Robert Gordian - Die Germanin

  • Der Klappentext sagt zum Buch:
    Der jungen Germanin Thusnelda ist von ihrem Vater, dem Cheruskerfürsten Segestes, vorbestimmt, einen römischen Aristokraten zu heiraten. Da begegnet ihr Arminius, ein Stammesgenosse, aber zugleich Offizier in römischen Diensten. Sie verlieben sich ineinander, Arminius hält um Neldas Hand an – doch ihr Vater weist ihn ab. Zwischen dem Römerfreund Segestes und dem künftigen Freiheitshelden der Germanen entwickelt sich ein Konflikt, aus dem bald offene Feindschaft wird. Ein Konflikt, der schließlich in einem der Schlüsselereignisse europäischer Geschichte münden wird: der Varusschlacht.


    Thusnelda ist zwischen Loyalität und Liebe hin- und hergerissen und muss schließlich eine kühne Entscheidung treffen: Wird sie alles opfern für ihre Liebe und ihre Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen?


    Der Verlag bietet auf dieser Seite unter anderem eine Leseprobe zum Buch und ein Interview mit Robert Gordian an.



    Zum Autor verrät das Buch:

    Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Geschichte und Journalistik und war von 1961 bis 1966 als Fernsehredakteur und Theaterdramatur tätig. Seit über 40 Jahren ist er freischaffender Schriftsteller. Zunächst vor allem als Rundfunk- und Fernsehautor tätig, schrieb er bis heute über sechzig Hör- und Fernsehspiele. Seit den 90er Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen, darunter die Merowinger-Tetralogie, vier Romane über die ersten vier Generationen der frühmittelalterlichen Franken-Dynastie. Gordian lebt in Eichwalde bei Berlin.



    Noch ein paar Worte zum Inhalt und meine Gedanken dazu:
    „Vielleicht verlief alles nicht so wie erzählt, sondern ganz anders, doch so könnte es gewesen sein.“ (Seite 242)
    Dieses Buch erzählt das Leben einer Germanin mit Namen Thusnelda. Auf nur 240 Seiten wird ihre Kindheit und Jugend innerhalb ihrer Sippe, ihr Erwachsenwerden, ihre Verbindung mit einem Mann ihrer Wahl, ihre Mutterschaft und auch ihre Gefangenschaft vor mir ausgebreitet. Ein ganzes Leben auf so wenigen Seiten, das kann, so möchte man denken, entweder kein langes oder aber ein vollkommen durchschnittliches, ja langweiliges Leben gewesen sein. Doch das ist es eben nicht, denn die besagte Germanin war nicht nur die Tochter eines mächtiges Fürsten, sondern auch die Gemahlin eines Heerführers – zweier Männer, die verfeindet waren. Der Vater, Segestes, war Römerfreund, seine Tochter war ihm wertvoll, wertvoller fast als der Sohn, denn mit ihr konnte er Bündnisse ganz eigener Art schmieden – Nelda, so wird sie im Buch liebevoll genannt, sollte nach seinem Willen in eine hochgestellte römische Familie einheiraten. Dem Mann, Arminius, dem gebürtigen Cherusker und römischen Offizier, gehört laut Buch Neldas Herz (und ihr das seine). Nelda lernte Arminius als Dreizehnjährige kennen, vergessen können sie einander nicht. Segestes ist nicht sehr davon angetan, dass Arminius sich wohl für seine Tochter zu interessieren beginnt, hat er doch hochfliegendere Pläne, für die sie letztlich nur das Mittel zum Zweck war. Welche Pläne das sind, lässt Robert Gordian Segestes anlässlich der (abgewiesenen) Brautwerbung Arminius andeuten: „Selbstverständlich ist damit die Frage entschieden, welche Sippe die edelste im Stamm der Cherusker ist und wem die Führung zusteht. Diesen Anspruch hatte ich immer, und ich glaube, es gibt niemanden unter unseren Stammesgenossen, der ihn je anzweifelte“ (Seite 66). Die Tochter hat sich seinem Willen zu beugen, ein eigener steht ihr nicht zu, darf sie tunlichst auch nicht äußern. Sie bekommt sogar dieselbe Bildung wie ihr Bruder, damit sie gemäß den väterlichen Plänen für eine römische Familie auch akzeptabel ist.


    Nelda wird als schöne und durchaus eigensinnige Frau präsentiert. Die ihr zugebilligte Ausbildung im Schreiben, Lesen und Sprachen haben sicherlich, so denke ich mir, ihre Fähigkeiten zum eigenständigen Denken gefördert, haben sie Dinge nicht nur wahrnehmen, sondern auch hinterfragen lassen, lässt sie letztendlich auch ihren Platz und ihren Wert erkennen und danach handeln. Und gemäß ihren eigenen Überzeugungen warnt sie schließlich auch Arminius, dass die „Verschwörung“ entdeckt ist und ihr Vater ihn und seine Anhänger bei Varus bloßstellen will. Auch lassen sie diese Überzeugungen letztlich den Schritt tun, für den ihr Vater zum noch erbitterterem Gegner Arminius wird: Sie bleibt bei dem Heerführer, lebt als seine Frau an seiner Seite.


    Arminius schließlich war, so darf ich diesem Buch entnehmen, nicht nur Cheruskerfürst, römischer Offizier und Ritter, Verräter, Aufrührer, Befreier Germaniens, deutscher Held und was nicht sonst alles, sondern auch – ganz schlicht – ein Mensch. Ein Mensch, der mit anderen lachen konnte, der sich sorgte, nicht nur um seine Pläne, sondern auch um andere, die ihm wichtig waren, der nicht nur ehrgeizig war, sondern auch zu trösten verstand. „Wie konnte sie wissen, was ihm im Krieg, im Kampf gegen die Aufständischen in Pannonien begegnet war? Wie viele grauenvolle Eindrücke mochten das strenge, harte Gesicht mit der breiten Narbe geprägt haben? ... Wie viele solcher Hammerschläge hatten das Eisen geschmiedet?“ (Seite 97), diese Fragen stellt sich nicht nur Nelda, sondern sie drängen sich auch mir auf. Wie viel, so frage ich mich, ist nötig, um das, was man immer als gut und richtig akzeptiert hatte, als falsch und verlogen anzusehen? Sich einer Übermacht wie der römischen Armee entgegenzustemmen, braucht es dazu nicht noch mehr als nur Mut, noch mehr als nur Ehrgeiz, noch mehr als das Wissen um die eigenen Schwächen und Stärken? Braucht es dazu nicht vielleicht auch ein Stückchen Verzweiflung ob der manchmal zweifelhaften Rechtsprechung der Römer, dem überaus großen Interesse am Land der germanischen Völker, der Art und Weise, sich dieses anzueignen, an den Tributpflichten und damit zum Teil auch der Versklavung freier Bauern und ihrer Familien?


    Arminius und Nelda leben eine viel zu kurze Zeit zusammen, als sie hochschwanger ist, gerät sie durch eine List wieder in die Gewalt ihres Vaters. Arminius gelingt es nicht, sie zu befreien, er muss sich mit den Römern, die wieder in Germanien einfallen, und auch mit seinen eigenen Gefolgsleuten auseinandersetzen. Auf den letzten ca. 30 Seiten wird berichtet, wie Nelda zusammen mit ihrem Sohn als Geisel des römischen Staates auf einem Gut in der Nähe Roms lebt und wie es ihr gelingt, mit freundlicher und heimlicher Hilfe doch noch einmal Arminius zu sehen, den sie aber nur noch als Sterbenden antrifft.


    Was ich an dem Buch als sehr angenehm empfunden habe, war, dass Robert Gordian es vermieden hat, die verschiedenen Parteien in gut und böse einzuteilen. So gibt es auf beiden Seiten Personen, die mir entweder als verachtenswert – dazu zähle ich neben dem verräterischen Segithank unter anderem auch Segestes – oder als freundlich und liebenswert erscheinen. Zu letzteren gehört nicht völlig überraschenderweise Nelda, es gehört dazu aber auch der Römer Gaius Sempronius, von ihrem Vater als Gatte für sie vorgesehen, der ihr freundlich gesinnt bleibt. Er lässt Menschen auftreten, die um ihres eigenen Vorteils willen mehrfach die Seiten wechseln, aber auch Menschen, die für ihre Überzeugungen einstehen, die bereit sind, sie zu äußern und auch danach zu handeln. Es wird das Leben hauptsächlich der Germanen zur damaligen Zeit gut beschrieben, wobei ich auf Fehler oder Unstimmigkeiten nicht gestoßen bin. Wofür ich außerdem dankbar bin, sind die fehlenden Beschreibungen kriegerischen Handelns, Gewalt wird durchaus in dem Buch verübt, aber das Hauptaugenmerk liegt eben nicht darauf und wird entsprechend sparsam eingesetzt.


    „Vielleicht verlief alles nicht so wie erzählt, sondern ganz anders, doch so könnte es gewesen sein.“ (Seite 242)
    Nun, sicherlich ist Neldas Leben nicht so verlaufen wie erzählt, einiges erschien mir doch etwas weit hergeholt, aber letztlich in die Geschichte passend, wie zum Beispiel die Reise der Heldin, um Arminius noch einmal zu sehen. Wie bitter Unrecht wurde ihr getan, nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch und erst recht im 18. und 19. Jahrhundert.
    Arminius wird nicht so sehr als der ehrgeizige Aufrührer geschildert, sondern es werden auch andere, menschlichere Züge gezeigt. So habe ich ein weiteres Puzzlesteinchen erhalten, um mir mein ganz persönliches Bild von ihm zusammenzusetzen; ich gestehe, die Gestalt, die mir in diesem Buch entgegen trat, ist mir nicht unsympathisch.
    Segestes schließlich ... nun was soll ich sagen, Robert Gordian hat es geschafft, mich an diesen Mann fast verzweifeln zu lassen. Alles hat sich seinen Plänen, seinem Willen unterzuordnen, in seiner Überheblichkeit wähnt er sich schon beinahe als germanischer König, wenn es ihm nur gelingt, Nelda in eine der höchsten römischen Familien zu verheiraten. Wie verachtenswert erscheint mir heute vieles von seinem Handeln, von seinen Überzeugungen, selbst wenn ich davon ausgehen muss, dass das zu den Zeiten als selbstverständlich galt und mehr als selten in Frage gestellt wurde.


    Einen gravierenden Mangel hat „Die Germanin“, für mich ist das Buch eindeutig zu kurz. Die Szenen, die dargestellt werden, sind schon ausführlich, zwischen ihnen liegen zum Teil aber Jahre. Ein schönes Buch, das mir wieder viel Stoff zum Nachdenken beschert hat, dafür bedanke ich mich mit neun Punkten.

  • Danke für die schöne Rezi. Jetzt bin ich mir allerdings immer noch unsicher, ob ich das Buch lesen will oder nicht. Ich habe nun ein bestimmtes Bild von Arminius und weiß noch nicht so recht, ob ich mich der Gefahr aussetzen soll, das zu verändern. Dazu ist "Wolf und Adler" erst zu kurz beendet. Aber für später kann ich mir das schon mal zum Lesen vorstellen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")