OT: Lorraine Connection 2006, übers. von Andrea Stephani
In einer kleinen Bildröhrenfabrik in Pondange, ehemals Zentrum der lothringischen Stahlindustrie, ereignet sich ein schlimmer Unfall, nicht der erste, von dem die Arbeiterinnen und Arbeiter betroffen sind. Die Arbeitsbedingungen sind miserabel. Ein erstes Aufbegehren endet mit der Entlassung von Rolande Lepetit, einer beliebten Kollegin. Die Stimmung ist so gereizt, daß das das Signal zur Fabrikbesetzung wird. Die Wut steigt, als entdeckt wird, daß die Geschäftsleitung Akten und Computer aus dem Firmengelände zu schmuggeln versucht. Allerdings ist die Belegschaft sich alles andere als einig. Und plötzlich brennt die Fabrik.
In Paris wartet derweil eine Gruppe von hochspezialisierten und hochbezahlten Managern von Alcatel auf einen Telefonanruf. Seit Monaten wurde über die Übernahme des Elektronikkonzerns Thomsons verhandelt. Es gab einen Konkurrenten, den um vieles kleineren Konzern Matra-Daewoo. Die Herren sind sicher, ihn aus dem Feld geschlagen zu haben. Aber es kommt anders, Matra hat den Zuschlag erhalten. Das kann Alcatel unmöglich hinnehmen.
Auf der Suche nach einem Ansatzpunkt stoßen sie auf den Umstand, daß die Fabrik in Pondange dem koreanischen Konzern Daewoo gehört. Der Versicherungsdetektiv Charles Montoya wird ausgeschickt, vor Ort im Dreck zu wühlen. Das ist aber nur der dritte Anfang eines äußerst spannenden Kriminalromans, der eigentlich nur eine einzige Geschichte erzählt, nämlich, wie man ohne Rücksicht auf Verluste den größten Gewinn einfährt.
Manottis Geschichte besticht in mehrerlei Hinsicht. Zum einen ist es ihre Geschicklichkeit, einzelne Fäden zu spinnen und dann ein Gewebe daraus zu machen, dessen Muster tatsächlich erst am Ende, dafür dann aber klar und deutlich erkennbar wird. Zum zweiten ist es ihre Figurenzeichnung. Gleich, ob Arbeiterin, Gewerkschafter, Manager, Kleinstadtpolitiker oder Versicherungsdetektiv, sie stehen quicklebendig da. Manottis Beobachtungsgabe ist unschlagbar. Sie arbeitet mit den kleinen Dingen, eher Nebensächlichkeiten, Kleidung, wer nimmt welche Speisen zu sich, wer hat welches Hobby. Das ist bei ihr nicht Teil der Dekoration, es gibt nichts Überflüssiges hier. Sie scheint die Vertreterinnen und Vertreter der so unterschiedlichen Gesellschaftsschichten sehr genau zu kennen.
Sie schreibt mitfühlend und distanziert zugleich. Tatsächlich kann man sich nicht mit einer einzigen Person identifizieren, es gibt keine SympathieträgerInnen im klassischen Sinn, noch die Besten sind kantig, schroff, fern. Sie haben ihr Leben, sie treffen ihre Entscheidungen. Was geht die Leserin sie an, scheinen sie zu sagen. Auf Mitgefühl können sie pfeifen.
Der Kriminalfall ist verzwickt und spielt sich auf mehreren Ebenen ab, vom Kleindealer bis hin zu EU-Kommissionen. Manotti füttert die nötigen Informationen Stück für Stück zu, erklärt langsam und genau. Die Wendung am Ende mag überraschen, hat aber ihre eigene Logik. Logisch auch, daß alles bei der Politik endet und nicht nur deshalb, weil die Autorin auf die tatsächlichen Ereignisse um Alcatel, Thomson, Daewoo und die französische Regierung in den späten 90er Jahren des letzten Jahrhunderts zurückgreift.
Berührt werden eine erkleckliche Anzahl gesellschaftlicher Themen, es ist ein politischer Roman, nicht nur ein wirtschaftspolitischer.
Er ist von einem Hauch Melancholie durchzogen, was nicht zuletzt daran liegt, daß die wichtigsten Personen die Fünfzig überschritten haben. Wir haben hier keinen dynamisch-jugendlichen Drive, der Antrieb kommt aus einem beachtlichen Schatz an Lebenserfahrung, der allerdings weniger goldglänzend als miststinkend ist. Das trifft für die positiveren wie für die negativeren Figuren zu.
Was Manotti schließlich schafft, ist, daß trotz der Schilderungen der Arbeitsbedingungen der Korruption, der kläglichen, häßlichen Konkurrenzkämpfe die Morde, die ein Krimi ja braucht, der schrecklichste der Schrecken sind. Es gibt ‚nur’ vier, drei davon werden genau beschrieben, es ist jedesmal ein Schock. Das liegt nicht auch an der Schreibkunst dieser Autorin, sie faßt sich nämlich zugleich ganz kurz.
Über einen der Schlüsse - die Geschichte hat drei Anfänge, also hat sie auch drei Schlüsse - kann man streiten. Er ist so konventionell, daß er, obwohl ein klassischer Effekt, der unauffälligste ist. Ich kann nicht entscheiden, ob sich Manotti damit nicht aus ihrem nach ihren eigenen Aussagen kommunistisch geprägten Kosmos hinauskatapultiert oder doch nicht.
Natürlich ist das Ganze nur ein Roman.
Anmerkung: Was mich gewundert hat, ist, daß sie die richtigen Namen der beteiligten Firmen verwendet. Nur die Personen heißen anders und auch Pondange gibt es nicht, wobei allerdings leicht festzustellen ist, auf welche Stadt in Lothringen Manotti sich bezieht.