Zwölfhundertachzig schwarze Seelen - Jim Thompson

  • Der Autor: Der 1906 in Oklahoma geborene Thompson ist der wohl eigentümlichste unter den Noir-Autoren der Nach-Chandler-Generation, bei denen nicht unbedingt ein Verbrechen im Fordergrund steht sondern das Umfeld und die Umstände, die zu einem Verbrechen führt.
    Obschon hochintelligent und belesen hatte der junge Jim Probleme in der Schule, er begann früh zu arbeiten und zu reisen:
    Anfang der dreißiger Jahre war er Hotelpage in Texas und arbeitete nebenher als Alkoholschmuggler für die Capone-Organisation.
    In den vierziger Jahren zog er, inzwischen verheiratet, nach Kalifornien und versuchte im Filmgeschäft als Drehbuchautor Fuß zu fassen, was ihm allerdings nicht gelang. Auch seine außergewöhnlichen Romane blieben lange ein Geheimtipp, nur in Europa, vor allem in Frankreich, hatte er Erfolg, er wurde neben David Goodis und einigen anderen zu einer Art Kultautor.
    Thompson, der Zeitlebens immer wieder dem Alkohol verfiel, starb 1977 verarmt und verbittert - er verhungerte.


    Das Buch: 1280 Seelen - so viele Einwohner zählt das kleine Städtchen Pottsville, das irgendwo im Nirgendwo des amerikanischen Südwesten liegt. Hier versieht Sheriff Nick Corey seinen Dienst. Er scheint etwas einfältig zu sein, ein gutmütiger Kerl, der keinem etwas böses will. Doch unter dem Sheriffstern an seiner Brust schlägt ein rabenschwarzes Herz - dieser Mann ist bereit alles zu tun, um seine Machtposition zu verteidigen und jeden zugrunde zu richten, der ihm dabei im Weg steht.


    Meine Rezension: Ein Großteil der Noir-Romane hat entweder einen Kriminellen oder eine irgendwie gescheiterte Existenz als Hauptfigur, Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer enttäuscht den Konventionen der Gesellschaft - die sie für heuchlerisch und verlogen halten - entziehen und nach ihren eigenen Regeln leben. Fast allen Gemeinsam ist ihnen das bewahren einer gewissen Würde, selbst die abgefucktesten Typen in einem David-Goodis-Roman können beim Leser noch etwas Empathie hervorrufen, diese Figuren bleiben greifbar und nachvollziehbar, ihre Handlungen haben ihre Wurzeln in ihrer Vergangenheit, die als Rechtfertigung auch für begangene Verbrechen dient.
    Jim Thompson macht es dem Leser sehr viel schwerer, seine Figuren sind fast allesamt auf irgend eine Art korrupt, feige, verlogen und nur auf den eigenen Vorteil bedacht, so gut wie nie findet man bei ihm eine Figur die es dem Leser ermöglicht sich mit ihr zu identifizieren.
    So auch in diesem Buch, in welchem der Sheriff alles dafür tut, seine Machtposition zu halten und zu sichern, und dabei vor keinem noch so miesen Trick zurückschreckt. Dabei hat er im Grunde nichts anderes im Sinn als die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse, Essen, Schlafen und Ficken, und wenn eines dieser Bedürfnisse in Gefahr gerät tauscht er die Person, die es ihm bietet, durch ein gemeines Ränkespiel unter Umständen einfach aus - er mag es bequem und unkompliziert, und da er von niemandem wirklich für voll genommen wird kommt er immer davon.
    Durch diese Art der Personenzeichnung macht es Thompson dem Leser schwer bis unmöglich, tief in seine Geschichten einzutauchen, der Leser bleibt immer unbeteiligter, allenfalls angewiderter, Zuschauer, andererseits ist er vielleicht als Autor sehr viel ehrlicher und realistischer als seine Kollegen. Vieles von dem was er schildert hat Thompson selbst erlebt, die Zustände, die er schildert hat er so oder ähnlich an verschiedenen Orten vorgefunden, er versucht nicht irgendetwas zu beschönigen oder es dem Leser angenehm zu machen, und genau darin liegt für mich der besonderer Reiz seiner Romane - sie sind nicht künstlich, sondern echt.

  • Schöne Buchvorstellung, Bodo. Es ist schon einige Jahre her, seit ich die Bücher von Jim Thompson gelesen habe. Die Hauptfigur von "The Killer Inside Me" ist ähnlich unsympathisch. :grin Aber trotzdem interessant.


    Zitat


    Durch diese Art der Personenzeichnung macht es Thompson dem Leser schwer bis unmöglich, tief in seine Geschichten einzutauchen, der Leser bleibt immer unbeteiligter, allenfalls angewiderter, Zuschauer, andererseits ist er vielleicht als Autor sehr viel ehrlicher und realistischer als seine Kollegen. Vieles von dem was er schildert hat Thompson selbst erlebt, die Zustände, die er schildert hat er so oder ähnlich an verschiedenen Orten vorgefunden, er versucht nicht irgendetwas zu beschönigen oder es dem Leser angenehm zu machen, und genau darin liegt für mich der besonderer Reiz seiner Romane - sie sind nicht künstlich, sondern echt.


    Einen Plot der Haken und Bogen schlägt, und in jedem Kapitel eine neue Überraschung bietet, um den Leser zu halten, oder irgendwelche bluttriefenden Beschreibungen brauche ich persönlich nicht unbedingt in einem Krimi / Thriller. Ich habe nichts dagegen, wenn es gut gemacht ist, nein, wenn der Plotverlauf unlogisch und unrealistisch und geschilderte Brutalität reiner voyeuristischer Selbstzweck sind. In Allerlei Buch gibt es ja gerade die Diskussion Thriller der heutigen Zeit. Vor fünf bis zehn Jahren habe ich einige Bücher von Mo Hayder und Val McDermid gelesen, die ich sehr spannend fand und die mir gefallen haben. Aber wenn jetzt irgendwo "Serienkiller" draufsteht, mache ich mit Sicherheit einen großen Bogen um das Buch.


    Ich mochte aber diese Art von psychologischer Studie in einem Krimi oder Thriller, wie Jim Thompson sie hier zeigt, schon immer. Jim Thompson hat viele seiner Bücher in den 1950er Jahren geschrieben, trotzdem sind sie, Geschichten, die sich mit der menschlichen Psyche beschäftigen, in einer gewissen Weise zeitlos und heute oder in dreißig Jahren noch genauso spannend wie zu ihrer Enstehungszeit. (Diese Zukunftsaussichten würde ich bei den meisten der heutzutage veröffentlichten Thriller allerdings bezweifeln).



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