Weibliche Belletristik -Frauen sind dominant

  • Als vor eineinhalb Jahren im deutschen Fernsehen die Würden des Literaturpapstes von Marcel Reich-Ranicki an Elke Heidenreich übergegangen sind, ist auch am Bildschirm klar geworden: Die schöngeistige Literatur zumindest ihre Vermittlung und Rezeption ist fest in Frauenhand.

    Bereits im 18. Jahrhundert haben Romanautoren vor allem die weibliche Leserschaft angesprochen. Und aktuelle Studien zeigen: Frauen lesen ungefähr doppelt so viel Belletristik wie Männer Tendenz steigend.

    Ingesamt betrachtet ist die Zeit, die sich die Deutschen für die Lektüre von Romanen nehmen, in den vergangenen Jahren rasant gesunken. Doch das liegt vor allem an den Männern: Lasen diese einer Umfrage der Stiftung Lesen zufolge 1992 wöchentlich noch gut zweieinhalb Stunden in den Büchern von Grass & Co., so waren es 2002 gerade noch gut eineinhalb Stunden.

    Bei den Frauen ging die Verweildauer dagegen nur um eine Viertelstunde zurück und lag 2002 immerhin noch bei drei Stunden. Im Gegenzug hat bei beiden Geschlechtern die Lektüre von Sach- und Fachliteratur seit 1992 um rund zehn Prozent zugenommen.

    Vor dem Hintergrund der Informationsgesellschaft ist dies für Bodo Franzmann von der Stiftung Lesen nicht überraschend. Ihm fällt auf: Besonders Frauen in den beruflichen Karrierejahren lesen immer mehr Fortbildungsliteratur. Bei ihnen bleibt aber der Anteil der Belletristik nahezu stabil, während dieser bei den Männern wegbricht.

    Dieser Trend stimmt damit überein, dass Männer von ihrer Lektüre vor allem profitieren wollen. Das gilt der oben genannten Umfrage zufolge auch für die Hälfte der männlichen Romanleser. Genauso viele erwarten von einem Buch, dass es realistisch, faktenreich und wirklichkeitstreu ist. Am liebsten lesen sie allerdings Krimis und Spionageromane.

    Mehr Frauen als Männer wollen dagegen über einem Buch den Alltag für eine Weile vergessen. Auch möchte fast die Hälfte aller Leserinnen durch ein Buch zum Denken und zur Auseinandersetzung angeregt werden. Der größte Unterschied zwischen den Erwartungen der Geschlechter zeigt sich aber in Folgendem: Ein Buch, das von Liebes- und Beziehungsproblemen, die jedem passieren können, handelt, bevorzugen zwar 37 Prozent der Frauen, aber nur neun Prozent der Männer.

    All diese Ergebnisse bedeuten Franzmann zufolge allerdings nicht, dass Männer weniger Fantasie haben als Frauen: Bei Männern wird diese nur anders angeregt nämlich durch Fakten und durch die Realität. An bloß Ausgedachtem haben sie dagegen weniger Interesse. Den Frauen bescheinigt der Leseforscher, dass sie sich nicht mehr auf die typisch weiblichen Themen versteifen, sondern die ganze Bandbreite der Romanliteratur ausschöpfen.

    Auch Thomas Steinfeld, der Literaturredakteur der Süddeutschen Zeitung, meint, dass sich die Frauen nicht mehr auf Lesebedürfnisse wie Entspannung, Empathie oder Emanzipation festlegen ließen: Es gibt in der Gegenwartsliteratur, so Steinfeld, keine Regionen des formal Schwierigen, Kühnen, Experimentellen oder Kühl-Analytischen ohne hohe Anteile weiblicher Leser und Autoren mehr. Warum dagegen die Männer zunehmend auf die Angebote an Bildung, Lebensklugheit und Weltläufigkeit verzichten, die in der Literatur enthalten sind, darauf weiß Steinfeld noch keine Antwort.

    Eine mögliche Erklärung bietet die moderne Hirnforschung. Die Frauen haben unter anderem deshalb einen größeren Bezug zur Belletristik als Männer, weil bei ihnen die beiden Gehirnhemisphären stärker verbunden sind, meint der Münchner Professor für medizinische Psychologie Ernst Pöppel. Bekanntlich ist die linke Gehirnhälfte, die für das rationale und begriffliche Denken zuständig ist, bei Männern stärker ausgeprägt. Bei Frauen liegt dagegen der Akzent auf der rechten Gehirnhälfte, in welcher das bildliche und emotional bewertende Wissen zu Hause ist.

    Beim Lesen von Romanen komme es, so Pöppel, gerade darauf an, dass die begriffliche Informationen, die der Text bietet, auch bildlich verarbeitet und emotional bewertet werden. Insofern ist die Dominanz der weiblichen Romanleser nur der Ausdruck einer hirnphysiologischen Gegebenheit. Doch Pöppel weiß auch, dass diese nur eine Potenzialität ist, die im Laufe der ersten zehn Lebensjahre zu einer Realität wird. Es kommt also auch auf die kulturellen Prägungen an, die ein junger Mensch durchläuft.

    An diesem Punkt setzt Hans-Heino Ewers, Leiter des Instituts für Jugendbuchforschung an der Universität Frankfurt am Main, an. Ihm zufolge muss Jungen andere Literatur als Mädchen angeboten werden: Jungs interessieren sich nicht für psychologische Probleme, wie sie beispielsweise in dem Roman "Ben liebt Anna" von Peter Härtling behandelt werden. Sie wollen Science-fictions, Krimis und Computer-novels lesen. Anders als in den 90er-Jahren gebe es, so Ewers, inzwischen ein ganz gutes Angebot. Das Problem sei jedoch, dass die Literaturvermittler in den Schulen vor allem Frauen seien und die mit dieser Art von Büchern oft nichts anfangen könnten.


    Quelle