Zwischenland - Toni Sala

  • OT: Rodalies 2003


    Der Besitzer einer kleinen Bar in einem Vorort von Barcelona hat genug von seinem Leben als Gastwirt. Ganz abrupt bricht er auf, nimmt den nächstbesten Vorortzug und fährt los. Allerdings nicht ganz ohne Ziel. In der Bar hat er ein Gespräch belauscht, in dem zwei unbekannte Männer einen Einbruch planen, in einem Haus an der nahegelegenen Küste, gleich beim Leuchtturm. Das möchte der Barbesitzer sich ansehen.
    Er findet das Haus, er findet die Männer, zu seiner eigenen Verwunderung greift er ein. Er schlägt einen der Einbrecher nieder und flüchtet mit einem Teil der Beute, Gemälde. Eine Frau, die er zwischenzeitlich in einem kleinen Hotel kennengelernt hat, gesellt sich zu ihm. Sie flüchten gemeinsam, finden Aufnahme im Häuschen eines sehr armselig lebenden alten Mannes und hören von ihm die Geschichte des Malers sowie die des Bilds, das ihnen in die Hände gefallen ist. Es zeigt den toten Sohn des Malers. Die Frau beschließt, zu ihrem Mann zurückzukehren, der alte Mann vermittelt dem Barbesitzer ein Auto, mit dem er die Gegend endgültig verlassen will. Die Frau entscheidet sich anders, sie möchte doch mit ihm fahren. er läßt sie stehen, aber auch er kommt nicht weit. Das Auto versagt seinen Dienst.


    ‚Zwischenland’ ist ein Kurzroman des katalanischen Journalisten und Schriftstellers Toni Sala (Jg. 1969). Er läßt seine namenlosen Protagonisten in der Landschaft zwischen den Rändern des Großstadtmolochs Barcelona und den Resten der Natur an der Küste agieren. Durchzogen ist die Landschaft von Straßen und Schienensträngen (der Originaltitel ist der Name des Bahnnetzes der Vororte ins Umland), seine Personen aber scheinen unfähig, auf diesen Wegen zu einem Ziel zu kommen, das sie zufriedenstellt. Sie weichen ab und verirren sich, landen an unzugänglichen Stellen, z.B. in Dornenhecken. Die Landschaft ist eine Art Irrgarten, ein Entkommen ist unmöglich. Wer auf den vorgezeichneten Wegen bleibt, wird eher Teil eines längst festgelegten Mechanismus, wer abweicht, rennt unweigerlich gegen Mauern. Zugleich sind die Figuren seltsam entscheidungsschwach, allerdings bleibt unklar, ob sie nicht entscheiden können oder es gar nicht wollen. Ob sie die Rolle des Zuschauers oder die Rolle des Handelnden einnehmen, ist allein von Zufallseingebungen abhängig.


    Der Kurzroman wird vom Verlag als literarischer Thriller beworben. Tatsächlich kommt Spannung auf, sie verfliegt allerdings nach der ersten Hälfte, wenn endgültig deutlich ist, daß die Vagheit und der Zufall Programm sind. ‚Literarisch’ für die Umsetzung mag zutreffen, die Sprache ist gewählt, es kommt viel Wetter, Himmel, Fauna und Flora vor. Tatsächlich kommt Atmosphäre auf, vages Grau liegt über allem, das Licht ist selten hell und wenn, dann nur für Sekunden, wie der ´wandernde Leuchtstrahl des Leuchtturms, der für kurze Zeit auf bestimmte Ausschnitte der Landschaft fällt. So unbestimmt und zerflossen wie städtische Randgebiete sind, so unbestimmt ist die Landschaft. Die Verirrten lernen sie kennen, nehmen sie wahr, können auf einmal Erhebungen und Täler unterscheiden, Wiesenboden, Ackerboden, Waldboden. Aber auch das gibt ihnen keine Gefühl des Lebendigen mehr, im Gegenteil erweist sich das ‚Natürliche’ eher als feindselig und letztlich als Teil der Gefängnismauern, die die Menschen umgeben.


    Aber ist das neu? Hin und wieder huscht einer beim Lesen der Verdacht durch den Kopf, daß hier gedankenlos ins 21. Jahrhundert geschleppt wurde, was eine ganz andere Generation vor vielen Jahren und präziser formuliert hat. Verlorenheit, Ziellosigkeit, Sinnlosigkeit. Sind wir wirklich noch nicht weitergekommen, seit sich Estragon und Wladimir am Fuß des Baums niedergelassen haben, um auf Godot zu warten?


    Zudem wird die Geschichte im weiteren Verlauf immer konventioneller. Die Frau, die der Held trifft, ist natürlich Prostituierte gewesen, natürlich ist sie unglücklich, natürlich hofft sie jetzt darauf, von ihm gerettet zu werden. Natürlich hat der Maler einen toten Sohn, natürlich trifft (oder fantasiert herbei) der Protagonist einen Jungen, natürlich wabern Vater-Sohn-Konflikte und Vater-Sohn-Sehnsüchte durch den Text. Sie sind dann so klassisch aufbereitet, dann man sich streckenweise in einem schwachen Kitsch-Film glaubt.


    Die sprachliche Umsetzung angemessen zu beurteilen ist nahezu unmöglich, da es sich um eine Übersetzung aus dem Katalanischen handelt. Bei aller Rücksichtnahme und Vorsicht kann man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß stellenweise bewußt gekünstelt wurde, um Bedeutung herbeizuzaubern. Und nein, untereinander gesetzte kurze Sätze machen aus einem Text kein Gedicht, immer noch nicht. Im Gegenteil verleihen sie gerade der Schlußszene einen männlich-markigen schicksalshaften Ton, (‚lakonisch’ heißt das in der heutigen Feuilletonsprache), den man aus alten Western kennt oder sog. Noirs unter den Kriminalfilmen. Also auch im Süden nichts Neues.


    Bei der Darstellung muß man sich ständig wehren gegen Versatzstücke aus dem Bereich der plattesten Symbolik, das Pferdemotiv, etwa oder die dornenübersäte Haut der Frau nach einem Ausflug in die freie Wildbahn, um nur die aufzuführen, die am dicksten aufgetragen wirken. Es gibt keine verläßlichen Hinweise darauf, ob es beabsichtig ist, daß man beim Lesen gegen die eigenen Erwartungen angehen soll, daß also das Pferd ein Pferd ein Pferd ist und nichts sonst, oder ob das alles eine tiefe Bedeutung hat. Ist der Leuchtturm denn nur ein Leuchtturm oder aber der Fingerzeig auf etwas, das man nie wird erhaschen können? Warum denkt der Protagonist beim Gang durch den nächtlichen Wald auf einmal an Köpfe eingegrabener Menschen? Ist das ein Zeichen für seine eigene Eingeengtheit, Folge eines Traumas oder nur ein leichter Mißgriff des Autors, um das Unheimliche einer Szene zu steigern?


    Am Ende ist man nicht einmal mehr sicher, ob die Hauptfigur nicht alles nur geträumt hat. Oder ob das neuerliche Ziel, das zugleich ein älteres war, nicht erreicht werden kann, selbst wenn man davorsteht, weil nie ein Ziel tatsächlich erreicht werden kann.
    Man ist beim Lesen der Geschichte doch sehr alleingelassen. Es gibt zu viele Fragen. Allerdings erweisen sich weder die Handlung noch die Figuren als genügend interessant, so daß man sich ernsthaft daran machen würde, sie zu beantworten. Dem Protagonisten scheint sein Scheitern seltsam gleichgültig. Eben dieses Gefühl bleibt auch nach dem Lesen dieses Kurzromans in einer zurück.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus