Wladimir Nabokow - Der Zauberer

  • Thema:
    Erst im Nachlass des unsterblichen Erzählers Vladimir Nabokov tauchte diese verloren geglaubte Erzählung wieder auf: eine erste, faszinierende Version des "Lolita"-Themas. Ein Mann in den Vierzigern stellt einem Nymphchen nach und heiratet dessen kranke Mutter, um nach deren Tod das zwölfjährige Mädchen endlich in seine Gewalt zu bringen.
    Autor:
    Geboren am 22.04.1899 in St. Petersburg. Er entstammte einer großbürgerlichen russischen Familie, die nach der Oktoberrevolution von 1917 emigrierte. Nabokow selbst ging zunächst nach England, wo er am Trinity College in Cambridge französische und russische Literatur studierte. Von 1922-1937 lebte er in Berlin, wo er 1925 die Russin Vera Slonim heiratete, der er bis zu seinem Lebensende nahezu alle seine Bücher gewidmet hat. 1938 verließ Nabokow Deutschland und ging mit seiner Frau und seinem Sohn nach Paris, bevor er 1940 nach Amerika übersiedelte. Wegen seiner Kenntnisse als Schmetterlingsforscher erhielt er 1942 einen Forschungsauftrag der Harvard Universität. Er beschrieb eine Reihe von neuen Schmetterlingsarten, von denen eine nach ihm benannt wurde. 1945 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Mit der Hilfe von Freunden und unter anderem aufgrund der Studie über Nikolai Gogol, die er 1944 veröffentlichte, wurde ihm 1948 eine Professur für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität von Cornell angeboten. Hier arbeitete er zehn Jahre lang, bis ihm der der Welterfolg von «Lolita» es ihm ermöglichte, seine Lehrtätigkeit aufzugeben. Nabokov zog in die Schweiz, wo er sich ganz dem Schreiben widmete, Schmetterlinge fing und seine russischen Romane ins Englische übersetzte. In gewisser Weise hat er sein Exildasein bis zu seinem Lebensende bewusst aufrechterhalten. Nie besaß er eine Wohnung oder ein Haus. Er lebte in einem Hotel in Montreux, wo er am 5. Juli 1977 starb.[...]
    Quelle: www.rowohlt.de



    Ich muss gestehen, dass ich absolut uninformiert an dieses Buch herangegangen bin. Irgendwer hatte mir Nabokow mal empfohlen, und dieses hier war dünn und es hat einen (für mich) interessanten Titel. Dass der Zauberer ein Be-Zauberer ist, war dann aber sehr schnell klar.
    Sofort fällt auf, dass Nabokow äußerst genau beschreibt. Daduch hate ich seeeehr klare Bilder im Kopf, vor allem von dem Mädchen. Dazu kommen recht ungewöhnliche Passagen (irgendetwas Merkwürdiges war da mit einem Grashalm) und gelegentlich Fremdwörter, die ich wirklich noch nie gehört hatte. Aber das überlebt man ohne Weiteres. Damit erweckt Nabokow sofort den Eindruck eines echten klassischen Schriftstellers.
    Interessant fand ich die Perspektive des Zauberers: was er alles in Kauf nimmt, um sein Ziel zu erreichen! Dass er sich dabei keinerlei Gedanken über moralische Fehler macht, ja nicht einmal der Autor durch irgendeine Absurdität oder Ironie kenntlich macht, da läuft was falsch, dadurch musste ich mir immer wieder klar machen, wie ich als Außenstehender darüber denke. Manchmal musste ich mich fragen, was ich da überhaupt gerade denke. Ich weiß, das klingt verwirrend (und das ist es auch für mich), aber besser kann ich es nicht ausdrücken.
    Dazu ist die Geschichte auf eine düstere, subtile, schreckliche Weise spannend. Ich hatte Angst, die letzten paar Seiten zu lesen, weil ich eigentlich nicht wissen wollte, was da noch passiert. Keine Sorge, er hat das packende, rasante Finale clever aufgelöst, so, dass ich das Buch auch weiterempfehlen kann - wohlgemerkt nur für diejenigen, die es interessiert. Nach diesen unter 100 Seiten konnte ich nicht mehr. Aber sobald ich wieder konnte, habe ich mir sofort den nächsten Nabokow besorgt.
    Hilfreich fand ich Vor- und Nachwort von Dimitri Nabokow, dem Sohn des Autors.
    Fazit: "Der Zauberer" ist eine eigenwillige und für die Nerven sehr angreifende Erzählung mit hartem Thema.


    Von mir gibt es 9/10 Punkte. Ich hoffe auf baldige Antworten.

    Ein Deutscher ist großer Dinge fähig, aber es ist unwahrscheinlich, dass er sie tut. (Friedrich Nietzsche)

  • Herzlichen Dank für diese sehr interessante Buchvorstellung. Das Buch ist dann auch sofort auf meinem Merkzettel gelandet. Nabokov ist immer gut dafür, etwas Neues bei ihm zu entdecken. Seine Bücher zeichnen sich oftmals durch völlige Verschiedenheit von einander aus.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Echt? Gut, dann werde ich, sobald ich "Einladung zur Enthauptung" durchhabe, den nächsten Nabokow nachlegen. Welcher gefiel dir am besten?

    Ein Deutscher ist großer Dinge fähig, aber es ist unwahrscheinlich, dass er sie tut. (Friedrich Nietzsche)

  • Ich finde Der Zauberer zwar momentan nicht auf Anhieb in meinen Bücherschränken, aber ich meine mich zu erinnern, dass die thematische Ähnlichkeit zu Lolita schon sehr groß ist. Jedoch hat diese Erzählung noch nicht die Konsistenz im Stil, wie es Lolita hatte.


    Viva la Vida, welches Buch von Nabokov hast du dir noch besorgt?

  • Zitat

    Original von Viva la Vida
    Echt? Gut, dann werde ich, sobald ich "Einladung zur Enthauptung" durchhabe, den nächsten Nabokow nachlegen. Welcher gefiel dir am besten?


    "Lolita" fand ich sehr lesenswert, aber auch "Pnin" hat mich begeistert.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Auch mir hat Pnin sehr gut gefallen!
    Marschiere heute anscheinend im Gleichschritt mit Voltaire! :-)


    :grin :grin


    Übrigens sind auch die Erinnerungen von Nabokov sehr lesenswert. Ich komme gerade nicht auf den Titel..... :gruebel :gruebel :gruebel

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  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Erinnerung, sprich ?


    Genau! Danke!

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  • Eine gute Biographie über Nabokov sind die zwei Bände von Brian Boyd
    Vladimir Nabokov - die russischen Jahre
    Vladimir Nabokov - die amerikanischen Jahre


    Ich habe sie jedoch nur teilweise gelesen, aber sie waren eine gute Ergänzung zu Nabokovs Erinnerungen, die ich ebenfalls gut fand.

  • Tag die Herren!


    Voltaire, danke für die Empfehlung, ich werds mir (hoffentlich) merken. Mit Lolita wollte ich wegen der Ähnlichkeit zum Zauberer und wegen meiner laaangen Warteliste noch, na ja, warten, aber Pnin könnte dann vorgezogen werden. Danke nochmal und :wave


    Herr Palomar, ich habe mir "Einladung zur Enthauptung" besorgt, siehe weiter oben. :-) Darin geht es um einen Häftling in der Todeszelle. Ich gebs zu, auch hier war der Titel Hauptauswahlkriterium. Rezension folgt (irgendwann einmal :rolleyes). Auch dir :wave

    Ein Deutscher ist großer Dinge fähig, aber es ist unwahrscheinlich, dass er sie tut. (Friedrich Nietzsche)

  • Bevor ich Der Zauberer vor einigen Wochen las, hatte ich Durchsichtige Dinge auf Empfehlung von Antja Wagner (in einem anderen Forum) gelesen, daher war ich auf seine sprachliche Virtuosität vorbereitet.
    Der Zauberer war in meinem SuB gelandet, da in einem anderen Leserforum ein 17-jähriger Leser, der Klassiker bevorzugt, diese Erzählung zu den zehn besten Werken zählte, die er gelesen hatte.


    An der Erzählung Durchsichtige Dinge bewunderte ich die meisterhafte erzählerische Leistung, die sprachliche Virtuosität Nabokovs, sowie die geschickte Konstruktion des Plots, während mir die Protagonisten allesamt fremd blieben, mich höchstens unangenehm berührten. Auch die weiblichen Figuren blieben mir fern. Dieser kalte, sezierende Blick, das war nicht meine Welt.


    Ausgerechnet der Protagonist in Der Zauberer aber, so widerlich seine Gedanken und alles, was er unternimmt, um an das Mädchen heranzukommen, auch sind, löste in mir sehr viele, auch widersprüchliche, Emotionen aus. Meine Erfahrungen beim Lesen von Der Zaubererwaren den deinen sehr ähnlich, Viva la Vida. Mitzuerleben, wie ein solcher Mann denkt und fühlt, welche Gedankengebäude er zur Rechtfertigung seiner Gelüste und Handlungen erfindet, war aufschlussreich, spannend und hart zugleich. Nabokov schreibt so überzeugend, dass ich einfach nicht aufhören konnte zu lesen und bis zum Schluss dabei blieb, obwohl es mich regelrecht gruselte und ich nicht wollte, dass es so weit kommt, wie zu befürchten war. Wie froh war ich, dass Nabokov im allerletzten Moment dem Verlauf einen Dreh gegeben hat, mit dem ich als Leserin irgendwie halbwegs "zufrieden" sein konnte. Nur so viel sei verraten, für die, die es möchten:


    Irgendwelche sprachlichen Inkonsistenzen konnte ich nicht feststellen, daher weiß ich nicht, was Herr Palomar weiter oben meinte. Vielleicht sind die Sätze nicht alle sooooo extrem lang wie in anderen Erzählungen, aber das ist auch gut so. Die Beschreibungen sind einfach meisterhaft und haben die Qualität, den Leser so weit mit hineinzuziehen, dass er einerseits einfach mitfühlen muss, andererseits aber auch genug Raum für die Empfindungen des Abgestoßenseins und des Entsetzens bleiben. Aus dem Zwiespalt dieser gegensätzlichen Gefühle und Gedanken entsteht die Spannung, die dazu führt, dass man weiterliest. Das nenne ich virtuos. Ein solch schwieriges Thema so geschickt umzusetzen, das verdient große Anerkennung, daher 10 Eulenpunkte von mir.


    Edit: Tippfehler, Spoiler