Krill. Erzählungen - Michael Weins

  • Krill, so informiert eine ein kleiner Artikel auf der letzten Seite dieses schmalen Bändchens, bezeichnet im engeren Sinne Kleinkrebse, Teile des Planktons. Sie besitzen Leuchtorgane und dienen Fischen wie dem Hering oder aber Walen als Nahrung. Ihr Nährstoffgehalt soll hoch sein.


    Das trifft für die 21 Kurzgeschichten, die hier abgedruckt wurden, leider nicht zu. Sie sind eine kunterbunte Mischung über Lieben und Leiden, von Frauen, Männern, Kindern, Pubertierenden am Anderen und an sich. Jede Schattierung zeitgeistiger Befindlichkeit wird abgearbeitet. Der vom Ehemann bezahlte Ehebruch, das Alkoholiker-Ehepaar, der verstörte Witwer, die schwulen Jugendlichen, Menschen mit psychischen Krankheiten, die sehnsüchtigen jungen Leute aus Polen oder Rußland, der an Schreibblockade leidende Autor, der an Zeugungsunfähigkeit Leidende. Es gibt Varianten, die sich der Versatzstücke aus Märchen; Religion und Fantasy bedienen, um die dunklen Abgründe von Pädophilie und Vergewaltigung abzudecken. Allerdings sind diese Geschichten nicht deshalb dunkel, weil etwa Tiefen ausgelotet werden würden, sondern weil der Autor vergessen hat, das Licht einzuschalten und daher übersehen, daß der Boden glatt und ebenerdig ist.


    Hier schreibt einer aus vermittelter Erfahrung, müht sich ab an Gefühlen aus der Konserve. Er tut, was heutzutage Hunderte ambitionierter Autorinnen und Autoren tun, im Fernsehen, im Internet, in Zeitschriften, im Radio. Sie alle geben ein unbestimmtes Erfühlen einer vage erfaßten Bedeutung eines beliebigen Geschehnisses wider.


    Es gibt Medien, die solchen Erzeugnissen Bedeutung verleihen können, indem sie sie mit Musik unterlegen. Bei einem reinen Druckerzeugnis ist das nicht möglich, hier müßte die Sprache der kärglichen Vorlage aufhelfen. Auf diesem Gebiet bemüht sich der Autor, so sehr, daß man streckenweise richtig mitleidet. Es gibt lange Beschreibungen, voll Tiefsinn, Bedeutung und Symbolik. Ihr Gehalt aber verflüchtigt sich, wenn man nur mit der Fingerspitze darantippt. Kurze Sätze werden eingeworfen oder an den Schluß der Geschichte gestellt, die Erkenntnis als Donnerschlag geliefert. Leider hört man de facto nur ein Kieselsteinchen davonkullern.
    Tatsächlich ist die Sprache ebenso unpräzise, wie die Gedanken, die hinter den Worten stecken. Die Formulierungen liegen oft haarscharf daneben. Man weiß immer, was der Autor gemeint hat, man wundert sich bald nur, warum er es einer denn nicht sagt. Meist aber ersticken sie einfach im Konventionellen.


    Manchmal jedoch blitzt etwas auf, hinter all dem Schwammigem, bei dem man das Gefühl bekommt, daß hier doch einer dahintersteckt, der mehr kann. Etwa in der ersten Geschichte Delfinarium, in der trotz der äußerst konventionellen Darstellung und biederen Sprache doch noch ein Dreiecksverhältnis voller Spannung, Spannungen und Tragik deutlich wird. In Russland am Meer ertrinkt die Beschreibung einer echten Freundschaft fast in Wörtern, aber sie ist dennoch spürbar, etwas Echtes treibt da im schmutzigen Schaum der Worte. Ähnlich wahrhaftig lauert die Schilderung vom Ende einer Freundschaft in Zedern, die auf Schnee fallen, für einmal auch ein Titel, der einiges an Originalität enthält, auch wenn der Text selbst gleichfalls fast völlig unter der glatten Schneedecke des Konventionellen vergraben liegt.


    Überzeugend ebenfalls jener Ich-Erzähler, der so gern glauben möchte, daß die Perle, die ihm ein ‚weiser Inder’ aufschwatzt, magisch ist. (Die heilige Musik der Derwische). Die Art, wie der Autor ihn sprechen läßt hat allerdings nichts Magisches. Der Text ist so sperrig und gestelzt formuliert, daß die Lektüre schmerzt, und das alles nur, um ihr das zu verliehen, was man heutzutage unter ‚Bedeutung’ versteht. So, wie die Geschichte formuliert ist, wirkt sie eher aufgeblasen. Um echte Bedeutung zu schaffen, müßte der Autor den Appell, den er seine Figur an sich selber richten läßt, beherzigen. ... aber dazu müsste ich mich konzentrieren.


    Genau das ist es. Hier fehlt Konzentration. Konzentration auf ein Thema, Konzentration auf die Formulierungen. Hier wurde um jeden Preis über alles geschrieben, über das man als junger Autor heutzutage eben schreiben muß. Seit es Satelliten-Fernsehen und Internet gibt, sind wir kundig auf jedem Gebiet, lautet das Glaubensbekenntnis der Schreibenden heute. Und: Jede/r muß über alles schreiben können.
    Was für Unsinn dabei herauskommt, beweist dieser Erzählband. Schreiben ist eben keine Glaubenssache.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus