„... und hinter Seidenwimpern keine Welt“
Mit Kodderschnauze und Mutterwitz hat sie wohl über 3000 Mal ihre Gedanken zu Olympia, zur Politik und zum sonstigen Tagesgeschehen in der Republik zum Besten gegeben. Danach wurde sie zu Grabe getragen. Ihre Schöpferin fürchtete, sie nicht mehr loszuwerden, fürchtete, das Publikum würde sie auf ewig allein mit ihrer Figur identifizieren. Wie heisst die noch? Elke Stratmann? Else Heidenreich?
Elke Heidenreich hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Ihre Kodderschnauze und ihren Mutterwitz hat sie ihrer Else Stratmann geliehen. Ganz ihr eigen aber ist eine Freude am Fabulieren, die sie nicht nur in den Werken anderer begeistert, sondern die sie auch selbst zur Perfektion bringt – gerade weil sie sich in ihrer Sprach-Kunst nicht für Banales zu schade ist, sondern auch das Alltägliche zum Besonderen werden lässt.
Ihr Buch „Wörter aus 30 Jahren“ umfasst Kolumnen, Reden, Reiseberichte. Beihefte zu Hör-Büchern, Vorworte zu Seh-Büchern, Kritiken zu Lese-Büchern. Sie erzählt von Pinguinen in Neuseeland, von Simone de Beauvoir, von ihrer Liebe zur Oper. Sie gibt unumwunden zu, dass sie Berlin nicht mag; sie berichtet von ihren ersten Leseerlebnissen im Nachkriegsdeutschland; sie bedauert, dass von der Neuen Deutschen Welle nur seichte Ausläufer den Mainstream erreichten.
Ein Sammelsurium der Beliebigkeit? Mitnichten. Denn genau das ist der rote Faden im schriftstellerischen Leben der Elke Heidenreich: die Liebe zum Lesen und Schreiben, egal worüber. Alles hat sie gelesen als Kind, sagt sie, ist in die Welt der Buchstaben geflüchtet, damals im Ruhrgebiet der fünfziger Jahre. Und sie fand für sich eine Welt hinter den Seidenwimpern der Schaufensterpuppen; sie entdeckte die Lust, diese Welt mit Sprache neu zu fassen.
Ihre Sprache ist wie ein köstliches Destillat aus allem Grossen und Kleinen, das sie in ihrem Leben gelesen hat. Wer alle Geschmacksnoten herausliest, wird besonderen Genuss daran finden. Wer nicht sämtliche Gewürze benennen kann, dem wird dennoch das Ergebnis vorzüglich munden. Denn wer Else Stratmann kennt, der weiss, dass bei Elke Heidenreich auch die Grundzutaten stimmen: ein gesunder Sinn für Humor und der unerschrockene Blick einer Frau, die Geist genug hat, um sich nicht von Seidenwimpern hinters Licht führen zu lassen.