Pierre Mérot: Säugetiere

  • Der "Onkel", wie er genannt wird und dessen richtigen Namen der Leser
    nicht erfährt, ist um die vierzig, Akademiker, Alkoholiker, promisk,
    meistens arbeitslos, in oder auf der Suche nach einem Job, der ihm keinen
    Ehrgeiz abverlangt. Er ist Bestandteil einer amorphen Familie, für die er
    das "schwarze Schaf" repräsentiert, gelegentlich führt er eine neue
    Eroberung vor, wohnt auch für ein paar Wochen wieder bei der Mama, um sich
    im Anschluß in die nächste Amoure zu stürzen und nächtelang
    hektoliterweise zu saufen. In Rückblenden und Gegenwartsepisoden erzählt
    der "Onkel" von sich selbst, kommentiert und erläutert, schwadroniert und
    philosophiert.


    Mérots Buch ist in Frankreich umjubelt, gefeiert, gelobt und geächtet
    worden - und natürlich war der Houellebeqc-Vergleich schnell bei der Hand.
    Vergleiche sind so eine Sache. Während Houellebeqc die Schärfe seiner
    beurteilenden Betrachtungen aus hoher Eloquenz, gnadenlosem Umgang mit den
    eigenen Figuren und halbwissenschaftlichem Beiwerk komponiert, läßt Mérot
    einzig seinen Protagonisten - aus dessen Sicht, manchmal aber auch ganz
    allgemein dozierend - ein zynisches, asoziales, herablassendes Weltbild
    formulieren. In sehr unliterarischer, halbessayistischer, oft sehr
    einfacher Sprache, durchmischt mit Aphorismen und erschreckend gemeinten
    Feststellungen diagnostiziert der Onkel, wie die Welt ist, insbesondere
    das als sinngebend verstandene Gefüge der Familie, jener Säugetiere, die
    nun einmal andere zeugen - und damit konkrete Erwartungen verbinden. Der
    "Onkel" ist es, der das Gefüge mißachtet und alle Erwartungen mißerfüllt.
    Er soll als derjenige verstanden werden, der die großen Lügen hinter
    diesen, eigentlich *allen* sozialen Gebäuden offenbart.


    Beim Lesen fragt man sich gehäuft: Warum? Was soll das? Ist es als
    Haßtirade gemeint, als Bestandsaufnahme, was soll dieses aufgesetzt-
    entlarvende Geschwafel über Liebe, Ehrgeiz, Bindung und Strukturen?
    Ob Mérot über Kneipen schwätzt oder über Schulen, es nimmt sich
    nichts; die vermeintlichen Bindungen werden als nichtexistent
    ermittelt, die Menschen allgemein als Lügner, mindestens
    Selbstbetrüger, der Weg des Onkels, die Verweigerung auf
    niedrigstmöglichem Niveau, als der Weg aus der Misere verkauft. Das
    hätte ja noch lustig sein können, intelligent, ironisch, sarkastisch,
    *irgendwie* humorvoll, aber es ist leider extrem langweilig, emotionslos,
    bar jeder Empathie, eine Haudrauftbeschimpfung ohne Anfang und Ende,
    zuweilen sehr mäßig erzählt.