Philipp Meyer - Rost

  • Titel im Original: American Rust


    Zum Inhalt:


    Der hochintelligente, im Umgang mit anderen Menschen aber ungeschickte Isaac will fort aus der einst florierenden, nun wirtschaftlich darniederliegenden Stahlregion, fort von seinem pflegebedürftigen Vater hin zu einer Uni in Kalifornien und es so seiner älteren Schwester gleichtun, die vor Jahren den Sprung geschafft hat aus der Tristesse. Ein Stück des Weges wird Isaac von seinem einzigen Freund Billy Poe, einem ehemals vielversprechenden High School-Footballspieler und nunmehr sich treiben lassenden Arbeitslosen, begleitet, bis sie sich vor dem Regen in einer aufgegebenen Fabrikshalle unterstellen. Als Poe von drei Pennern attackiert wird, tötet der schmächtige, sensible Isaac in Notwehr einen der Angreifer, um seinen Freund zu retten. Die beiden kehren nach Hause zurück, scheuen es aber, sich der Polizei zu stellen. In weiterer Folge wird der unschuldige Poe wegen Verdacht des Mordes festgenommen, während Isaac allein auf seine Reise nach Kalifornien aufbricht. Wird Poe aus Freundschaft zu seinem ungleichen Kumpan die drohende Strafe auf sich nehmen oder die wahren Geschehnisse aufdecken? Wie wird sich Isaacs Schwester Lee verhalten, die von Poe nach einer Liebesnacht unmittelbar vor seiner Festnahme die Wahrheit erfahren hat? Und dann ist da auch noch der Polizist Harris, der mit Poes Mutter ein Verhältnis hat und den Jungen schon mal gesetzeswidrig aus einer brenzligen Situation rausgehauen hat…


    Meine Meinung:


    Für seinen Debütroman „Rost“ wird Philipp Meyer von der Fachwelt mit großen amerikanischen Schrifstellern wie Kerouac, Salinger und Faulkner verglichen, womit man ihm aber meiner Meinung nach ein wenig unrecht tut – Meyer hat doch einen sehr eigenen, anfangs gewöhnungsbedürftigen, Konzentration fordernden, aber auch ansprechenden Stil, der sich deutlich abhebt von etwaigen Vorbildern, quasi eine eigene literarische Stimme. „Rost“ zeichnet zum einen das Bild eines sterbenden amerikanischen Tals, nachdem die einstmals lukrativen Stahlarbeiterjobs allesamt ins Ausland verlagert wurden, zum anderen – und das ist die wirklich starke und auch deutlich im Vordergrund stehende Seite dieses Buches – ist es ein Roman über Freundschaft, über Menschen, die scheinbar ganz unten angekommen sind und wie sie sich in den dunkelsten, aussichtslosesten Stunden in ihrer Verzweiflung verhalten und sich entwickeln.


    Nachdem ich meine anfänglichen Schwierigkeiten mit dem ungewöhnlichen Schreibstil überwunden hatte, war ich sehr angetan von der eindringlichen, sehr realitätsnahen Figurenzeichnung, die dem Autor wirklich gut gelungen ist, auch wenn ich mit der Schwester Lee nicht allzu viel anfangen konnte. Schön herausgearbeitet auch die Veränderungen, die in den Protagonisten vorgehen, ihre Zweifel, Ängste und Hoffnungen sowie die Entscheidungen, die sie schlussendlich treffen.
    Etwas unnötig fand ich vor allem in der ersten Hälfte während Isaacs Trip durch die Dörfer die ständige Betonung, wie schön die Landschaft in diesem wirtschaftlich darniederliegenden Tal sei; ein ums andere Mal ist von bewaldeten Hügeln, pittoresken Flussläufen usw. zu lesen, das war für mich unnötig oft herausgestrichen und sollte wohl einen Kontrapunkt setzen zur wirtschaftlichen Lage in diesem Landstrich mit all den verlassenen Fabriksgebäuden. Abgesehen davon war ich immer wieder überrascht über die Unbedarftheit des hochintelligenten Isaac, der trifft ja einige kolossale Fehlentscheidungen auf seiner Reise, die mit etwas Nachdenken zu verhindern gewesen wären.
    Das Ende kam für mich einigermaßen überraschend, ich hatte mit etwas anderem gerechnet, finde es aber durchaus gut so, wie es ist und auch nachvollziehbar.
    Insgesamt ein gelungenes literarisches Debüt, das wohl nicht den Massengeschmack treffen, aber sicher seine Lesegemeinschaft finden wird – ich habe es trotz einiger kleinerer Schwächen gern gelesen und bin weiteren zukünftigen Büchern dieses Autors nicht abgeneigt.

  • Buell, Pennsylvania. Eine ehemalige Hochburg der Stahlindustrie, die den Menschen seit ihrem Untergang nichts mehr zu bieten hat als Massenarbeitslosigkeit, umherfliegenden Rost, der die Wäsche verfärbt und verbitterte Menschen, die sich selbst aufgegeben haben. In dieser Stadt wachsen der junge Isaac und Billy Poe auf, die unterschiedlicher nicht sein könnten.


    Isaac, ein hochintelligenter, doch schmächtiger Zwanzigjähriger, entschließt sich, endlich seinem Zuhause in dem Provinzkaff zu entfliehen. Seit seine Mutter vor fünf Jahren Selbstmord beging und seine ältere Schwester kurz darauf zum Studieren nach Yale ging, war Isaac allein mit seinem mürrischen, an den Rollstuhl gefesselten Vater. Nun will er abhauen, nach Kalifornien, um dort Astrophysik zu studieren und dem verhassten Zuhause zu entfliehen, in dem sein Vater eh nie ein gutes Wort für ihn übrig hat.
    Billy, ehemaliger Footballstar an der Schule, hat es versäumt, sich für die Unis zu bewerben, die ihn als begabten Sportler mit Kusshand genommen hätten. So lässt er sich einfach treiben, trinkt Alkohol, haust im Trailer seiner Mutter und seine Arbeit im Eisenwarenladen hat er auch gerade verloren. Als ihn sein Freund da bittet, ihn nach Kalifornien zu begleiten, willigt er ein.


    Doch gleich zu Beginn ihrer Reise spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu: bei einem Streit mit Obdachlosen um eine trockene Unterkunft für die Nacht wirft Isaac mit einer schweren Kugel nach einem der Männer und tötet ihn. Bevor sie richtig begreifen, was passiert ist, wird Billy, bereits vorbestraft und für sein gewalttätiges Wesen bekannt, unschuldig verhaftet und kommt ins Gefängnis, wo er auf seinen Prozess warten muss. Isaac dagegen flieht Richtung Süden…


    „Rost“ ist die Schilderung vieler Einzelschicksale, die zusammen das Bild einer verfallenen amerikanischen Kleinstadt zeichnen. Isaacs Schwester Lee beispielsweise hat es zwar geschafft, dem tristen Leben in Buell zu entkommen, quält sich jedoch mit Schuldgefühlen, den kleinen Bruder allein mit dem pflegebedürftigen Vater zurückgelassen zu haben. Billys Mutter Grace hadert mit ihrem Leben im Wohntrailer, wollte sie doch schon vor Jahren dieses Nest von einem Ort verlassen. Als unterbezahlte Näherin und vom Exmann ständig ausgenutzt, verliert sie schließlich fast ihren Lebenswillen, als ihr Sohn ins Gefängnis kommt. Kann ihre immer mal wieder aufflackernde intime Beziehung zum Sheriff Billy vielleicht weiterhelfen?


    Man kann es schon erahnen, es dominiert der trübsinnige Grundton der Erzählung. Armut, sozialer Abstieg, Kriminalität, Schuld und verpasste Chancen bilden die Themen des Buches.
    Die Geschichte verläuft dabei eher langsam und schleppend, gleich dem Leben der Protagonisten. Und doch kann man sich dem Buch nicht entziehen. Der Fokus des Autors liegt hierbei nicht auf einer komplexen Handlung und rasanten Geschehnissen, sondern auf den unterschiedlichen Charakteren. Die sind einzigartig, sehr ehrlich und glaubwürdig geschildert. Sie werden nicht idealisiert, sondern mit all ihren Fehlern dargestellt, ihre Handlungen sind jederzeit nachvollziehbar.
    Einzig die Schreibweise mag für manche anfangs gewöhnungsbedürftig sein, da gerade das erste Kapitel aus Isaacs Sicht geschildert wird, der sich durch sprunghafte, beinahe wirr anmutende Gedanken auszeichnet. Hat man das erste Kapitel allerdings hinter sich gebracht, wird man das Buch nicht mehr weglegen wollen.


    Der Autor, Philipp Meyer, wird mit so bekannten Autoren wie Hemingway, Steinbeck und Salinger in einer Reihe genannt und kann diesem Vergleich meiner Meinung nach durchaus standhalten. Kritisch und desillusionierend beschreibt er das Schicksal vieler amerikanischer Städte und der darin lebenden Menschen. Ein sozialkritischer Roman über die andere, dunkle Seite von Amerika, jenseits des American Dream.

  • Eine ungewöhnliche Freundschaft


    Poe und Isaac sind Freunde. Freunde, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Isaac ist sehr intelligent, mit einem IQ von 167. Poe dagegen ist sportlich sehr begabt. Auch körperlich sind sie völlig unterschiedlich und doch sind sie Freunde. Freunde, die füreinander einstehen. Und so geschieht es, dass Poe sich für Isaac opfert und ins Gefängnis geht.


    Der Autor versteht es ausgezeichnet, Bilder von den Personen zu malen. Ich konnte mir das Leid jedes Einzelnen sehr gut vorstellen. Und es war hauptsächlich von Leid die Rede. In dem Örtchen hat keiner mehr so richtig was zu lachen. Alle wollen eigentlich nur weg, denn eine Besserung ist nicht in Sicht.


    Im Mittelteil hat das Buch einige Länger. Die Flucht von Isaac wird sehr ausführlich geschildert und die Gefühle von Grace und Harris. Aber gegen Ende wird es wieder richtig spannend und man kann nicht aufhören zu lesen.


    Sehr gut gefallen hat mir, dass der Autor die Personen immer in einzelnen Kapiteln abgehandelt hat. So hat man sich für mehrere Seiten auf eine Person konzentrieren können.


    Eine Geschichte von Freundschaft, Nächstenliebe und Opferbereitschaft.

    Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
    - Cicero


    :lesend Harlan Coben - Ich vermisse dich

  • Ein kleines Stückchen Realität, das Leben zweier junger Menschen, von denen auch wir jeder sein könnten. Poe und Isaac, die eigentlich nichts, aber doch alles gemeinsam haben. Der eine stark im Geiste, der andere mit pysischer Stärke gesegnet. Beide sahen sie sich einer vielversprechenden Zukunft gegenüber und doch sind sie beide geblieben. An einem Ort, der ihnen nichts zu bieten hat, der verfällt und sie mit sich reißt, aber den sie doch nie verlassen konnten. Und als sie diesen Schritt dann doch wagen wollen, scheint es bereits zu spät.


    Denn sie töten einen Menschen und bringen damit alles ins Rollen. Nicht zuletzt auch das Schicksal vieler Menschen, die ihnen nahe stehen. Es scheint so falsch, wie alles läuft und doch hat man immer wieder kurz das Gefühl, dass es vielleicht gerade diese große Flutwelle gebraucht hat, damit der Boden rein gewachsen wird und damit wieder neues Leben wachsen kann.


    'Gewöhnungsbedürtig' oder 'anders' mögen die meist gebrauchtesten Adjektive sein, die den Stil des Buches beschreiben. Durchaus zutreffend. Meyer schreibt frisch und modern, aber auch bodenständig und detailgetreu.
    Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten der Handlung zu folgen, auch wenn sich die Gedanken der Protagonisten manchmal im Nirgendwo verlieren. Aber wessen Gedanken tun das nicht von Zeit zu Zeit.


    'Rost' ist eine Reise von Menschen wie dir und mir und doch etwas völlig anderes. Man begleitet die Protagonisten gerne, leidet mit ihnen, versucht sie zu verstehen und schüttelt so manches Mal den Kopf. Es ist wichtig, dass wir erkennen, dass es eine Allerweltsgeschichte ist. Etwas, das jedem passieren kann, nicht nur im fernen Amerika. Diese Menschen, die in ihrem Trott gefangen sind, das könnte jeder sein. Und manchmal muss erst ein Mensch sterben, damit ein großer Stein ins Rollen gerät.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Buell war mal eine reiche Stadt durch das große Stahlwerk. Doch nun rostet alles vor sich hin. Und nicht nur das Stahlwerk, sondern auch die Menschen. Der Wandel der Zeit, so schnell kann sich alles verändern.


    Da ist Poe mit seiner Mutter Grace. Sein Vater, der nie einer war. Poe, der nichts auf die Reihe bringt, als gewalttätig gilt und doch ein guter Mensch ist. Dem Freundschaft über alles geht. Doch sein Freund Isaak erfährt dies erst am Ende des Buches. Und da ist Harris, der Polizist, der alles aufs Spiel setzt für seine Liebe zu Grace... Und Lee, die Schwester von Isaak, die nicht wirklich weiß wem sie ihre Liebe schenken soll. Man begegnet Menschen, in denen das Gute noch vorhanden ist, so zum Beispiel auch Ho, der Kollege von Bud Harris.


    Ein großer und sehr guter Roman von Philipp Meyer über Liebe, Freundschaft, Gewalt, Lüge und Wahrheit und über das Sterben einer Region. Am Ende des Buches möchte man weiterlesen, man möchte wissen, wie es mit den Hauptpersonen weitergeht; wie sie ihr Leben nach allem Geschehenen nun in den Griff bekommen.

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.