Adriana Stern: Jockels Schweigen (ab 14 Jahre)

  • Kurzbeschreibung:
    Als der 16-jährige David hinter dem Rücken seiner Eltern den Agenturvertrag für seinen kleinen Bruder Jockel unterschreibt, nimmt eine ungeahnte Katastrophe ihren Lauf. Schon kurze Zeit später bemerken David und seine Eltern schlimme Veränderungen an Jockel. Gemeinsam mit seiner ersten Liebe Julie kommt David einem schrecklichen Verbrechen auf die Spur... Adriana Stern hat sich in diesem Roman auf ausgesprochen sensible Weise des sehr ernsten Themas Missbrauch angenommen. Herausgekommen ist ein spannender Roman, der nicht nur von einem Verbrechen handelt, sondern auch eine wunderschöne Liebesgeschichte erzählt. Ihr Roman orientiert sich an einem wahren Verbrechen, das im November 2008 in Berlin aufgedeckt wurde.


    Über den Autor:
    Adriana Stern, geb. 1960 am Niederrhein nahe der holländischen Grenze und Grenzgängerin geblieben, begann mit 12 aufzuschreiben, worüber niemand reden wollte. Ihr Leben in unterschiedlichen Welten spiegelt sich seit 1992 in Anthologie-Veröffentlichungen wider. Sie erzählt von Wirklichkeiten, die hierzulande noch immer um ihr Existenzrecht kämpfen.


    Meine Meinung:
    David ist 16 und hat es eigentlich recht gut im Leben. Er versteht sich mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder, ist gut in der Schule und ist in seinem Hobby, Snooker, ziemlich erfolgreich. Die Veränderungen in Davids Leben kommen schleichend: da ist zunächst mal sein bester Freund Chip. An einem Tag ist er super drauf und steckt David mit Ideen an, die unglaublich sind und quasi die Welt verändern werden. Am nächsten Tag ist Chip alles andere als gut gelaunt und schießt David mal wieder in den Wind - ohne irgendwas zu erklären...Zu Hause nervt Davids kleiner Bruder Jockel auch schon mal nachhaltiger, bis David anstelle seiner Eltern den Vertrag für eine Schauspielagentur unterschreibt, damit Jockel glücklich ist und ihn zufrieden lässt. Das tut er dann auch, scheint aber alles andere, als glücklich zu sein. Jockels Verhalten ändert sich dramatisch und weder David, noch seine Eltern, können zunächst einen Grund dafür erkennen. Als dann Knall auf Fall die große Liebe in Davids Leben platzt und Chip ausrastet, als er erfährt, dass Jockel seine Freizeit in den Räumen der Agentur verbringt, geht auf einmal alles ganz schnell und David wird schwarz auf weiß damit konfrontiert, was seinem kleinen Bruder zu schaffen macht.


    "Jockels Schweigen" von Adriana Stern widmet sich einem hochaktuellen und brisanten Thema - dem Mißbrauch von Jugendlichen, in diesem Fall Jungen. Dabei geht sie sehr einfühlsam und nachdrücklich auf Hintergründe, Entwicklungen und mögliche Hilfe für Betroffene ein. Sie verzichtet auf bloße Effekthascherei, sondern klärt den Leser behutsam darüber auf, was in den Köpfen beider Seiten - Betroffener und Täter - vorgehen mag.
    Die Romanhandlung ist schlüssig und auch die Charaktere sind sehr schön detailliert und liebevoll gezeichnet. Insbesondere David und seine Familie, aber auch sein Freund Chip und dessen Umfeld nehmen viel Raum ein. Es zeigt sich schon sehr schnell, dass mit David und seinem Elternhaus auf der einen Seite und Chip und seinem Leben auf der anderen Seite quasi zwei verschiedene Welten im Buch existieren. Chip ist dabei eine ganz außergewöhnliche Figur, die mir als Leser schnell und schmerzlich ans Herz gewachsen ist. Ein Junge, der sozusagen verschiedene Gesichter hat und in verschiedene Rollen schlüpfen muss, je nachdem, was die Situation erfordert. Chip trägt die Last mehrerer Leben auf seinen Schultern und niemand scheint etwas davon zu ahnen. Nicht einmal David, sein bester Freund. Auch dieser macht im Buch eine gut nachvollziehbare Entwicklung durch - zunächst ist er recht ordentlich und fast zu formell für einen Jungen seines Alters. Aber als er sich verliebt und die Geschehnisse um Jockel ins Laufen kommen, entdeckt er ganz neue Seiten an sich selbst. Jockel selbst ist eigentlich noch ein Kind, ein kleiner Dickkopf, der mir mit seiner manchmal recht quengeligen Art doch schnell sympathisch war. Und auch die Elternhäuser von beiden Jungen sind wie gesagt, sehr gut und mit viel Liebe dargestellt.
    Dieser wohlüberlegte Schreibstil, der sich wohltuend zu anderen Veröffentlichungen in dem Genre abhebt, macht das Buch auch zu etwas wirklich besonderem. Man merkt der Autorin den Ernst der Sache und das Bemühen, aufzuklären und zu helfen, deutlich an, ohne, dass sie übertrieben reißerisch zur Sache gehen muss. Im Gegenteil - im Buch herrschen die leisen Töne vor und machen die Geschichte gerade deswegen so eindrucksvoll, dass man sich als Leser auch nach dem Schlusspunkt noch damit beschäftigen wird.


    Ich danke der Autorin für dieses eindrucksvolle Buch und ihr und allen Mitlesern für eine wirklich tolle, engagierte Leserunde und hoffe, dass man sich spätestens beim nächsten Buch von Adriana Stern wiedersehen und -schreiben wird.