Regenesis/C.J. Cherryh

  • Direkte Fortsetzung zu „Cyteen“. Unabhängiges Lesen ist nicht empfohlen. Ganz im Gegenteil sollte man „Cyteen“ relativ frisch im Gedächtnis haben.


    Inhalt:
    Nach den Ereignissen am Ende von „Cyteen“ sollte eigentlich Ruhe eingekehrt sein in der Forschungseinrichtung Reseune, da der intrigante Denys Nye tot ist und Justin Warrick endlich seinen einstmals unschuldig ins Exil geschickten Vater Jordan wieder in die Arme schließen konnte.


    Tja.


    Genau das ist schon mal eines der Probleme, denn Jordan Warrick ist auf dem Kriegspfad, da er nach fast 20 verlorenen Jahren immer noch als Mörder gilt, ständig überwacht wird und erkennen muss, dass er Justin an Ari II verloren hat, womit Ari I noch aus dem Grab heraus über ihn triumphiert. Wie befehdet man eine Frau, die lange tot ist? Jordan findet einen Weg. Als er Justin die Visitenkarte einer Frau aufdrängt, mit der der neue Direktor Yanni Schwartz gerade eben extrem geheime Verhandlungen geführt hat, löst er damit eine Kette verhängnisvoller Ereignisse aus.
    Ari II, die darauf wartet, bis sie genug gelernt hat, um Yanni abzulösen, beginnt sich zu fragen, ob sie diesem wirklich vertrauen kann. Und dann sind da noch all die anderen Feinde. Und, wer hat Ari I nun eigentlich wirklich ermordet? War es etwa doch Jordan? Denys? Yanni? Oder gar Selbstmord als Mord inszeniert? Die Antwort liefert den Schlüssel zum Rätsel, von wem Reseune und vor allem Ari II die größte Gefahr drohen.


    Meinung:
    Ich weiß aus verschiedenen Kommentaren, dass manche mit „Regenesis“ nicht ganz glücklich sind. Ich bin es. Mir fehlt an diesem Buch eigentlich nichts und es hat sich für mich weniger wie eine Fortsetzung zu „Cyteen“ gelesen, als mehr wie eine Fortführung. Die Handlung hier hätte für mich genauso gut in einem noch weit dickeren „Cyteen“ stehen können. Cherryh kann es auch nach über 20 Jahren. Konfliktreiche zwischenmenschliche Beziehungen, Politik, Intrigen und alles wild durcheinander.


    Am besten hat mir Jordans Kleinkrieg gegen alles und jeden gefallen. Ich mag ja bekanntlicherweise gute Konflikte und vor allem Vater-Sohn-Konflikte. Und da ist Jordan vs. Justin ein wahrlich erstklassiger. Verstärkt wird dies dadurch, dass sie als Original und Klon noch etwas mehr sind und dass Jordan erkennen muss, dass der Tod Aris I ihren Griff nach Justin nicht verhindert hat, denn der ist nun ein loyaler Anhänger, Lehrer und Freund der jungen Ari II, in der Jordan nur ihre verhasste Vorgängerin sehen kann. Interessant ist, dass Justin Ari I fast vergeben hat, was sie ihm angetan hat, da er so dem Einfluss seines Vaters entkommen ist. Und doch kann er sich nie ganz von Jordan abwenden, den er trotz allem immer noch als seinen Vater liebt. Erstklassig, sag ich doch!


    Außerdem muss ich gestehen, dass ich Jordan Warrick einfach mag. Ich weiß, dass andere Leser ihn am liebsten … würden, aber bei mir gibt es eine interessante Reaktion. Ich mochte Jordan schon in „Cyteen“ sehr, wo er fast das ganze Buch über abwesend – wenn auch immer wichtig – war. Und wenn ich eine Figur mag, kann ich mich gut in sie hineinversetzen, daher verstehe ich Jordan hier sehr gut. Und seine Wortgefechte mit Justin und Ari II sind schlicht ein Vergnügen zu lesen. Für mich. Außerdem fühlt sich Jordan hier ein wenig wie eine vom Autor missbrauchte Figur an, ein interessantes Phänomen. Sie brauchte ihn in der Rolle, die er hier einnimmt, weshalb alles unterdrückt wird, was einst gut an seinem Verhältnis zu Justin und Grant war. Natürlich hat er sich verändert, aber es ist auch immer eine Frage, wie etwas präsentiert wird.
    Aber es ist doch auch schön zu sehen, dass Cherryhs Figuren teils so lebendig sind, dass es mich in die kuriose Situation versetzt, sie gegen ihre eigene Schöpferin verteidigen zu müssen. Jordan Warrick reiht sich für mich also schön ein in die Reihe der von mir sehr geschätzten Cherryh-Figuren. Ich denke, er passt gut zwischen Ben Pollard (Devil to the belt) und Christian Bowe (Tripoint).
    Justin und Grant mag ich schon auch noch, aber Justin ist mir hier ein wenig zu passiv, wie er sich von Ari II in ihren goldenen Käfig sperren lässt und von Grant sieht man irgendwie nicht genug.


    Abgesehen davon tue ich mir etwas schwer damit, Jordan im direkten Vergleich zu Ari II zu verteufeln. Seine überaus kritischen Ansichten über Reseune und wie es mit Menschen und ganzen Generationen Unions spielt sind nämlich alles andere als verkehrt. Er ist nur so bitter und streitsüchtig, dass man das leicht übersehen kann.
    Das macht das Buch, wie schon „Cyteen“ aber wiederum sehr reizvoll, denn normalerweise, in einem Buch mit so einer Geschichte, müsste eigentlich Reseune das Böse sein, das von hehren Rebellen zu bekämpfen ist und nicht der Fokus.


    Ich mag Ari II mittlerweile, nicht zuletzt weil man schön sieht, dass die Liebe und Freundschaften in ihrem Leben sie tatsächlich zu einer anderen Ari machen, wie sie selbst erkennt. Doch als sie sich daran macht, ihr zukünftiges Azi-Personal komplett auf sich zu prägen, fiel mir wieder ein, warum mich das Verhältnis der Menschen hier zu Azis etwas irritiert. Das ist nicht mal mehr Sklaverei, denn Sklaven haben zumindest noch so etwas wie einen freien Willen. Und doch gibt es Sinn, denn wenn sie überleben will, hat sie keine andere Wahl und überleben muss sie, um die Projekte ihrer Vorgängerin fortzusetzen.


    Auch das ist ein Punkt, der mich etwas irritiert, die Überzeugung, dass es immer eine Ari wird geben müssen und dass wohl auch die Menschen ihrer Umgebung dazu bestimmt (verdammt?) sind, immer und immer wieder geklont und nach dem Vorbild erschaffen zu werden. Wer mit Genetik und Menschen spielt, hat eine lange Agenda. Aber die Vorstellung ist schon reichlich unheimlich.
    Ein Grund mehr, warum ich im direkten Gegensatz immer noch Alliance Union vorziehe. Doch das ändert nichts an der Qualität dieses Buches, ganz im Gegenteil. Es sind eben keine einfachen Themen, an denen man hier zu kauen hat. Und wir wissen nicht, wohin sich Alliance entwickelt hat.


    Die Bedeutung der Azi-Gefährten tritt hier wieder bei Jordan besonders schön zur Geltung. Seine Gefährte Paul leidet die ganze Zeit relativ stumm im Hintergrund, bis Justin, für den er ein zweiter Vater war, erkennt, dass etwas mit ihm nicht stimmt und eingreift und hilft. Ab da ändert sich Pauls Verhalten auf subtile Weise und damit auch Jordans.


    Am Ende wissen wir zwar, wer Ari I ermordet hat, aber wir wissen immer noch nicht genau, wer dafür verantwortlich war. Buch 3? Aber bitte nicht wieder 20 Jahre warten! Das ist etwas, was ich Cherryh definitiv ankreide. Ich hatte mich damit abgefunden, von ihr nichts mehr über die alten Freunde zu hören. Jetzt, mit diesem Buch, habe ich Blut geleckt und will noch sehr viel mehr.
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