Burning von Lee Chang-Dong ist eine Verfilmung von Haruki
Murakami Kurzgeschichte Scheunenabbrennen, die in seinem Kurzgeschichtenband „Der
Elefant verschwindet“. Das war mein erster Murakami, etwas mehr als zwanzig
Jahre her, entsprechend wenig hatte ich mich an diese Geschichte erinnert.
25 Seiten. Der Film geht
145 Minuten. Was ist da passiert? Ganz einfach, eine kongeniale Umsetzung, die
das Genre der Literaturverfilmung beinahe neu erfindet.
Der Film deckt die
wesentlichen Motive und Szenen der Kurzgeschichte ab: Mann/Erzähler ist mit einer
Frau befreundet (in der Geschichte platonisch, im Film mit romantischer
Komponente). Sie arbeitet als Model, dann reist sie nach Afrika und als sie
wiederkommt (und sich vom Erzähler vom Flughafen abholen lässt) hat sie einen Mann
im Schlepptau, den sie auf der Reise kennengelernt hat. Der Mann entpuppt sich
als eine Art Gatsby-Figur. Reich, charismatisch. Sie sind von nun ein Paar. Und
irgendwann später laden die beiden sich spontan nachhause zum Erzähler ein. Als
die beiden Männer alleine sind, erzählt der Freund der Frau, dass er gerne, so
als Hobby Scheunen abbrennen würde (im Film werden daraus Gewächshäuser), einfach
so. Tatsächlich hat er sein nächstes Objekt schon ausgesucht. Es wäre ganz in
der Nähe. Es brennt aber keine Scheune in der Nähe nieder. Die Frau verschwindet
spurlos.
Was macht Lee
Chang-Dong nun mit diesem Stoff? Zunächst einmal verlegt er in die Handlung von
Japan nach Südkorea. Die Frau und ihr neuer Freund sind sehr nah am
Originalstoff, die Hauptfigur ist aber nun jünger und unverheiratet. Überhaupt legt
Chang-Dong eine psychologische Schicht über diese Figuren. In der Kurzgeschichte
ist alles nur abstrakt und angedeutet, im Film haben die Figuren eine
zusätzliche Tiefe. Es geht um Verlust und Neid. Die Hauptfigur leidet unter dem
Verlust seiner Freundin. Die soziale Kluft wird hier noch spürbarer. Die
Interaktion zwischen den beiden Männern ist extrem ambivalent und spannend.
Chang-Dong fügt auch
eigene Metaphern hinzu, die vor allem durch die Frau symbolisiert werden. Ihre
Reise nach Afrika hat sie sehr beeinflusst. Sie spricht vom kleinen Hunger und
vom großen Hunger und führt Hungertänze auf. So wie in einer Schlüsselszene
während des Besuchs des Paares bei der Hauptfigur, als im Morgengrauen die Frau
nackt zu den Klängen von Generique von Miles Davis einen Tanz vorführt. Der
Filmmusik zu Fahrstuhl zum Schafott von Louis Malle. Da fragt man sich, ob das
auch ein gewolltes Zitat ist. Wie Malles Meisterwerk der Nouvelle Vague ist
Burning im Kern ein psychologischer Thriller, nur eben subtil und leise erzählt
(wobei Burning noch einmal mehrere Spuren leiser und subtiler ist).
In der Handlungsführung
und der Auflösung (die hier nicht verraten sein soll) füllt der Film die Lücken der Kurzgeschichte.
Apropos Miles Davis: da
kommen wir zu einer weiteren Schicht, die Chang-Dong dem Stoff hinzugefügt hat.
Der Murakami-Fan-Schicht. Jazz-Musik: Die Musik von Miles Davis kam auch schon
in der Kurzgeschichte vor (aber ein anderes Stück). Aber komplett neu im Film: Eine
Katze spielt eine entscheidende Rolle, mysteriöse Telefonanrufe, man lädt sich
zum Pasta-Essen ein, literarische Referenzen (Fitzgerald, Faulkner) und ein
Schriftsteller als Hauptfigur. Alles typische Murakami-Elemente. Da war ein Fan
am Werk.
Zu den
schauspielerischen Leistungen. Jeon Jong-Soo (die Frau) in ihrer ersten Filmrolle
überhaupt (und dann durfte sie mit dem Film direkt nach Cannes). Yoo Ah-in, der
junge Schriftsteller: die Passivität und die Verletztheit kann schon
anstrengend sein (erwartet nicht zu viele verschiedene Gesichtsausdrücke). Und
Steven Yeun in der Rolle des reichen, Porsche-fahrenden neuen Freundes der Frau.
Eine sehr gute Casting-Entscheidung. Yeun ist koreanisch-Amerikaner, den man
eher aus Hollywood-Produktionen kennt, und diese Internationalität macht ihn
dadurch noch einmal spürbar fremder aus der Perspektive der beiden anderen, unterprivilegierten
Figuren. Und ganz abgesehen davon spielt er die Rolle auch einfach verdammt
gut.
Ein unheimlich
komplexer Film. Mein Film des Jahres 2020.
(in Amazon Prime enthalten)