So, morgen wird die Shortlist bekanntgegeben und ich habe so viele Bücher von der Longlist gelesen wie noch nie. Acht an der Zahl, drei davon sehr gut, zwei gut, drei nicht so gut. Insgesamt ein durchaus lohnenswertes Ergebnis.
Meine persönliche Reihenfolge:
1. Hisham Matar - My Friends
2. Percival Everett - James
So wie ich das sehe, sind das die unbestrittenen zwei Frontrunner, zumindest von den Büchern, die zum Zeitpunkt der Shortlist veröffentlicht sind. Es würde mich sehr wundern, wenn diese beiden Romane es nicht auf die Shortlist schaffen. Beide Romane wären sehr würdige Preisträger.
3. Charlotte Wood - Stone Yard Devotional
Der beste Außenseiter, auf eine ähnliche Weise wie Sarah Bernsteins Study for Obedience letztes Jahr. Der etwas andere, stille und schräge Roman auf der Longlist.
4. Tommy Orange - Wandering Stars
Ein sehr guter Roman, der aber irgendwie eher wie Bonus Material zu seinem vorherigen Roman There, There wirkt.
5. Rita Bullkwinkel - Headshots
Hat mir sehr gefallen und hat Spaß gemacht, wird mit der Shortlist aber knapp. Der Booker Prize wäre schon leicht übertrieben.
6. Yael van der Wouten - The Safekeep
Bei dem Roman geht für mich so einiges schief, aber einzelne Teile waren auch sehr stark. Schade, dass die Autorin den Roman irgendwie vermasselt hat, aber immerhin hat sie sich etwas getraut.
7. Colin Barrett - Wild Houses
Ein Roman, der vielleicht das Zeug für eine ordentliche Kurzgeschichte gehabt hätte, aber als Roman ist er mir viel zu dünn und substanzlos. Als Krimi zu unspannend, als Literatur zu flach. Ein paar theoretisch interessante Figuren und ein Hauch von "Fargo auf Irisch" retten ihn nicht. Auf Englisch wäre mein Gesamturteil: "too pedestrian."
8. Samantha Harvey - Orbital
Sechs Astronauten kreisen auf der ISS um die Erde und machen sich Gedanken über die Welt, inspiriert durch die Schönheit der Erde. Das funktioniert für einige Leser, weil die astronomischen Bilder, die der Roman abruft, leicht Gedanken und Erinnerungen auslösen. Aber der Roman trägt wenig Originelles dazu bei; man könnte genauso gut auf YouTube NASA-Footage der Erde aus dem Orbit anschauen und hätte den gleichen Effekt. Ein Roman ohne Plot oder Figuren, eigentlich nur Sprache und Gedanken. Auf Englisch wäre mein Gesamturteil: "too pretentious."
Mein Tipp für die Shortlist:
Hisham Matar - My Friends
Percival Everett - James
Charlotte Wood - Stone Yard Devotional
RIchard Powers - Playground (erscheint erst noch)
Claire Messud - This Strange Eventful History
Samantha Harvey - Orbital
Percival Everett - James (sehr stark)
Tommy Orange - Wandering Stars (sehr gut, allerdings ein klein wenig im Schatten des Vorläufers There There, zu dem dieser Roman gleichzeitig ein Sequel und ein Prequel ist)
Samantha Harvey - Orbital (eher so mittel, ein wenig langweilig und prätentiös. Im Booker-Longlist-Video heißt es "a love letter to our planet" und da ist bereits das Problem, weil der Roman versucht, die Faszination der Erde aus der Perspektive der Astronauten zu beschreiben, aber wie soll man dafür eine spannende Sprache finden, dieser Roman findet sie nicht).
Rita Bullwinkel - Headshot (strukturell verspielt, interessantes Setting mit den Mädchen-Boxkämpfen, hat mir gefallen)
Yael van der Wouden - The Safekeep (starkes erstes Drittel, dann fällt der Roman ab, insgesamt zu konstruiert und melodramatisch)
Colin Barrett - Wild Houses (phasenweise gut lesbarer literarischer Thriller mit einer interessanten Hauptfigur, dem es aber irgendwie an Originalität und Subtext mangelt; recht einfach und wenig überraschend gestrickt).
Hisham Matar - My Friends (Das erste Buch, das es mindestens mit James aufnehmen kann. Eine Geschichte über Migration und Revolution aus der Distanz des von Libyen nach London immigrierten Autors. Thematisch gewichtig, literarisch stark, relativ langsam und subtil erzählt.).
Charlotte Wood - Stone Yard Devotional (ruhig und kontemplativ, aber sehr stark)
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