Systemneustart - William Gibson

  • "Everyone who is reading this book is just one click away from Google."
    (William Gibson)


    William Gibson ist ein Phänomen. In den 80ern debütierte er als schon nicht mehr ganz junger Autor mit NEUROMANCER etablierte den Begriff "Cyberspace" und führte die Cyberpunk-Bewegung an und mischte damit gehörig das Science Fiction-Genre auf. Heute, vielleicht ein Dutzend Romane später schreibt er Gegenwartsromane wie SYSTEMNEUSTART. Und dabei hat er sich weder stilistisch noch inhaltlich so sehr verändert. Es ist eher die Welt, die sich seinen Fiktionen angenähert hat.


    Worum geht es nun bei SYSTEMNEUSTART (Originaltitel: ZERO HISTORY)?


    Es gibt zwei Protagonisten. Da ist einmal Hollis Henry, eine ehemalige Rockmusikerin und Journalistin, die in einem edlen Londoner Club-Hotel lebt und für einen exzentrischen Multimillionär namens Bigend arbeitet. Was genau ist erst einmal nicht klar, dann scheint es immer mehr um Industriespionage, speziell um Mode, Modetrends, Militärkleidung und geheime Modelabels zu gehen. Und dann ist da noch Milgrim, ein ehemaliger Drogenabhängiger, der nach einem längeren Aufenthalt in einem Baseler Krankenhaus (von Bigend finanziert) ebenfalls für Bigend zusammen mit Hollis an demselben Projekt arbeitet.


    Das sind erst einmal äußerst interessante Charaktere mit sehr individuellen Eigenschaften, die sich hier zum Teil zum ersten Mal finden oder wieder aufeinander treffen, denn SYSTEMNEUSTART ist der dritte Teil einer losen Trilogie (die anderen Teile heißen auf deutsch MUSTERERKENNUNG und QUELLCODE). Bigend und seine Firma "Blue Ant" tauchen in allen drei Romanen auf. Hollis Henry und Milgrim wurden in QUELLCODE eingeführt, ihre Wege haben sich - wenn ich mich richtig erinnere - aber nicht gekreuzt. Hollis Henry arbeitete in diesem Roman ebenfalls schon für Bigend: sie sollte für ihn ein Technologiemagazin herausbringen (ähnlich dem Magazin WIRED), das sich mit Locative Art (eine Art Kunst im virtuellen Raum, die mit realen Lokationen verbunden werden) beschäftigt. Ich glaube, das man QUELLCODE trotzdem gut lesen kann, ohne die Vorgänger zu kennen.


    Technologien kommen also schon vor in diesen Roman (insofern sind sie streng dem Namen nach "Science Fiction"), aber es handelt sich ausschließlich um real existierende Technologien. Tatsächlich wird einem die eine oder andere Idee faszinieren, vieles wird einem auch bekannt vorkommen, denn es wird getwittert, gegoogelt und mit Apple-Produkten herumgespielt was das Zeug hält. In diesem Zusammenhang ist Milgrim eine sehr interessante Figur, denn er hat durch seine Drogensucht etwa zehn Jahre Technologie verpasst, die er jetzt offenbar aufholen will.


    Es geht aber eigentlich viel mehr um Trends und Informationen, dem eigentlichen Cyberspace. Da ähnelt Gibson manchmal etwas an Don DeLillo. Das ist modern, aber wenig greifbar. Um diese Themen dem Leser näher zu bringen wählt Gibson hier wieder einmal die Form eines Kriminalromans oder Thrillers, aber das ist nur ein Gerüst, das Gibson nicht richtig füllen kann und offenbar auch nicht will (also Vorsicht vor dem Begriff "Wirtschafts-Thriller" auf dem Umschlag). Ein Spannungsroman mit sehr wenig tatsächlicher Spannung. Man ist von den Einzelteilen (den Beschreibungen, den Ideen, der ultimativen Modernität) fasziniert, aber wie in allen früheren Romanen, und ich habe wirklich alle gelesen, funktioniert der Roman in der Gesamtheit für mich schon wieder nicht. Nach etwa 200 Seiten wurde es etwas langweilig und man beginnt unaufmerksamer zu lesen, und das ist bei Gibson fatal, denn es sind ja gerade die Details, die diesen Roman ausmachen.

  • Danke für deine Rezi. So richtig überzeugend klingt es für mich nicht, da wird das Buch wohl noch eine Weile warten müssen, bis es gelesen wird. Passt aber irgendwie auch zu dem Eindruck, den ich bei den beiden vorherigen Bänden hatte. :-(

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]