Seerücken - Peter Stamm

  • # Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
    # Verlag: Fischer (S.), Frankfurt; Auflage: 1 (10. März 2011)
    # Sprache: Deutsch


    Kurzbeschreibung
    Peter Stamm erzählt ungeheuer kunstvoll und scheinbar so einfach von Leben, die nicht gelebt, die aufgeschoben, erinnert und schließlich verpasst werden. In lakonischen Sätzen und unauffällig stimmungsvollen Szenen findet er leicht lesbar, aber schwer verdaulich die kaum spürbaren Eruptionen, die sich im Rückblick als Erdbeben erweisen. Die Einsamkeit im gemeinsamen Urlaub. Ein verlassenes Hotel in den Bergen. Ein Mädchen im Wald. Ein Pfarrer, der die Vögel füttert. Die erste Liebe mit Gewicht.
    Peter Stamm zeigt sich auch in "Seerücken" wieder als Meister der Kurzgeschichte.


    Über den Autor
    Peter Stamm, geb. 1963, studierte nach einer kaufmännischen Lehre einige Semester Anglistik, Psychologie, Psychopathologie und Wirtschaftsinformatik. Längere Aufenthalte in Paris, New York und Skandinavien. Er lebt mit seiner Familie in Winterthur. Er arbeitete in verschiedenen Berufen, unter anderem in Paris und New York. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor und Journalist. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele.


    Meine Meinung
    Der neue Kurzgeschichtenband "Seerücken" umfasst insgesamt zehn Kurzgeschichten auf beinahe 200 Seiten. Der Titel "Seerücken" bezieht sich auf die so bezeichnete Landschaft im Kanton Thorgau in der Schweiz und beinahe alle Geschichten in diesem Band spielen dort in der näheren Umgebung.


    In der ersten Geschichte "Sommergäste" möchte ein Professor, der einen Aufsatz über Max Gorki schreibt, in Ruhe in einem abgelegenen Hotel arbeiten. Er mietet sich in ein Kurhotel ein, in dem er der einzige Gast ist. Im Hotel trifft er auf Ana, die ihm zum Abendessen kalte Ravioli hinstellt. Er hat kaum Zeit dort am Laptop zu arbeiten, da es weder Strom noch Wasser gibt. Erst spät stellt er fest, dass dort irgendetwas nicht stimmen kann.


    In allen Geschichten geht es um sehr viel Stille, Abgelegenheit und auch immer wieder Andersartigkeit. Stamm schreibt über ein Mädchen, dass sich dazu entscheidet, im Wald zu leben, über Alfons, einen Bauern, der einsam und alleine auf seinem Hof wohnt.


    Sehr gut gefallen haben mir die Geschichten "Der letzte Romantiker" und die zweite Geschichte aus dem Band "Der Lauf der Dinge". Insgesamt haben mir aber alle Geschichten gut gefallen, vielleicht bis auf die letzte. Stamm schreibt in einer ihm typischen nüchternen und knappen Sprache, die mir gut gefällt. Trotzdem fehlen den Geschichten in "Seerücken" ein wenig das "gewisse Etwas". Anders als bei anderen Büchern von Stamm, hat man zwar ein gutes und nettes Leseerlebnis, richtig begeistert haben mich die Erzählungen jedoch nicht zurückgelassen.


    7,5 Punkte.

  • Seerücken. Erzählungen - Peter Stamm


    Wer diesen schmalen Band mit zehn Geschichten von Peter Stamm wegen der Lobeshymnen in den Feuilletons liest, wird sich rasch enttäuscht fühlen. Was hier unter dem Namen einer Landschaft am Bodensee versammelt ist, kommt seltsam banal daher. Die auftretenden Personen sind blaß und fast ohne Konturen, ihr Handeln einer Logik unterworfen, die schwer durchschaubar ist. Ein Wissenschaftler verbringt Tage in einem unwirtlichen Hotel, in dem er nicht arbeiten kann, obwohl er zum Arbeiten gekommen ist (Sommergäste), ein Paar entdeckt die Liebe neu, nur damit sie ihm wieder aus der Hand geschlagen wird (Der Lauf der Dinge). Ein Pfarrer hadert mit sich und seinem Glauben, sieht aber plötzlich Licht (Das Mahl des Herrn), eine junge Frau bewegt sich seit ihrer Teenagerzeit in einer schließlich tödlich endenden Depression (Im Wald), der Lebenstraum eines Pförtners endet im Eis (Eismond), der eines Bauern grünt wider Erwarten (Siebenschläfer), der einer Pianistin zerschellt an der Realität (Der letzte Romantiker). Die wahre Botschaft einer langen Ehe verbirgt sich in einem Koffer und daß er abgestellt wird, ein Paar ist zusammen, obwohl die beiden sich fern sind (Sweet Dreams), ein Ich-Erzähler sitzt rauchend am Strand und wird am Ende fotografiert (Coney Island).


    Das Ganze liest sich glatt, bedingt durch den sparsamen Stil des Autors, ruhig, immer an der Grenze zur Belanglosigkeit. Keine der Figuren ist so gestaltet, daß man warm würde mit ihnen, Sympathie kommt nicht auf, höchstens ein schwaches Gefühl von Mitempfinden. Die Sprache ist ein so bewußtes, an den Regeln orientiertes Hochdeutsch, daß eine eigene Stimme des Autors kaum zu vernehmen ist. Viele Absätze wirken nahezu steril.
    Es dauert seine Zeit, bis eine gewisse Atmosphäre spürbar wird, aus den Beschreibungen der jeweiligen Landschaft vor allem. Hier kommt der bewußte Einsatz schlichter Formulierungen zum Tragen und sie sind es, die vieles retten. Vor allem aber sind sie Lichtzeichen dafür, daß in den Geschichten mehr stecken kann, auch wenn sie alles andere als rundum gelungen sind. Viel zuviele Erzählungen versickern am Ende in Biederkeit und einem Pathos, das viel zu nahe am Kitsch ist. (Der Lauf der Dinge, Der letzte Romantiker, Siebenschläfer, Sweet Dreams). Das Kokettieren mit dem Schriftstellerberuf in Sweet Dreams zerstört diese ohnehin schwächlcihe Geschichte fast völlig.


    Gemessen an den Stimmungsbildern, die der Autor zeichnen kann, hat man immer wieder den Eindruck, als sei das Ende der Geschichten noch nicht reif, als würde etwas aufgesetzt, um nur ja die Ruhe nicht zu durchbrechen, die sich der Autor deutlich als oberstes Gebot gesetzt hat.


    Die Unruhe, die hinter der Ruhe brodeln soll, wird von dem Gebot nahezu erstickt. Sie siedet, wirft kaum Blasen, der aufsteigende Dampf ist kaum zu sehen. Die Figuren empfinden sie nur verhalten, der Leserin teilen sie sich ebenso verhalten mit. Dem Konflikt wird so wenig Raum gelassen, daß man sich mitunter fragt, wozu er überhaupt angedeutet wird. Abheben tun sich nur wenige Erzählungen, Eismond, etwa, in der Atmosphäre, Erzählerstimme und Handlung zum einem Ganzen zusammenfinden oder Der Koffer, die immerhin an ein Ganzes fast heranreicht. In den anderen sieben Geschichten kann man sich nur an den gelungen Passagen erfreuen, ehe eine der Absturz, erzähltechnisch, im Handlungsverlauf oder in einigen ärgerlichen Fällen schlicht sprachlich-grammatikalisch wieder aus der Bahn wirft.


    Hält man aber durch, wird man auf den letzten drei Seiten des Bands mit einem Juwel belohnt, Coney Island. Die schlichte Beschreibung des Anzündens einer Zigarette, des Rauchens,, der Blicke über Strand und Meer enthalten Welten. Da sitzt jemand, in einer Haltung, die vom Walter von der Vogelweides ‚Ich saz uf einem steine’ bis zu Rodins Denker ziemlich jede Assoziation möglich macht und ihre Weiterungen bis über den Horizont hinaus. Das gleiche gilt für den Akt des Rauchens, das Entzünden des Feuers, das Aufglimmen und das Verbrennen zu Asche. Der Blick auf die Welt und die Menschen kulminieren in einer wirklich großen Schlußsequenz aus nur wenigen Sätzen.


    Mit dieser Kurzgeschichte im klassischen Sinn wird der Bogen zum Thema den übrigen Erzählungen geschlagen und schließlich auch zum Titel der Sammlung. Der Seerücken ist ein Relikt aus der Eiszeit, geworden, aber seit zehntausenden von Jahren unverrückbar, auch wenn sich die Erde darunter tatsächlich bewegt. So sollen die Menschen in diesen Geschichten sein und ihr Handeln, fern und doch greifbar, anders und doch altvertraut, unmerklich und tragisch, in ihrem Scheitern vermeintlich ewig


    Für die, die Peter Stamm noch nicht kennen, ist gerade diese Sammlung von Erzählungen nicht unbedingt geeignet, Interesse an diesem Autor zu wecken, da sich seine Stärken nur an wenigen Stellen tatsächlich offenbaren.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich finde mich mit meinem Leseeindruck gut in buzzaldrins Rezi wieder; auch ich habe schon Besseres von Peter Stamm gelesen, dennoch sind fast alle der in diesem Band enthaltenen Kurzgeschichten okay bis gut. Am besten hat mir "Der Lauf der Dinge" gefallen, als einzige gar nicht zugesagt hat mir der Abschluß, "Coney Island".
    Wie von Peter Stamm gewohnt erzählt er in einer extrem reduzierten, glasklaren Sprache und skizziert mit wenigen Worten Geschichten von großer Tragweite. Auch wenn diesmal das große Highlight fehlt, habe ich auch diesen Erzählungsband gern gelesen.