Die Schwabengängerin. Erinnerungen einer jungen Magd aus Vorarlberg 1864-1874 - Regina Lampert

  • Klappentext
    Regina Lampert, 1854 im vorarlbergischen Schnifis als Kind armer Leute geboren und 1942 in Zürich gestorben, begann 1929 als über Siebzigjährige ihre Jugenderinnerungen niederzuschreiben: Sie erlebt als "Schwabengängerin" und Dienstbotin das dörfliche Schnifis, die bittere Realität auf einem Gut in Oberschwaben und die städtische Betriebsamkeit im kleinbürgerlichen Feldkirch. Mit unvergleichlicher Fabulierlust und Beobachtungsgabe und der Fähigkeit, Stimmungen wiederzugeben, beschreibt sie die Freuden und Leiden des Alltags in einer sich rasch modernisierenden Gesellschaft. Ein dichter Text in einem eigenwilligen und authentischen Duktus und mit bestechenden erzählerischen Qualitäten, eine Entwicklungsgeschichte aus dem kleinbürgerlichen Milieu.


    Eigene Meinung
    Anfangs tat ich mich schwer mit der eigenartigen, etwas kindlichen Erzählweise. Doch ich musste mir einfach vor Augen halten, dass die Regina Lampert ihre Lebensgeschichte nicht für die Oeffentlichkeit aufgeschrieben hat, sondern für ihre Familie, ihre Enkel und für sich selber.
    Es war ihr während des Schreibens vermutlich überhaupt nicht bewusst, dass ihre Lebensgeschichte einst veröffentlicht werden könnte, und sogar ein ganz seltenes Dokument der vorarlbergischen/alpenländischen Sozialgeschichte sein wird.
    Als sie bereits ihr 70. Altersjahr überschritten hatte, kaufte sich sich das erste linierte Heft, wohl in der Annahme, dass das reichen würde….im Laufe der Zeit kamen immer mehr und mehr solcherart Hefte dazu, in die sie ihre Zeit als Schwabengängerin und Magd niedergeschrieben hat. Im kindlichen Alter von ungef. 10 Jahren trat sie ihre erste Stelle an.


    Die Entstehungsgeschichte des Buches wird in einem ausführlichen Vorwort erklärt, auch über die Schreibweise Regina Lamperts, über die Korrekturen die vorgenommen werden mussten, um die Lesbarkeit zu gewährleisten….und dass man trotzdem versucht hat, so viel wie möglich von der Charakteristik des Originals zu bewahren.
    In diesem Vorwort wird zudem auch einiges des niedergeschriebenen sowie des späteren Lebens der Regina Lampert erläuternd ergänzt.
    Man erfährt u.a., dass Nachkommen jener Familie Frei, bei welcher Regina in Feldkirch als Magd gedient hat, nach Chile ausgewandert sind und zwei davon gar chilenische Staatspräsidenten wurden. Für mich persönlich war das eine ganz interessante Information, da in einem Dorf unweit meines Wohnortes, im toggenburgischen Nesslau, ein Gedenkstein steht für EDUARDO FREI, PRÄSIDENT VON CHILE welcher im Jahre 1995 diesen seinen Heimatort besuchte. Die Familie Frei ist nämlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Nesslau ins österreichische Feldkirch ausgewandert.


    Es gibt in diesem Buch einiges an Fotomaterial. Fotos aus Reginas Familienalbum, vom Elternhaus in Schnifis kurz vor dem Abbruch, sowie alte Postkarten, Gemälde und Radierungen von einigen Orten die in der Geschichte angesprochen werden.


    Je mehr ich mich eingelassen habe ich dieses Buch, desto mehr hat sich mir dann doch der ganz besondere Charme dieser eigenwilligen Erzählweise offenbart, auch kam ich der Persönlichkeit Reginas immer näher, erkannte den Schalk, der ihr bisweilen „im Nacken sass“, ihre Lust am fabulieren…..
    Historische Ungenauigkeiten die erfasst werden konnten, werden in Fussnoten berichtigt.


    Die Lebensgeschichte Reginas hebt sich ganz klar ab von all den anderen Geschichten, die ich von und über die Schicksale verdingter Kinder bisher gelesen habe, die allesamt äusserst tragisch waren.
    Regina hatte das Glück, in den meisten Fällen relativ „anständige“ Arbeitgeber zu finden. Sie musste zwar überall sehr streng arbeiten, oft bis zum Umfallen, bekam aber zumindest genügend zu essen, hatte ihr eigenes Zimmerchen, und wurde nicht geschlagen, darüber hinaus gab es auch einen Lohn, wenn auch einen sehr geringen. Sie wurde auch manchmal gelobt für ihren Einsatz und somit konnte sie sich zu einer selbstbewussten kleinen Respektsperson entwickeln, die genau wusste was sie wollte, was sie zu ertragen bereit war, und hat das auch zielgerichtet durchgezogen.


    Mir haben vor allem auch die vielen detaillierten Beschreibungen gefallen von den Oertlichkeiten, den alten Häusern, wie sie eingerichtet waren. Was damals gekocht wurde, was für Kleider man getragen hat, von den Arbeiten im Rhythmus der Natur, den Schönwetterarbeiten, den Schlechtwetterarbeiten…..


    So mühsam sich für mich der Einstieg in die Geschichte gestaltete, so unwillig und etwas wehmütig habe ich am Ende das Buch weggelegt, hätte ganz gerne noch viel länger weiterlesen mögen….

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Joan ()

  • Danke für die interessante Rezi. :-) Habe es mal auf meinen Wunschzettel gesetzt.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Zitat

    Original von ottifanta
    Habe es mal auf meinen Wunschzettel gesetzt.


    Falls Du es Dir zulegst, ottifanta, würde ich mich über Deine Meinung dazu sehr freuen. :wave

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

  • Zitat

    Original von Joan


    Falls Du es Dir zulegst, ottifanta, würde ich mich über Deine Meinung dazu sehr freuen. :wave


    ich mich auch.
    das über das buch hier geschriebene erinnert mich an "die schwabenkinder". da habe ich buch und film (mit "rex"-herrchen nr 1 tobias moretti) gelesen/gesehen und war sehr angetan...

    Mögen wir uns auf der Lichtung am Ende des Pfades wiedersehen, wenn alle Welten enden. (Der Turm, S. King)


    Wir fächern die Zeit auf, so gut wir können, aber letztlich nimmt die Welt sie wieder ganz zurück. (Wolfsmond, S. King)


    Roland Deschain