siggi hört sich für mich in diesen wenigen kurzen Sätzen so verzweifelt hat - das fand ich ganz furchtbar... :-(


    Kap. 17: Der anonyme Brief (von wem könnte der sein, verdammt?! das hätte ich schon gerne gewusst... irgendeinen Zweck haben solche Briefe ja immer, ein Motiv...) klärt jetzt auf, was Hilke mit Nansen verbunden hat, an jenem Tag, als sie beim Buttpeddeln (?) in eine Muschel getreten ist.
    Ich habe mir überlegt, ob das Modellstehen (neben Eitelkeit) vielleicht auch eine Rebellion Hilkes gegen die Eltern ist, gegen deren Lebensstil und auch Rache für das erzwungene Lösen der Verlobung mit Addi.
    Ganz klar war für mich nicht (hab ich was überlesen, evtl.?? :gruebel) warum Nansen die "Windsbraut" so wichtig war - während er im Kapitel zuvor Verständnis für Siggis "Sicherung" des anderen Gemäldes hatte.
    (war da vielleicht doch mehr zwischen Hilke und Nansen - zumindest auf seiner Seite? :gruebel)


    Wieder der Psychologe Mackenroth :rolleyes Er tauft Siggis Zwang, Bilder in Sicherheit zu bringen, nach ihm "Jepsenphobie". Was aber m.E. falsch ist - eigentlich müssen Phobien ja immer nach dem Gegenstand der Phobie (hier also: die potentielle Zerstörung der Bilder) benannt werden (falls ich mich hier irre, bitte ich um Korrektur). Da überlege ich schon, ob da nicht im übertragenen Sinne eine Phobie Siggis gegenüber seiner Herkunftsfamilie gemeint ist...


    Kap. 18: Die Ausstellung und Siggis Besuch in der Bohème-Wohngemeinschaft seines Bruders in Hamburg.
    Zur Ausstellung: mir fällt auf, dass Siggi die Gestapo immer als "Ledermäntel" bezeichnet hat; die securities jetzt heissen "Staubmäntel" - irgendwie klingt es anders,scheint aber im Grunde aber doch das Gleiche zu sein.
    Interessant fand ich die ausführliche Beschreibung eines der Bilder "Garten mit Masken". Auch eine Kritik an der Nazi-Zeit bzw, dem späteren Umgang damit? Da fiel mir ein, dass ich mir die Titel der Bilder Nansens vielleicht genauer hätte anschauen müssen, zufällig sind die ja sicher nicht, und ich vermute, dass sie eine bestimmte Bedeutung, eine Anspielung auf die Aussage des Romans enthalten.


    Okay, ich habe jene Zeit nicht miterlebt, habe aber viel von meinen Eltern darüber gehört, kenne manches aus Büchern und Filmen. Ich hatte große Probleme, Lenz' Beschreibung der Kleidung der Pärchens in der Ausstellung und der WOhngemeinschaft in zeitlichen Zusammenhang mit den beginnenden Fünfzigern zu bringen. Das passte für mich nicht, hätte mehr Sinn gemacht Mitte, Ende der Sechziger - gerade auch die Jeans (hiessen die damals nicht noch "Nietenhosen"? :gruebel ) der Mitbewohnerin Jutta.
    Klaas ist Fotograf geworden - eine Weiterentwicklung von Nansens Malerei?
    Der Lebensstil ist sehr "Bohème", und damit das krasse GEgenteil des Lebens in Rugbüll.
    Trotzdem bleibe ich dabei: diese Schilderung ist für mich nicht zeitgemäss.


    Kap.19:
    Im Gespräch mit dem Direktor des Besserungsanstalt sagt Siggi:


    Ich bin stellvertretend hier für meinen Alten, den Polizeiposten Rugbüll. Und ich habe das Gefühl, daß auch Kurtchen stellvertretend für irgend jemand hier ist, für eine Tante Luise oder einen Onkel Wilhelm.


    Für mich steckt darin die Kernaussage des Romans: die Abrechnung dieser Generation mit der Generation ihrer Eltern. Für mich passt das auch mit der Entstehungszeit des Romans zusammen: lt. meiner Ausgabe erschien dieser zuerst 1968, und das war ja genau die Zeit der Studentenrevolte, der antiautoritären und anti-rassistischen Bewegungen.


    Es ist einfach: das schlechte Gewissen wird auf eine Barkasse gebracht, hier herübergefahren, und dann kann man wieder mit Genuß frühstücken und abends seinen Grog schlürfen.


    Die Kinder tun also Buße für die Vergehen der Eltern. An dieser Stelle musste ich irgendwie an den Fluß Styx in der griechischen Mythologie denken, der Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten, und die Seelen der Toten werden vom Fährmann Charon über den Fluss geschifft.


    Mich nerven die Psychologen und Angestellten der Besserungsanstalt irgendwie - und ich glaube, sie werden absichtlich so dargestellt, das sie jede Menge Erklärungen parat haben, aber die Jugendlichen nicht wirklich verstehen.


    Kap. 20: Siggi soll seine Strafarbeit abgegeben, doch es fällt ihm schwer. hilke kommt zu Besuch, blättert in den Aufzeichnungen und ergänzt - ergänzt aber sehr rosig gefärbt:


    (...) Aber war er wirklich so? Hat er uns nicht Geschichten erzählt, manchmal?Und denk mal an die hellen trockenen Sommer bei uns. Und als Mutter uns auf dem Milchwagen am Strand spazierenfuhr: sie konnte auch anders sein. (...)


    und auch Hilke möchte sich nicht weiter damit auseinandersetzen:


    Aber ich werde alles lesen, Siggi, nicht heute, vielleicht schon bald.


    In ein ähnliches Horn stößt auch Direktor Himpel (ich assoziiere damit "Gimpel" :lache), als er zitiert wird:


    (...), ihm sei aufgefallen, wie sehr die Erinnerung für mich zur Falle wurde, (...) Nun aber sei es genug. Es dürfe nicht mehr weitergehen. Die zumutbare Grenze sei ein für allemal erreicht.


    Das finde ich so bedrückend: dass Erinnerung an die Vergangenheit, die Beschäftigung damit fast durchweg als etwas Gefährliches bezeichnet wird. Und ich verstehe auch den Roman als Mahnung wider das VErgessen, gegen das Verdrängen.


    Ein Satz, über den ich lange gerätselt habe und der mir überhaupt keinen Sinn macht:


    Wer schwärzt die Weiden zur Nacht, wer berennt den Schuppen?


    Was bedeutet das??? :help


    Siggi weiß gar nicht, was er mit seiner neugewonnenen Freiheit anfangen soll. Ich hatte nicht so wirklich das Gefühl, dass er mit sich im Reinen ist, und den Schlußsatz fand ich einfach nur deprimierend:


    Eine Handbewegung, und wir werden uns setzen, werden einander reglos gegenübersitzen, zufrieden mit uns, weil jeder das Gefühl haben wird, gewonnen zu haben.


    Heisst das, Siggi ist sich selbst gar nicht sicher, im Recht zu sein? Oder hat er darüber zwar resigniert, dass Menschen wie der Direktor unbelehrbar sind und immer sein werden?
    In jedem Fall stimmte mich dieser Satz nachdenklich und traurig und "stach" fast ein bisschen, weil es für mich kein wirkliches Ende ist (was aber wiederum zum Roman passt und zu dem, was er m.E. ausdrücken will) .

  • Zitat

    Original von Nicole:
    :write ich hatte irgendwie auf ein erhellendes aha-Erlebnis gehofft, es gab aber keines. Mit Verzögerung nun auch meine Kommentare zum letzten Teil (ich hatte irgendwie nicht das nötige Sitzfleisch, um zu posten


    :write :write :write


    Ihr habt ja schon sehr ausführlich über den Inhalt der Kap. 15-20 berichtet. Das werde ich jetzt nicht noch mal aufrollen. :-) Ich fand es anstrengend, die letzten Kapitel durchzuhalten und habe die ganze Zeit auf eine besondere Erkenntnis gehofft...


    Für mich sind auch sehr viele Fragen offen geblieben.


    Siggi hat mit der Strafarbeit zwei Dinge getan: Seine Strafe für den nicht abgegebenen Aufsatz "Die Freuden der Pflicht" verbüßt und gleichzeitig die Grundlage für seine Entlassung aus der Besserungsanstalt geschaffen. Er ist ein freier Mann (ähäm, da fällt mir grad auf, als Mann kann ich den gar nicht sehen, ihr etwa?). Und er weiß überhaupt nicht, was er jetzt machen soll.


    Ich habe mir überlegt, ob das vielleicht ein Sinnbild für die Nachkriegsgeneration sein soll. Die Leute, die im Krieg noch Kinder waren, trugen ja keine Schuld am Krieg und mussten trotzdem die Folgen tragen, Buße tun. Und dann, irgendwann waren sie "frei" und mussten sich erst mal selbst finden und lernen, die neue Freiheit zu nutzen und die damit verbundene Verantwortung zu übernehmen? ?( Oder will ich da zu viel interpretieren?


    In einem Punkt hat Siggi auf jeden Fall Recht: Er wird sich nie ganz von Rugbüll lösen können. Das ist einfach so; egal wohin man geht, man nimmt sich immer selber mit und seine Ängste, Probleme, die Vergangenheit.


    Zitat

    Original von Nicole:
    Ein Satz, über den ich lange gerätselt habe und der mir überhaupt keinen Sinn macht: Wer schwärzt die Weiden zur Nacht, wer berennt den Schuppen?


    Was bedeutet das??? :help


    Ich weiß gar nicht, ob es den Satz in meinem Buch gibt. Ich fürchte, ich habe gegen Ende nicht mehr so gründlich gelesen. :vergrab

  • Im letzten Abschnitt wird endlich klar, warum Siggi in der Erziehungsanstalt ist: Er hat Bilderdiebstähle begangen.
    Siggi selbst sieht es nicht als Diebstahl, sondern als Rettung der Bilder vor seinem Vater. Er beschreibt die Flammen, die das Bild angreifen, und hier sehe ich eine Parallele zu der brennenden Mühle, die sozusagen auslösender Moment war. Siggi vermutet, dass Jepsen senior die Mühle angezündet hat und somit stehen die Flammen in den Bildern für eine Bedrohung durch den Vater.


    Ehrlich gesagt, bei so einem Vater würde ich auch verrückt werden. :pille


    Richtig interessant fand ich die Stelle, die Geli auch schon erwähnt hat.
    Siggi erkennt, dass er stellvertretend die Schuld seines Vaters absitzt. Ab einem gewissen Alter komme man nicht mehr in eine Erziehungsanstalt, aber Siggi ist jung und sozusagen noch "formbar".

  • Zitat

    Original von Ida


    Ich habe mir überlegt, ob das vielleicht ein Sinnbild für die Nachkriegsgeneration sein soll. Die Leute, die im Krieg noch Kinder waren, trugen ja keine Schuld am Krieg und mussten trotzdem die Folgen tragen, Buße tun. Und dann, irgendwann waren sie "frei" und mussten sich erst mal selbst finden und lernen, die neue Freiheit zu nutzen und die damit verbundene Verantwortung zu übernehmen? ?( Oder will ich da zu viel interpretieren?


    M.E. nicht, das Buch ist 1968 erschienen, da passt dieser Gedanke genau.