Gefangen in der Fremde – Lisa Saint Aubin de Terán

  • Gefangen in der Fremde



    Lisa St Aubin, Engländerin, schüchtern und naiv, heiratet mit 18 Jahren Jaime de Terán, einen doppelt so alten venezolanischen Macho, auf dessen Sprüche und Versprechungen sie reinfällt. Er nimmt sie mit in die venezolanischen Anden, wo die Familie Terán eine gottgleiche Existenz als gefürchtete Haciendabesitzer führen. Die gesamte Familiengeschichte ist von Inzest und Exzentrikern geprägt und Lisa wird kalt und lieblos dem Clan als Beute überlassen. Sie zieht mit ihrem Mann auf eine Hacienda und ist die meiste Zeit sich selbst überlassen, da ihr Mann, wie sie später feststellen wird, schizophren ist, voller Merkwürdigkeiten und Gewalttätigkeiten und oft abwesend.


    So muß sie sich sehr mühsam, fast ohne Hilfe und Mitgefühl durch den komplizierten, sozialen Verhaltenskodex dieser sehr festgefügten Gemeinschaft durchtasten, Spanisch lernen, sich allmählich mit den Leuten anfreunden, was ihr sehr erschwert wird, weil sie eine Fremde ist und lange Zeit kein Kind bekommt. In diesem autobiographischen Roman beschreibt sie auf sehr interessante, poetische Weise ihre 7 Jahre auf dieser Hacienda, ihr langsames Hineingleiten in den trägen, monotonen Alltag, der überwiegend von den sogenannten "moliendas" - Zuckergewinnung - geprägt ist. Sie pflanzt Avocados an, züchtet Schafe, übernimmt ganz allmählich im Laufe der Zeit und mit steigender Akzeptanz der Leute die Hacienda, da ihr Mann unfähig, abwesend und gestört ist und jeder froh ist, wenn er weg ist.


    Als sie dann endlich schwanger wird und eine Tochter bekommt, erleichtert ihr das die Integration. Lisa ist eine Optimistin, sie beschreibt sachlich, oft poetisch ihren Alltag, die Kämpfe gegen diverse Tiere wie Kakerlaken, Ameisen, Heuschrecken etc. - ihre Tiere, die sie beherbergt und die ihr mehr Verdruß bereiten als Freude, wie z.B. die beißwütigen Beaggles, die alles durchnagen und ausbuddeln oder den eifersüchtigen, äußerst aggressiven Geier Napoleon, der keinen mag und jeden jagt. Lisa verliert nicht den Mut, obwohl sie oft an Depressionen leidet und mit der Zeit eine schwere Nierenerkrankung bekommt.


    Als ihr Mann völlig dem Wahnsinn verfällt und Lisa in einem anderen Haus von ihm entfernt nur noch mit einer Waffe neben dem Bett schläft, plant sie ihre Flucht - dank ihrer Nierenerkrankung, die im Ausland behandelt werden muß, gelingt ihr und ihrer Tochter dann die Rückkehr nach England, immer in Angst vor ihrem verrückten, gewalttätigen Ehemann, der drohte sie umzubringen, wenn sie ihn verläßt, denn einen de Terán verläßt man nicht lebend. Um mit all dem fertigzuwerden, flüchtet Lisa sich in Bücher und Schriftstellerei und schreibt regelmäßig als Ausgleich an ihre Mutter in England.


    Ein Buch, das auch für Menschen aufschlußreich ist, die nie in Venezuela waren und das eine Lebens- und Sichtweise vermittelt, die auf Europäer sehr ungewöhnlich und fremd wirkt. Sehr empfehlenswert.