Taichi Yamada - Sommer mit Fremden

  • Sommer unter Fremden ist das erste Buch des Japaners Taichi Yamada, einem der bedeutendsten Schriftsteller der japanischen Gegenwartsliteratur, das 2007 in Deutschland veröffentlicht wurde.


    Der Drehbuchautor Harada befindet sich an einen Scheideweg seines Lebens, alles in seinem Leben hat sich verändert. Nach der ersehnten Scheidung von seiner Frau, die ihn quasi finanziell ruiniert hat, fühlt er sich zunächst befreit. Er zieht alleine in sein ehemaliges Büro in einem Bürokomplex in Tokio, direkt an einer lärmenden Verkehrsader, und vergräbt sich in seiner Arbeit. Abends erscheint ihm die Stille und die Einsamkeit des Hauses jedoch langsam immer bedrückender. Die einzige Mitbewohnerin, wohnt im dritten Stock des Gebäudes. Doch trotz der beängstigenden Stille und seinen Ängsten möchte er lieber alleine sein. Als die Nachbarin eines Tages mit einer Flasche Sekt angetrunken vor seiner Tür steht, wimmelt er sie ab. Dann besucht ihn auch noch Mamiya, sein Kollege, um ihm mitzuteilen, dass er die Zusammenarbeit ihm ihm kündigt, weil er ein Verhältnis mit seiner Ex-Frau hat. Frustriert streift er durch die Strassen Tokios und landet in dem Viertel in dem er aufgewachsen ist. Bei einem Besuch in einem Theater sieht er in den Reihen gegenüber seinen toten Vater, obwohl der 47 jährige Mann seine Eltern mit 12 Jahren durch einen Unfall verloren hat. Sein Vater lädt ihn nach Hause ein. Zwar traut Harada seinen angegriffenen Sinnen nicht mehr, aber die Freude darüber seine totgeglaubten Eltern wieder zu sehen ist übermächtig. Nach jedem Besuch bei seinem Eltern sagen ihm jedoch stets Freunde und Bekannte, er wäre so blass, dünn und stark gealtert, obwohl er sich selbst normal fühlt und sich auch so im Spiegel sieht. Die Grenze zwischen Traum und Realität verwischt sich immer mehr. Aber was geschieht wirklich bei den geheimnisvollen Besuchen und was geschieht mit ihm selbst?


    Nach Yamadas Sommer mit Fremden hätte sich Alfred Hitchcock alle Finger geleckt. Man merkt das Yamada selbst preisgekrönter Drehbuchautor ist, denn er versteht es meisterhaft bildhaft seine brillant düstere Atmosphäre zu zeichnen, so dass man die Geschichte quasi schon wie in einem hitchcockesken Gruselschocker vor sich sieht. Die Spannung hält den Leser bis zur letzten Minute gefangen in dieser Zwischenwelt, zwischen Traum, Wahn und Realität, bis zum fulminanten Ende, dass die Geschichte perfekt abrundet. An diesem perfekt inszenierten Roman wird sowohl der Freund von klassischen Schauerromanen, wie auch der Liebhaber moderner Gegenwartsliteratur seine Freude haben. Noch zwei weitere Romane von Yamada sollen in nächster Zeit veröffentlicht werden. Ich freu mich schon sehr darauf! Mein absoluter Geheim-Lesetipp!

  • Grade wieder entdeckt den Thread und bemerkt, dass ich ja noch eine Meinung schuldig bin ...


    Salomes Rezi ist fast nichts hinzuzufügen, allerdings war ich etwas enttäuscht, dass die Atmosphäre, die Yamada brilliant aufzubauen versteht, sich nicht auch auf das Gefühlsleben der Figuren bezieht. Dessen Schilderung blieb für mich sehr kalt und teilweise unmotiviert.
    Das Ende war für meinen Geschmack einen Tick zu abstrus, alles in allem aber ein dichtes, fesselndes, düsteres Leseerlebnis.

    Man muss ins Gelingen verliebt sein,
    nicht ins Scheitern.
    Ernst Bloch

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  • „Sommer mit Fremden“ ist ein merkwürdiges Buch. Merkwürdig im Sinne von sonderbar, aber auch des Merkens würdig.


    Harada, ein Drehbuchautor Ende 40, wurde soeben von seiner Frau geschieden und wohnt seitdem in einer kleinen Wohnung in einem Bürogebäude. Die Stille, die dort nachts herrscht, ist ihm unheimlich, doch wie sich bald herausstellt, ist Harada nicht der einzige Bewohner des Hauses. Eines Abends steht seine Nachbarin Kei vor der Tür und bietet ihm an, zusammen etwas zu trinken. Nach anfänglichem Zögern entwickelt sich zwischen den beiden eine Liebesgeschichte und Kei ist es auch, die als erste davon erfährt, dass Harada seine Eltern wieder gefunden hat. Das wäre an sich nicht weiter verwunderlich, allerdings ist das Ehepaar seit über 30 Jahren tot und je öfter sich Harada mit ihnen trifft, desto schwächer wird er.
    Kei versucht ihren Geliebten von den bösen Geistern zu befreien, doch die lassen sich nicht so leicht vertreiben…


    Als ich die ersten Kapitel von „Sommer mit Fremden“ las, war ich mir zunächst unschlüssig, ob mir das Buch wirklich gefällt. Yamada schreibt sehr ruhig und bedacht, sodass seine Hauptfigur Harada stets etwas schwermütig scheint und dessen Eindrücke genauestens beschrieben werden. Dadurch hat man als Leser zwar ein detailliertes Bild vom Alltag des Drehbuchautors und der Umgebung, in der er lebt, doch zugleich fehlte mir in diesen monologartigen Passagen die Lebendigkeit.


    Je weiter die Handlung jedoch voranschreitet, desto interessanter wird es. Die Ereignisse entwickeln sich zu etwas Rätselhaftem, das mit dem bloßen Verstand nicht greifbar ist und doch sehr realistisch wirkt. Genau wie Harada fragt man sich, was hinter der Begegnung mit seinen Eltern steckt und ob er sich alles bloß einbildet. Warum erschrecken seine Mitmenschen bei seinem Anblick, während er selbst im Spiegel nichts Ungewöhnliches erkennen kann?


    Bevor Harada sich vollkommen verliert, fängt Kei ihn auf. Die junge Frau ist genauso einsam wie er und so klammern sie sich aneinander fest, um diesen Zustand erträglicher zu machen. Wie ein roter Faden zieht sich die Einsamkeit durch das Buch und gäbe es nicht die überraschenden Wendungen in der Handlung, hätte die Geschichte wahrscheinlich eine sehr trostlose Wirkung auf mich gehabt. Doch eben jene Wendungen in Kombination mit der Trostlosigkeit machen „Sommer mit Fremden“ zu etwas Besonderem. Der Alltag wandelt sich zu etwas Rätselhaftem und das Rätselhafte mündet in ein überaus unheimliches Finale. Wer Phantasie hat, wird bei diesem Finale genau wie ich eine Gänsehaut haben und vielleicht sogar etwas schneller durch die Dunkelheit huschen als sonst.


    Alles in allem ist „Sommer mit Fremden“ eine Geistergeschichte auf gehobenerem Niveau. Empfand ich den Einstieg zunächst als etwas leblos, konnte ich mich irgendwann dem geheimnisvollen Sog der Handlung nicht mehr entziehen. Der Spannungsbogen ist so konstruiert, dass einen das Unheimliche kalt erwischt und somit eine Wirkung erzielt, die man zu Beginn des Buches nicht erwartet.


    Eine höchst merkwürdige Geschichte mit effektvollen Wendungen!