Die Tochter des Gerbers von Hilke Müller

  • Kurzbeschreibung
    Längst wäre ihr Schicksal vergessen – doch ihre Söhne schrieben Geschichte …


    Die junge Arlette scheint das Glückskind der Gerberfamilie Fulbert zu sein. Sie ist nicht nur ungewöhnlich hübsch, sondern zudem klug und ehrgeizig. Doch als sie von einem Adeligen vergewaltigt und schwanger wird, fällt sie tief. Sie wird als Hure verschrien und mit Verachtung gestraft. Beschämt weist Arlette den Annäherungsversuch eines jungen Ritters ab, der sie bewundert. Noch ahnt sie nicht, dass Herluin de Conteville in einigen Jahren ihr Ehemann und die große Liebe ihres Lebens sein wird. Auch wenn ihr berühmtester Sohn, Wilhelm der Eroberer, von einem anderen stammt: von Robert, dem Herzog der Normandie ...



    Über den Autor
    Hilke Müller studierte Französisch und Russisch auf Lehramt, entschied sich dann aber gegen eine Laufbahn als Gymnasiallehrerin. Statt dessen begann sie zu schreiben, veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten und Romane und widmete sich ihrer heimlichen Leidenschaft, der Geschichte. Heute lebt sie mit ihrer Familie, zu der auch Hund, Kater und zwei Hasen gehören, im Taunus und arbeitet als freie Autorin.


    Seite der Autorin: Hilke Müller



    Die Autorin beschreibt in ihrem historischen Erstling das Leben einer eher unbekannten und für die Geschichte doch wichtigen Frau. Arlette ist die Tochter des Gerbers Fulbert aus Falaise. Als sie von dem Adligen Gilbert de Brionne vergewaltigt und schwanger wird, ändert sich ihr Leben schlagartig. Die für sie vorgesehene Ehe ist nicht mehr möglich. Sie bekommt das kind und lebt daher weiterhin auf dem elterlichen Hof. Doch als Gilbert von der Geburt seines Sohnes erfährt, setzt er alles dran, diesen in seine Hände zu bekommen. Arlette will sich das nicht gefallen lassen und kämpft vor dem Grafen Robert um ihren Sohn und wird damit unverhofft zur Geliebten des Grafen und späteren Herzogs der Normandie...


    Das Buch beginnt sehr schnell und gerade die Schlüsselrolle mit der Vergewaltigung nimmt man als Leser kaum wahr. Als Arlette dann an den Hof geht und die Geliebte von Robert wird, steigt die Spannung zusehens an. Der Leser wird regelrecht mit den Geschehnissen um Arlette und die politischen Ereignisse mitgerissen. Arlette bekommt noch weitere Kinder und als Frau kann man ihre Angst und ihren Kampf um ihre Kinder gut nachfühlen. Aber auch die historisch-politischen Aspekte kommen hier nicht zu kurz.


    Eine sehr gelungene Geschichte um Arlette, die durch ihre Freundschaft zur Hebamme Godhild abgerundet wird.


    Das Ende kam mir allerdings zu abrupt. Hier hätte ich mir einen schönen Ausklang der Geschichte gewünscht.


    Dennoch ist es ein empfehlenswertes Buch, das bisher nur beim Club Bertelsmann als Club Premiere im Hardcover-Format erschienen ist.



  • Arlette, die Tochter eines Gerbers, ist 16, als sie von dem Ritter Gilbert de Brionne vergewaltigt wird. Das Mädchen will die furchtbare Tat nicht einfach hinnehmen und findet den Mut, den Ritter vor dem Herzog der Normandie anzuklagen. Der jedoch weist die Anklage zurück und auch bei kirchlichen Würdenträgern findet Arlette keine Unterstützung. Zu allem Unglück bleibt die Tat nicht ohne Folgen, denn Arlette trägt ein Kind. Der Weg in eine standesgemäße Hochzeit ist ihr damit verwehrt. Als Ritter Gilbert de Brionne ihr den Sohn streitig macht, zieht Arlette erneut vor den Hof um Anklage zu erheben. Dort herrscht nun mit Robert I. ein neuer Herrscher, dessen Aufmerksamkeit sie erlangt. Statt ihr zu ihrem Recht zu verhelfen, macht er sie zu seiner Geliebten. Viele Jahre wird diese Friedelehe andauern, in deren Verlauf Arlette weitere Kinder gebiert, weit aufsteigt und tief fällt.


    Hilke Müller erzählt über einen Zeitraum von knapp 20 Jahren die Geschichte Herluins/Arlettes, der Mutter des als Wilhelm der Eroberer in die Geschichte eingegangene Königs von England. Wenig ist bekannt über diese Frau, die in der Gunst Roberts I. weit nach oben stieg und über lange Jahre seine Geliebte war. Vermutlich aus politischen Gründen musste Arlette später eine Ehe mit dem Ritter Herluin eingehen, mit dem sie weitere Kinder bekam. Es ist ein farbenprächtiges Bild, das Hilke Müller zeichnet, das Bild einer unruhigen Zeit, die geprägt war von Machtkämpfen und Thronstreitigkeiten, die oft damit endeten, das unliebsame Mitbewerber aus dem Weg geräumt wurden. Inmitten dieser bewegten Zeit steigt Arlette zur Geliebten auf, die dem Herzog zwar Kinder schenkt, aufgrund des Status der Geliebten am Hof aber den Ruf der Hure nie loswird. Ihr Einfluss auf Robert I., ein Herrscher, der sich durch Versprechungen aber weniger durch Taten auszeichnet, ist groß und nicht Wenigen ein Dorn im Auge. Um die unliebsame Frau loszuwerden wird der Herzog dazu überredet, sie mit einem Ritter zu verheiraten, dem sie auf sein Gut folgen muss. Doch es dauert nicht lange und die Wege von Arlette und Robert kreuzen sich erneut.


    Es klingt wie eine große Liebesgeschichte, aber Hilke Müller zeichnet hier auf 600 Seiten das Bild einer Frau, die aus einfachen Verhältnissen kommt, große Ungerechtigkeit erfährt und darüber die Fähigkeit einbüßt, wirklich zu lieben. Ihr Herz hängt an ihren Kindern, die Männer in ihrem Leben benutzt sie für ihre Zwecke. Sie manipuliert und steuert, wenn sie ihren Willen nicht durchsetzen kann, entfacht sich in ihrem Inneren unglaublich Wut. Echte Liebe kann sie nur von ihren Kindern annehmen und als sie endlich begreift, was für ein Mensch aus ihr geworden ist, ist es fast zu spät, um die Dinge noch zum Guten zu wenden. Ich finde es unglaublich mutig von der Autorin, die Hauptperson des Buches so negativ zu besetzen. Hier bekommt man definitiv keine weichgespülte Heldin in Hosen, keine bequemen Protagonisten in einer netten Geschichte sondern erlebt diese unruhige Zeit genauso knallhart, wie sie gewesen sein dürfte. Arlette führt einen Kampf um Anerkennung und ums tägliche Überleben. Gerade diese unbequeme Figur sorgt aber dafür, dass Hilke Müllers Geschichte und deren Hintergründe beim Lesen nicht einfach als Kulisse an einem vorbeizieht, sondern bis ins Detail bewusst wahrgenommen wird.


    Ich kann mich nicht erinnern, wann mir eine Protagonistin beim Lesen je so viel abverlangt hat wie Arlette, denn über fast die gesamten 600 Seiten dieses Buches möchte man sie am Liebsten permanent schütteln oder anschreien. Sie ist arrogant, trotzig und herrschsüchtig, vergisst, wo ihre Wurzeln liegen, ist mit nichts zufrieden. Arlettes Erkenntnis, Fehler gemacht zu haben und der Wunsch sich zu ändern, kommen langsam und spät. Fast zu spät. Ich hätte diesen Lernprozess gerne etwas ausführlicher gehabt, denn er setzt im Buch leider erst ziemlich zum Schluss ein. Gerne hätte ich gewusst, wie es mit Ihr und dem ihr anverheirateten Herluin weitergegangen ist, denn die Geschichte endet doch ziemlich abrupt.


    Auch die Nebenfiguren seien hier erwähnt, denn blass oder oberflächlich bleibt keine von ihnen. Besonders haben es mir hier der junge Wilhelm und der Ritter Jean le Paien angetan.


    Hilke Müller fordert den Leser mit Figuren, die eigentlich nie so handeln, wie man es erwartet, belohnt aber im Gegenzug mit einer reichhaltigen, lebendigen und üppigen Geschichte ohne klassische Liebesgeschichte dafür aber mit sachlich fundiertem historischen Hintergrund. Von dieser Autorin möchte ich definitiv mehr lesen und hoffe, dass sie auch im nächsten Buch wieder mit ungewöhnlichen Protagonisten überraschen kann.

  • Über den Inhalt wurde schon genug geschrieben, also nur kurz:


    Nachdem ich "Die Tochter des Gerbes" soeben beendet und vorstehende Rezension dazu gelesen habe, habe ich den Eindruck, ein völlig anderes Buch gelesen zu haben.
    Es ist zwar richtig, dass die Autorin ihre Arlette nicht gerade mit einem geschmeidigen Charakter ausgestattet hat, aber das Gefühl sie schütteln zu wollen, hatte ich auf keiner Seite.
    Es mag darüber hinaus auch stimmen, dass Arlette arrogant und herrschsüchtig ist, aber sie ist auch irgendwo eine verzweifelte Frau, der eigentlich ihr ganzes Leben lang Gegenwind ins Gesicht schlägt.
    Ihre Entscheidungen trifft sie aus für sie guten Gründen; dass sie dabei ihrem eigenen Glück im Weg steht, merkt sie nicht.
    Auch das Ende fand ich perfekt, denn es ist doch alles gesagt bzw. geschrieben.


    Mir jedenfalls hat "Die Tochter des Gerbes" sehr gut gefallen, da die historischen Aspekte viel Raum einnehmen und sich "echt" anfühlen. Auch sind die Figuren durchweg gut gelungen, ganz speziell gilt das für Arlettes Sohn Wilhelm, den man hier aufwachsen sieht und ein Stück weit auf seinem Weg begleitet.



    Viele Grüße
    Kalypso