Beiträge von Googol

    Hier noch die Auflösung. Inzwischen gab es einen Artikel dazu in der New York Times, unter anderem auch basierend auf einem Instagram-Post von Merve Emre, die dort ein paar Details ausgeplaudert hat, was eigentlich gegen die Verschwiegenheitsregeln verstößt.


    Wir wissen jetzt, dass James in der Tat nicht auf der ursprünglichen Finalistenliste stand. Allerdings war es so, dass das Board, nachdem es sich nicht auf einen Gewinner aus den drei Titeln einigen konnte, die Jury nach einem weiteren Titel gefragt hat. Es war also nicht komplett so, dass die Jury überstimmt wurde, sondern es war eher eine „Was habt ihr denn noch so anzubieten?“ Anfrage.

    Was wir jetzt auch wissen, ist, wer in der Jury saß: Bryan Washington, Jonathan Lethem, Laila Lalami, Ayana Mathis und Merve Emre.


    Und zudem einen interessanten Kommentar von Merve Emre aus ihrem Post:


    Zitat

    It was a peculiar privilege to serve as the chair of jurors for the 2025 Pulitzer in Fiction. Five of us — me, Ayana, Bryan, Jonathan, Laila — rummaged through six-hundred or so books and chose four that represented “distinguished fiction by an American author, preferably dealing with American life.” To view the field of literature from such a wide vantage point was necessarily to trace patterns and resemblances. It was difficult to avoid fatigue and cynicism. American publishing is not in a healthy state; the more directly its judgments are determined by the market and the mass media — the more sources of funding, like the NEA, disappear — the sicker it will become: homogenous, inert, inexpert, cheap. Yet this means that when a book truly excites you, when it shocks, amuses, and makes you think hard, then you feel certain of its importance. Congratulations to our three extraordinary finalists, Rita Bullwinkel’s HEADSHOT, Gayl Jones’s THE UNICORN WOMAN, Stacey Levine’s MICE 1961, and to the winner, Percival Everett’s JAMES.

    Man muss dazu sagen, dass das kaum sichtbar ist, weil die Finalisten ja bis zur Preisvergabe nicht veröffentlicht werden. Es gibt also keine typischen veröffentlichten Long- oder Shortlists, aber prinzipiell finde ich die Regel auch nicht nachvollziehbar: Entweder man vertraut der Jury, die man ja dafür engagiert, oder eben nicht.


    Vielleicht ist aber auch das ganze Prinzip blöd. Was macht man als Board, wenn man die drei Titel so überhaupt nicht mag (wieso ermittelt die Jury den Gewinner nicht direkt?). Das letzte Mal gab es eine Kontroverse, bei der sich das Board 2012 entschieden hat, keinen Preis zu vergeben (nominiert waren Train Dreams von Denis Johnson, Swamplandia! von Karen Russell und The Pale King von David Foster Wallace).

    Interessantes Detail, das noch zu Kontroversen führen könnte.


    Wer genau hinschaut und wer sich ein wenig mit dem Vergabesystem auskennt, wird hier ein ungewöhnliches Detail erkennen. Es ist so, dass eine Vorjury drei Titel auswählt und dann dem Pulitzer Board übergibt, eigentlich mit der Idee, dass dann der Gewinner aus diesen dreien ausgewählt wird. Dieses Jahr gab es vier (!) Finalisten. Entweder das Board wählt dann am Ende "Kein Preis" oder nimmt ein anderes Buch dazu. Das muss hier geschehen sein, denn wieso dieser Aufwand und diese Ausnahme (das scheint nicht so oft zu passieren), wenn man den Titel dann nicht auch zum Sieger erklärt.


    Die ursprüngliche Shortlist war also eher ungewöhnlich, nicht komplett obskur, man kennt Bullwinkel und Jones, und eben auch komplett weiblich. Und dann scheint diese Liste auf ein Pulitzer Board getroffen zu sein, die sagte: Moment mal, wie originell, aber James ist so offensichtlich, spinnt ihr eigentlich, den nicht zu berücksichtigen?


    https://lithub.com/did-the-pul…rcival-everett-the-prize/

    Neben vielen anderen Kategorien hier die Nominierten und der Preisträger für Fiction.


    Favoritensieg dieses Mal: James von Percival Everett, der ja schon den National Book Award gewonnen hat.


    Auf der Shortlist zudem noch:

    Rita Bullwinkel – Headshot (auch gelesen)

    Stacey Levine – Mice 1961 (noch nie was von gehört)

    Gayl Jones – The Unicorn Mountain


    ASIN/ISBN: 3446279482

    White Lotus ist wieder mal vorbei, und über weite Strecken war das großartig, aber irgendwas stimmte mit der letzten Folge nicht. Die Anzahl der scheinbaren dramaturgischen Logikfehler ist extrem. Man hört davon, dass einige gedrehte Szenen dann doch gestrichen wurden, weil die letzte Folge auch so schon 90 Minuten hatte, und man hatte den Eindruck, dass das eine oder andere Continuity-Problem einfach ignoriert wurde. Schönheitsfehler einer ansonsten wieder starken, wenn auch insgesamt eher langsamer erzählten Staffel. Aber verdammt, dann dreht halt neun Folgen, wenn das die natürlichere erzählerische Länge der Geschichte ist.Wh

    Ich war bei der Nominierung von Eurotrash eher deshalb überrascht, weil Faserland tatsächlich nie auf Englisch übersetzt wurde und Eurotrash ja nun einmal in direktem Bezug zu dem Roman steht. Überhaupt bin ich ja ein spätberufener Bewunderer von Kracht, insofern hätte ich schon nichts gegen eine Shortlist-Nominierung gehabt.


    Überraschter bin ich eher bei Perfection, weil der Roman okay ist, vielleicht sogar gut in Momenten, aber dann auch irgendwie zu thesenhaft und literarisch schwachbrüstig. Da ist im direkten Vergleich bei Eurotrash schon wesentlich mehr los.


    Schade finde ich, dass es Book of Disappearance nicht geschafft hat, aber auch nur deshalb, weil ich es ungelesen hier habe und der Roman einfach einen sehr interessanten Eindruck macht.

    Im März zu Gast bei Thea Dorn: Eva Menasse, Johannes B. Kerner und Philipp Tingler.

    Bitte was? Entweder ich werde überrascht oder das wird der intelektuelle Tiefpunkt deutscher Literatursendungen.

    EDIT: Ich hatte im Literaturclub-Thread mal eine entsprechende Theorie geäußert, mal sehen, ob sie auch hier zutrifft. Immer wenn jemand sehr literaturfremdes zu so einer Sendung eingeladen wird, gibt es entweder Klassiker oder nicht ganz aktuelle Bücher, um vielleicht das Lesepensum der Gäste nicht zu überstrapazieren.

    Sollte es zu einer Regierungsbeteiligung der SPD kommen, hoffe ich stark darauf, dass Pistorius die Führung übernimmt und Scholz sich zurückzieht. Was für Pistorius langfristig vielleicht auch die vielversprechendere Variante wäre als hoffnungsloser Kanzlerkandidat. Seinen Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz fand ich zumindest stark, und als alter SPD-Sympathisant bin ich doch etwas Scholz-müde (mit meiner alten Hamburger Vergangenheit hat er dann doch vielleicht ein wenig zu viel Zeit meines Lebens begleitet).

    White Lotus ist wieder da. Erste Folge der dritten Staffel. Wieder ein nicht näher benanntes Verbrechen zu Beginn, Schüsse, eine nicht erkennbare Leiche im Wasser und dann der Rückblick in das Luxus-Resort, den neuen Gästen, die ankommen, das exotische Setting, dieses Mal Thailand, und eine Anzahl kruder und ungewöhnlicher Figuren. Zwei davon kennen wir bereits. Fängt wieder spannend an.

    Almodóvars englischsprachiges Debüt. Einerseits still und kammerspielartig, aber auch spektakulär in der Inszenierung, in den schauspielerischen Leistungen von Tilda Swinton und Julianne Moore, aber auch John Turturro in einer Nebenrolle – und den Settings, der Architektur und Natur, der Kamera und dem Licht. Großes Kino.


    Die Verfilmung eines Romans von Sigrid Nunez, die gerade einen guten Lauf mit Verfilmungen zu haben scheint. Ich habe auch einen vielversprechenden Trailer von The Friend mit Naomi Watts und Bill Murray gesehen.


    ASIN/ISBN: B0DPZ87R51

    Warum Als wir Schwäne waren noch einmal durchgekaut werden musste, weiß ich nicht. Das Buch hatte letztes Jahr zu recht viel Aufmnerksamkeit erhalten und jetzt tun die Literaturclub-Leute so, als hätten sie das Buch für uns entdeckt.


    Meine Theorie ist, dass immer, wenn ein nicht aktuelles Buch besprochen wird, es der Gast ist, der das mitbringt (auch hier – ich kann mich noch erinnern, wie Dani Levy damals eine zerfledderte Taschenbuchausgabe vom Distelfinkmitbrachte, als der auch schon ein alter Hut war). Vermutlich haben sie nicht so viel Zeit zum Lesen. Um sie ein wenig zu entlasten, lassen sie sie ältere Bücher, die sie schon gelesen haben, mitbringen.

    Neuerdings spricht sie auch so komisch. Langsam und überdeutlich, dabei stets mit penetrant genervten Unterton. :gruebel


    Sie erinnert mich zunehmend, auch optisch, an Elizabeth Holmes, die ehemalige Geschäftsführerin von Theranos, weiblicher Steve Jobs, Überfliegerin und dann doch nur Anlagebetrügerin. Die hatte sich ja auch eine spezielle tiefe Stimme antrainiert, die überhaupt nicht die ihre war. Ich vermute hier fast auch, dass Weidel einen Stimmcoach hat, nur leider keinen besonders guten ;)

    Es "kommt so an", weil politisch intendierte Stellungnahmen es auf ein "Verbot" reduzieren


    Na ja, wenn wir dabei sind, Sachverhalte von subjektiven Interpretationen auseinanderzudröseln, dann geht es mir zu weit, das Gendern oder einen Hinweis auf das Genderverbot als zwingend politisch intendiert darzustellen. Das mag teilweise stimmen, die Interpretation mag auch einem gewissen Menschenverstand folgen, aber sie ist eben mindestens zum Teil Interpretation.


    Obwohl ich selbst denke, wie auch schon an mancher Stelle angedeutet, dass die Debattenkultur genau zu diesen politisch intendierten Überspitzungen neigt, ist das gerade beim Thema Gendern beiderseitig zu beobachten, und auch in deinen Darstellungen wird deine politische Intention oder Haltung speziell zum Thema Gendern sichtbar. Ich halte Gendern weder für aktuell geglückt oder durchdacht noch für das Ende des Abendlandes. Aber es fällt gerade eben auch im rechten Lager auf, wie das Gendern fast auf einer Ebene mit anderen gerade durchs Dorf gezogenen Themen behandelt wird (Immigration, Corona, Klima etc.). Auch da gibt es ein gewisses Muster, wenn auf X-Profilen dann eben AfD-Propaganda betrieben wird und sich gleichzeitig z. B. über die Pronomenangabe lustig gemacht wird.


    Das heißt natürlich nicht, dass man rechts ist, wenn man gegen das Gendern ist, oder links, wenn man es unterstützt, aber eine politisch überhitzte Zuspitzung und Polarisierung scheint mir doch auffällig.

    Der Umgang mit der AfD berührt das klassische Poppersche Paradoxon der Toleranz. Intoleranz nicht zu tolerieren, ist nicht intolerant, sondern schützt die Werte der Toleranz.

    Den Fortschritt so lange abzuwarten, bis auch die letzten dazu bereit sind, hat nur ein einziges Ergebnis: Keinen Fortschritt.

    Das ist eine Dynamik, die ich vor allem in der Wirtschaft und der IT-Welt sehe: Man sitzt in einer Bequemlichkeitsschleife fest, aus der es sehr schwer ist, Innovationen zu initiieren, also sogar in kleineren Gruppen von Menschen, die demografisch eigentlich durchaus geeignet für Fortschritt sein sollten. Insofern ist Digitalisierung in Deutschland nicht nur ein Konsumentenproblem, sondern auch ein Innovationsproblem. Natürlich macht diese grundlegende Schlaffheit, auf die gesamte Gesellschaft hochskaliert, die Situation nicht gerade einfacher. (Um diesen subjektiven Seitenhieb nicht auszusparen: Da ich sehr viel mit internationalen Teams in der IT zusammenarbeite, fällt mir auf, dass es vor allem die deutschen Mitarbeiter sind, die besonders schwer zu motivieren sind, mal um die Ecke zu denken.)

    Ich weiß aber nicht, ob die Apotheke gerade der Mikrokosmos ist, der das Problem am besten aufzeigt, vor allem aus zwei Gründen:


    Bei der Gesundheitsversorgung und jetzt gerade im Pandemie-Management (und gerade da, da niemand bisher praktische Erfahrungen gesammelt hat) ist es ja erstmal ad hoc wichtig, die Gesamtbevölkerung mitzunehmen. Das ist erstmal die Grenzsituation, die nicht zwingend ein Fortschrittsexperiment sein sollte. Dass das indirekt zu einem Fortschritt der Digitalisierung beigetragen hat, ist schön, aber das kann im Moment nicht die Priorität sein.


    Und dann, wenn es um ältere Menschen geht. Da geht es ja nicht nur um Akzeptanz für neue Dinge, sondern wegen altersbedingter Handicaps eben auch um entsprechend handicapgerechte Technologie. Und da sind wir wieder beim Innovationsthema: Aktuell sehe ich die meisten Produkte nicht gerade für z. B. Menschen mit Sehschwächen gut bedienbar. Vielleicht, wenn man jung damit konfrontiert wird, kann man sich mit der vorhandenen Technologie irgendwie kreativ durchs Leben navigieren. Aber wenn man bereits mit einem ausgeprägten Handicap eine neue Technologie lernen muss, ist das mit der vorhandenen Produktlandschaft sehr schwierig.

    Es geht mir gehörig auf den Keks, wie dieses Land, das unter dem Strich ein tolles Land ist, permanent schlecht geredet wird. Politik ist IMMER ein Konsenz, das muss sie auch sein, sonst würden wir unter Oligarchen in einer Diktatur leben.

    Sehe ich absolut genauso.


    Ich denke, es gibt eine vielleicht menschliche Empörungswut, die immer mehr eskaliert, eine Art Kulturpessimismus, obwohl die Ironie ist, dass auch dieser Hinweis ein Beispiel für Kulturpessimismus ist. Wenn man sich die verschiedenen Krisen anschaut, die es unumstritten gibt, fällt mir auf, dass diese selbstgemachten Krisen – also der Kulturkampf oder die Polarisierungen in den sozialen Medien – einen so starken Einfluss auf unsere Gesellschaft und Politik haben, dass sie Wahlentscheidungen beeinflussen und zunehmend rechtspopulistische Parteien an die Macht bringen. Dieser Empörungszwang wird selbst zur größeren Gefahr als Klima-, Energie-, Migrations- und andere Krisen. Wir brauchen keinen radikalen politischen Wandel, um die Probleme unserer Zeit zu lösen, sondern einen radikalen „Jetzt-reißt-euch-verwöhnte-Wohlstandsmenschen-endlich-zusammen“-Mindset-Wandel.

    Was ist daran gelungen?


    Wie angedeutet, mag ich das Spiel zwischen Autofiktion, also der Geschichte des tatsächlichen Ehepaars, und der literarischen Verfremdung des Stoffes. Es könnte alles so gewesen sein oder eben nicht. Dass sie dafür neue Figuren mit neuen Namen schafft, ist für mich ein cleveres Mittel, den Text in dieser Schwebe zu halten.

    Ich bin auch Team „Hey, guten Morgen“ und finde die Wahl dieses Buches für den Deutschen Buchpreis nachvollziehbar und gut. Ich finde das Konzept des Romans originell und konsequent umgesetzt. Es gibt einerseits den Strang zwischen der Hauptfigur und dem Love Scammer und andererseits den zwischen der Hauptfigur und ihrem Mann, beides bietet viel Spielraum für Reflexion über Privates und Gesellschaftskritisches. Das Spiel mit der Autofiktion, also die Fiktionalisierung, z. B. durch die Verwendung der Namen Juno und Jupiter statt Martina und Jan, ist gelungen. Selbst eine Buchpreisvergabe kommt im Roman vor. Diese ganzen spielerischen Komponenten haben mich sehr überzeugt.

    Ich habe dieses Jahr sehr viel von der Booker-Prize-Nominierungsliste gelesen: 8 von 13 Büchern der Longlist, bevor die Shortlist bekanntgegeben wurde. Zwei der ungelesenen Bücher schafften es auf die Shortlist, und die habe ich dann auch gelesen. Ich hätte mich aber auf mein Bauchgefühl verlassen sollen. Hatte wohl ein Grund wieso ich in der ersten Runde dieses Buch gemieden habe.


    Creation Lake - Rachel Kushner


    Im April erscheint es in deutscher Übersetzung. Ich habe sonst kein Problem mit unsympathischen Hauptfiguren, aber typischerweise wird das erzählerisch gerechtfertigt. Hier war es einfach nur nervig. Ein Spionageroman, der in Südfrankreich angesiedelt ist und Themen und Settings zusammenwürfelt, die für mich einfach nicht passen (eine komplett eskalierte Potluck-Party von einem Buch): ein bisschen Klima, durch den Roman durchziehende Betrachtungen über Neandertaler, nerviger Humor, zweidimensionale Figuren, wilder Plot.Thematisch soll das vermutlich ineinandergreifen, die Neandertaler, die Schöpfung, aber das Buch hat mich zu sehr genervt, als dass ich die Geduld gehabt hätte, das zu entschlüsseln.


    Das war das erste Buch von Kushner für mich, und ich glaube nicht, dass die Autorin etwas für mich ist. Wahrscheinlich reine Geschmacksache.


    ASIN/ISBN: 3498002414