Die Welt als Wille & Wahn. Elemente zur Naturgeschichte eines Clans - Niklaus Meienberg

  • Klappentext:
    Was ist das: ein Clan? Kann man sich ein solches Gebilde als Jumbofamilie vorstellen? Oder als Mehrstufenrakete? (Erste und zweite Stufe: 19. Jahrhundert). Oder als Tausendfüssler (Tatzelwurm), der siegesgewiss durchs Jahrhundert knirscht? (Stark gepanzert, und mit kleinen Sehschlitzen, wei ein Tank?)
    Jede und Jeder gehört zu einem Clan, hat Grossvater/Grossmutter im Stammbaum, meist auch Onkels, Tanten, Cousinen, Neffen und Nichten.
    Aber wenn ein Clan Wille-von Bismarck heisst, und später Rieters, Schwarzenbachs, von Weizsäckers, von Erlachs angekoppelt werden, dann sind die Macht- und Reichtumsverhältnisse anders als bei Müllers und Meiers und Meienbergs. Dann wird die Clan-Geschichte zur Schweizer Geschichte, oder auch zur deutschen.


    Der Autor
    (* 11. Mai 1940 in St. Gallen; † 22. September 1993 in Zürich) war ein Schweizer Historiker, Schriftsteller und Journalist.
    Meienberg lebte in Zürich und veröffentlichte zu Lebzeiten 14 Bücher und zahlreiche Reportagen. Seine Arbeiten über die jüngere schweizerische Vergangenheit haben massgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung der Schweiz im 20. Jahrhundert beigetragen. Seine engagierten, angriffigen und sprachlich geschliffenen Texte gelten bis heute als Musterbeispiele eines investigativen Journalismus und geniessen in Journalistenschulen grossen Stellenwert.


    Eigene Meinung:
    Ergänzend zur Biografie über Renée Schwarzenbach-Wille habe ich noch einmal Niklaus Meienbergs Buch über den Wille-Clan gelesen…..als Contra-Punkt sozusagen.


    Als dieses Buch 1987 herauskam, da schlug es ein wie „eine Bombe“. (Scheint etwas abzufärben, wenn ich mich mit solchen "Kriegsbegeisterten" beschäftige) :rolleyes Eine Welle der Entrüstung ging durch die helvetischen Gemüter und zwar von links bis rechts und selbst die unpolitischsten Eidgenossen wurden durch dieses Buch aufgeschreckt.
    Die Linken waren natürlich hochzufrieden, dass da endlich mal einer den Mut hat, die Machenschaften und die ganze Verfilzung gewisser politischer, militärischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Kreise aufzudecken.
    Die Rechten hingegen bezeichneten ihn als „Nestbeschmutzer“….zusätzlich dazu bekam er sogar noch Morddrohungen.


    Ueber den Meienberg kann man sich schon streiten. Mir persönlich war er in seinen Intentionen doch meistens auch zu übertrieben polemisch-suggerierend. Solcherart schriftstellerisches Vorgehen kommt mir halt immer bisschen so vor, als wollten die Autoren – er ist damit ja nicht alleine - dem Leser ihre eigene Sicht der Dinge aufdrängen/einhämmern.
    Jedoch der ganze Aufbau seiner Bücher und seiner Reportagen in den Zeitungen, sowie sein Schreibstil sind einfach unnachahmlich pfiffig. Ein Genuss, selbst wenn man sein "ruppiges" Vorgehen und seine Ansichten nicht alle teilen kann.


    Dieses Buch über den Wille-Clan fängt bei Ulrich Wille an, Schweizer General im 1. Weltkrieg und es schliesst auch seine Söhne und Töchter, deren Lebenspartner und Kinder mit ein….und es hat eigentlich nur durch einen unglaublichen Zufall entstehen können, denn bis dahin wurden „problematische“ Dokumente/Briefe etc. von der Familie unter Verschluss gehalten. Nur gerade den „wohlgesinnten“ Historikern wurde hie und da mal Zugang gewährt, und selbst dann wurde nicht alles gezeigt.


    Der Niklaus Meienberg musste schon seit längerer Zeit hinter dem Wille-Clan her gewesen sein, hatte bestimmt schon einiges an brisantem Material zusammengetragen, doch fehlte ihm einfach noch das Pünktchen auf dem „i“ um darüber ein Buch zu schreiben.
    1987 fand im Ortsmuseum Meilen/ZH von Januar bis März eine Ausstellung statt, in welcher Familienstücke aus dem wille’schen Nachlass gezeigt wurden: Uniformen, Zinnsoldaten, Säbel etc. Selbst einige Schnauzhaare des Generals waren mit dabei, die ein Coiffeur aus Verehrung aufbewahrt hatte. :pille Des Weiteren konnten auch viele Schriftstücke, Diplome, Bilder, Möbel "beaugapfelt" werden.
    Auf dem Stehpult des Generals stand ein hochformatiges, in Leder gebundenes Buch mit dem Prägedruck „Briefe des Generals an seine Frau 1914 – 1918“, genau jene berühmten Generalsbriefe von denen man nur schon das eine und andere gehört hat, die aber bisher auch unter strengstem Verschluss gehalten wurden.
    Ein gefundenes Fressen natürlich für den Meienberg, er schreibt dazu: „Die wachhabende Aufsichtsperson des Ortsmuseums Meilen hatte das Buch noch nie aufgeblättert gehabt, freute sich aber, dass sein Inhalt dem Fotografen Roland Gretler und mir so gut gefiel, und hatte nichts dagegen einzuwenden, dass ich, am Stehpult und z. T. mit einem ebenfalls ausgestellten Original-Farbstift des Generals (Modell 1918, rot) einige Passagen exerpierte und Roland Gretler ein paar Dutzend Seiten integral fotografierte (einen repräsentativen Querschnitt der Briefe von 1916 – 18). Zuvorkommenderweise hatte jemand auch den Bief des Oberstkorpskommandanten vom 2. April 1946 an Isi von Erlach in diesem Buch aufbewahrt (aus welchem hervorgeht, warum die Generalsbriefe nicht veröffentlicht werden dürfen). Weil wir unter Zeitdruck standen und die Situation bei unserem zweiten Besuch doch etwas prekär wurde, konnten auf diese Weise nur etwa zehn Prozent der vorhandenen Briefe kopiert werden: darunter aber einige der schönsten. Für die Periode des Landesstreiks sind alle Briefe lückenlos erfasst. – Jürg Wille hat sich dann im Mai 1987 im Fernsehen dahingehend geäussert, dass er die Briefe seines Grossvaters nur ausgestellt habe, damit sich die Besucher eine Idee vom „Volumen“ der Generalsbriefe machen konnten (von aussen: exogene Wissenschaft). Keinesfalls sei damit zu rechnen gewesen, dass jemand die Briefe auch „lesen“ wolle, und von zweitausend Ausstellungsbesuchern hätten sich denn auch wirklich alle, ausser zweien, normal verhalten.“ :grin


    Und dann muss es schlagartig vorwärts gegangen sein mit dem Schreiben des Wille-Buches, denn es ist noch in demselben Jahr herausgekommen.


    Der General Wille war ja bekannt dafür, dass er mit seinen Aussagen auch in der Oeffentlichkeit immer mal wieder ins Fettnäpfchen getrampelt ist. In den Briefen an seine Frau, die seine intimste Vertraute war, hat er überhaupt kein Blatt mehr vor den Mund genommen. Da ist von „linken Schweinehunden“ die Rede, von „Judenpack“ und derartigem mehr. Er erklärt ihr seine Strategien von hinterhältigsten Ränkespielen die er innerhalb der Armee und der Politik in Angriff genommen hat. Es geht auch daraus hervor, dass die Landesregierung von einem hohen Armeearzt darüber informiert worden ist, dass der General ganz eindeutig an Arteriosklerose leide.
    Er wurde aber nicht abgesetzt, sondern in seinem verantwortungsvollen Posten belassen bis zum Kriegsende. Unglaublich so was…..!!!!


    Und dann all diese Verfilzungen mit anderen einflussreichen Famlien der politischen, wirtschaftlichen und auch der kulturellen Schweiz und Deutschlands. Das geschah vor allem durchs Einheiraten und den damit verbundenen Möglichkeiten, noch mehr Verbändelungen zu knüpfen, noch mehr Einfluss nehmen zu können. Da tauchen Namen auf wie: Bismarck (die Frau des Generals kam aus dieser Familie) Richard Wagner mitsamt seine nazifreundlichen Nachkommen. Dann viele Namen Schweizerischer Grossindustrieller wie Boveri, Rieter, Schoeller, Schwarzenbach….und jede Menge von Leuten, die dem Nationalsozialismus verbunden waren. Allen voran der Hitler und der Rudolf Hess, die beiden waren 1923 bei ihrer Anhänger- und Geldsammeltour durch die Schweiz auch im Hause der Willes zu Gast und brachten dort einiges an finanz. Unterstützung und an Zustimmung für ihre „Pläne“ zusammen.


    Die allerfragwürdigste Person in diesem Wille-Clan ist für mich einer der Söhne des Generals, Ulrich Wille II. Der bekleidete während des 2. Weltkriegs auch einen hohen militärischen Rang, und er hätte es am liebsten gesehen, wenn sich die Schweiz Hitler-Deutschland angeschlossen hätte. Er hat auch einiges dafür unternommen, was eigentlich einen Verrat an der Schweizerischen Demokratie bedeutete. Obwohl einiges von seinen Machenschaften bekannt wurde, es wurde letztlich alles unter den Tisch gekehrt.
    Demgegenüber wurde während des Krieges der eine und andere "Landesverräter" erschossen. Alles kleine Fische im Vergleich zu dem was Wille II. sich erlaubt hat.


    Eine der Töchter von Ulrich Wille II. heiratete Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker, der in den Jahren 1939-45 massgeblich an der sog. „Technischen Nutzbarkeit von Atomenergie“ beteiligt war, d.h. er versuchte mit Physikern zusammen eine Atombombe zu „basteln“…kam dann deswegen nach dem Krieg für einige Zeit in britische Untersuchungshaft.
    Eine andere Tochter v. Ulrich II ehelichte einen Pastor Bodelschwingh, einen Spross aus der Bodelschwingh-Familie, welche bis in die Nazizeit hinein die sogen. Bodelschwingh’schen Anstalten leiteten, Heime für „Behinderte, Vagabunden und Geisteskranke“. Diese Häuser waren sehr religiös geprägt und galten als vorbildlich human.
    Man weiss ja nun, was während der Nazizeit mit diesen Menschen passiert ist. Meienberg schreibt dazu, dass der Pastor Bodelschwingh lange versucht hat, den Kreis der Todeskandidaten einzuschränken. Doch stellt der Autor auch die Frage in den Raum, inwieweit die Fam. Wille von den Euthanasie-Aktionen der Nazis informiert war, derweil ihre Nazi-Begeisterung ungebrochen angehalten hat.


    Und dann liest man noch über eine Sache, die mich über alles hinaus noch zusätzlich schockiert hat. Es gibt in der Schweizer Geschichte des letzten Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem Sozialwerk PRO JUVENTUTE ein ganz dunkles Kapitel, jenes Projekt KINDER DER LANDSTRASSE, im Zuge dessen man den Fahrenden über Jahrzehnte einfach ihre Kinder weggenommen und fremdplatziert hat. Die Eltern wussten nicht, wo die Kinder hingekommen sind, die meisten dieser Kinder haben ihre Eltern nie mehr wieder gesehen….
    Dieses „Projekt“ wurde von Ulrich Wille II, Mitglied des Stiftungsrates von PRO JUVENTUTE und dem einen und anderen Mitglied des Wille-Clans massgeblich unterstützt und gefördert.


    Ja, mir sind beim Lesen dieses Buches die Haare ganz oft zu Berge gestanden….


    Spannend und hochinteressant ist es alleweil dieses Buch und eigentlich für jeden sehr verständlich geschrieben.... auch für diejenigen, die mit politischen Abhandlungen/Aufarbeitungen/Zusammenhängen nicht viel anfangen können.
    Was mir halt persönlich bei solcherart Büchern etwas zu schaffen macht, dass ich nachher meine liebe Mühe habe, weiterhin an „das Gute“ im Menschen zu glauben.....

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Joan ()