Die sogenannten "SCHLÜSSELROMANE"....

  • En guete Sunntig mitenand....erstmal :wave


    Ich erinnere mich an eine Aussage von M. Reich-Ranicki, dass praktisch alle Romane - und damit meinte er vermutlich die "Klassiker" - Schlüsselromane wären. Er nannte auch einige Beispiele, im Gedächtnis haften geblieben sind mir nur grad ein paar der Werke v. Th. Mann....

    Mit Romanen habe ich mich eigentlich seit jeher schwer getan. Hochgerechnet hat mich vielleicht 1/10 vom Gelesenen wirklich gefangen genommen, ob klassisch oder neuzeitlich....
    Und jene Aussage von Reich-Ranicki hat mir vermutlich grad noch den Rest gegeben. :grin
    Ja Gottfriedstutz!!!.....wenn ich ein Buch lese, dann möchte ich schon gerne ganz klar und geradeheraus wissen, um wen es da geht, ohne dass ich bei jeder Namensnennung stunden- oder tagelange Recherchen betreiben muss.....zugegeben, da stehen mir wohl die Anforderungen einer typischen Biografienleserin im Wege.
    Doch soll mir doch mal bitte jemand schlüssig erklären, warum gibt der Hermann Hesse der Stadt Lugano in seinem Roman/seiner Erzählung KLINGSORS LETZTER SOMMER den Namen Laguno?? Dass er selber der Klingsor ist, dass stellt sich bald mal heraus, aber wer bitte, sind all die anderen?....Nun gut, hätte er sie alle beim wirklichen Namen genannt, dann wärs halt kein Roman geworden, sondern eine Autobiografie... :grin


    Wem von Euch ist das denn bewusst, dass Ihr, wenn Ihr einen "Klassiker" lest, Ihr es mit einem Schlüsselroman zu tun habt? Und wisst Ihr denn auch immer, wer sich hinter all diesen Pseudonynem versteckt?
    Und sollten sich Euch diese Personen, zumindest die Hauptpersonen nicht erschliessen, findet Ihr trotzdem einen Bezug zu der Geschichte? ....jenen Bezug/Zugang den Euch der Autor im Grunde genommen näherbringen wollte?.......


    Und solltet Ihr mir nun dazu antworten - so denn irgendjemand was dazu schreiben mag - selbstverständlich wissen wir immer, um wen es da geht, dafür braucht man doch kein literatur-/kulturwisschenschaftliches Spezialwissen - dann werde ich mich nicht mehr dagegen wehren wollen, dass ich einfach bisschen doof bin.... :grin


    Grüessli ...Joan


    *****

    Kurzbeschreibung
    Geschildert werden die letzten Lebensmonate eines Malers, dessen Lebensgier und Schaffensrausch an die Intensität Vincent van Goghs erinnern, seinen Wettlauf mit dem Tod, den er mit immer neuen und waghalsigeren Bildern zu überrunden versucht.


    Autorenporträt
    Hermann Hesse, am 2. Juli 1877 in Calw/Württemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und der Tochter eines württembergischen Indologen geboren, 1946 ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Literatur, starb am 9. August 1962 in Montagnola bei Lugano.

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

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  • Bei manchen Büchern wird die Plakette "Schlüsselroman" wie eine Werbung vorne weggetragen.
    Klingsors letzter Sommer ist lange her bei mir, aber die autobiographischen Züge Hesses werden dem Leser sofort nahegelegt. Und das auch schon zu Zeiten, als es noch kein Wikipedia gab.


    Davon abgesehen, hat das dieser großartigen Novelle auch zusätzlichen Reiz verliehen.


    Ein Verschlüsselroman kann für den Kenner etwas sehr spannendes sein.
    Je besser man sich mit einem Werk eines Autors und ggf. seinem Leben auskennt (Vorsicht vor Trugschlüssen!), desto größere Chancen hat man, dass ein Schlüssel plötzlich passt, wo man vorher so lange nur rumgestochert hat.
    Frei nach dem Motto "Der Weg ist das Ziel" macht das Entschlüsseln manchmal mehr Spaß als die letztliche Erkenntnis.


    Meine feste Überzeugung ist aber, dass ein Leser einen Roman nicht unbedingt entschlüsseln muss. Ein Buch muss einfach mehr bieten als nur ein Rätsel.


    Ansonsten halte ich es mit dem Klang von Oskar Pastiors Gedichten:


  • Da ich nicht allzu oft Klassiker lese, kenne ich mich mit diesem Thema nur unzureichend aus und kann auch nicht beurteilen, ob es sich wirklich bei allen um Schlüsselromanen handelt oder nicht, aber wenn der Herr Reich-Ranicki das sagt, glaub ich das doch glatt mal :-]


    Fasziniert mich ein Buch besonders, dann beschäftige ich mich auch meist länger damit und spekuliere gerne, ob sich der Autor vielleicht hinter einer seiner Figuren verbirgt. Bei bekannten Werken erfährt man durch ein wenig Recherche ja oftmals, wer sich hinter wem versteckt, was dann die Geschichte auch noch ein wenig runder macht.


    Ich finde es allerdings sehr wichtig, dass ein Roman auch ohne großartiges Hintergrundwissen "funktioniert". Die Geschichte muss rund sein und der Leser muss die Zusammenhänge verstehen, ohne dass er dafür stundenlang recherchiert. Wenn das nicht der Fall ist und ich mich hinten und vorne nicht auskenne, weil ich eben die betreffenden Personen nicht entschlüsseln kann, weil mir dazu politisches Wissen damaliger Zeiten oder Infos aus dem Leben des Autors fehlen, macht mir das Lesen keinen Spaß und ich würde das Buch dann auch nicht gut finden.


    Wenn man allerdings nach einer schönen Geschichte noch ein wenig über das Buch recherchiert und dann eben durch gewisse Hintergrundinfos eine noch bessere Übersicht hat oder die eine oder andere kleine Anspielung besser versteht, ist das für mich ein gelungenes Buch.


    Ich bin mir eigentlich kaum bewusst, dass ich einen Schlüsselroman lese, wenn ich es nicht vorher weiß. Bei manchen Büchern liegt es zwar auf der Hand (zB "Tod eines Kritikers") und bei älteren Büchern kann man damit rechnen, wenn sie zB zu Zeiten von Zensur verfasst wurden und/oder besonders kontroverse Themen behandeln, über die man damals nicht offen sprach/sprechen durfte.
    Da ich aber geschichtlich auch nicht so wahnsinnig gut bewandert bin, könnte ich selbst während des Lesens wahrscheinlich auch nur einen Bruchteil der Figuren entschlüsseln, es sei dann, ich hätte mich zufällig schon mit dieser Epoche oder dem Leben des Autors befasst.
    Wenn ich jedoch einmal erfahren hätte, dass sich hinter Figur x eigentlich y verbirgt, dann müsste ich daran bei einem erneuten Lesen immer wieder denken.


    Ich persönlich kann auf keinen Fall behaupten, dass ich bei Schlüsselromanen immer weiß, wer sich hinter wem verbirgt. Und ich würde auch keinen Zugang zu einer Geschichte finden, die ich überhaupt nicht verstehe. Schlüsselromane würden mir nur dann Spaß machen, wenn das Entschlüsseln für das Verständnis kein absolutes Muss ist, sondern eher ein Extra, das für so manchen zusätzlichen Aha-Effekt sorgt.
    Wäre der Roman gut geschrieben und die Geschichte würde mir gefallen, auch ohne dass ich jetzt jede einzelne Anspielung verstehe und mir aller Hintergründe bewusst bin, würde ich mich aber nicht daran stören, wenn ich nicht alles entschlüsseln kann.

  • Ach ja, die Sache mit den Schlüsselromanen. Das ist ein beliebtes Steckenpferd vieler Literaturwissenschaftler. Diesen Ansatz kann man auch profan autobiographische Deutung nennen. Viele so gedeutete Texte haben diese Einordnung nicht wirklich verdient, denn es dürfte wohl ein Allgemeinplatz sein, dass AutorInnen in ihren Büchern von dem her schreiben, was sie kennen. Da wird sich auch immer die ein oder andere Anspielung auf das Umfeld finden - was gar nicht beabsichtigt sein muss.
    Ein echter Schlüsselroman wie "Mephisto" von Klaus Mann verfolgt meist eine Art Ziel, das in der Offenlegung meist übler Machenschaften besteht. Ich kenne jedenfalls keinen echten Schlüsselroman, dessen Aussage über die Verschlüsselten nicht vernichtend wäre (korrigiert mich, wenn doch, so ein Buch würde mich sehr interessieren!).
    Aber selbst bei einem Roman wie "Mephisto" wird der Lesegenuss m.E. nicht geringer, wenn eine nicht weiß, wer hinter den Handelnden stecken soll. Ist ein spannendes Thema, nach so etwas zu suchen - obwohl ich die direkte Arbeit mit dem Text jederzeit vorziehen würde.


    So! Vortrag Ende :alter

    "Ich glaube an Vivaldi." A. Gavalda
    :lesend "Zusammen ist man weniger allein" Anna Gavalda

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von artemisia ()

  • Danke für Eure interessanten Stellungnahmen, Herr Palomar, Niamh und artemisia, und für das Gedicht ein spezielles Dankeschön. Ich musste es zwar grad ein paar Mal hintereinander durchlesen, es erschliesst sich einem nicht auf den ersten Blick :wave


    Das könnte schon ganz gut möglich sein, dass von den Literaturwissenschaftlern oft auch nach etwas gesucht wird, was gar nicht ist....das tröstet mich grad etwas, denn ich muss gestehen, ich konnte, auch wenn mir in Klappentext oder sonstwo suggeriert wurde, dass es sich um einen Schlüsselroman handeln würde, kaum mal jemanden "erkennen"....solche detektivischen Fähigkeiten scheinen mir nicht gegeben zu sein, oder aber, ich ging einfach total falsch an die "Sache" ran.... :rolleyes


    Früher habe ich vermutlich jede Menge solcher "Schlüsselromane" gelesen.... es können glatt und sauber Hundert und mehr gewesen sein, ohne zu wissen, dass sich hinter den Namen irgendwelche Bekanntheiten verbergen könnten, wahrscheinlich hat mir darum soooo oft einfach etwas gefehlt, ich mir oft dachte: wie langweilig ist denn das wieder.... :fetch Hätte ich vielleicht gewusst, über wen ich da was lese, wärs mir vielleicht etwas weniger langweilig vorgekommen... :grin


    Ich habe halt schon meine Probleme damit, dass ich bei solchen Romanen nicht wirklich einordnen kann, was "Wahrheit" ist und was Dichtung....daher bin ich auch nicht wirklich scharf auf Roman-Biografien. Ein gutes, oder besser gesagt ein schlechtes Beispiel ist für mich die Roman-Biografie über das Leben von Toulouse Lautrec....füüüürchterlich, da treffen sich jede Menge berühmter Leute, hockten zusammen in den Pariser Kneipen. Menschen, die sich in dieser Weise nie getroffen haben können: während der eine 30 Jahre alt war, lag der andere in Wirklichkeit noch in den Windeln.... :pille



    Was ich aber nicht denke, dass alle diese "Schlüsselromane" irgendwelche üble Machenschaften von bekannten oder auch weniger bekannten Personen zum Inhalt haben.....oft verstecken sich ja die Autoren auch selber hinter ihrem Protagonisten: Hesse ist da sicher ein gutes Beispiel, seine Hauptwerke sind praktisch alle autobiografisch. BUDDENBROOKS von Thomas Mann wäre die Geschichte seiner Familie/seiner Vorfahren, hört man sagen....

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