Der Tod des Widersachers – Hans Keilson

  • Fischer 2010
    250 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Im Zentrum dieses aufregenden und subtil menschlichen Romans stehen ein junger Jude auf der Suche nach seinem Lebensweg und der politische Emporkömmling B., dessen Propaganda nach und nach ein bedrohliches, beklemmendes und zutiefst antisemitisches Klima erzeugt. Die symbiotische, ja schicksalshafte Verbindung von Täter und Opfer wird durch klare Beobachtung analysiert und durch das literarische Können des Autors zu einer allgemein menschlichen Parabel erhoben.
    1942 begann Hans Keilson im holländischen Versteck mit der Niederschrift des Romans, der erst 1959 in Deutschland erscheinen konnte. Die amerikanische Neuausgabe 2010, zusammen mit der Novelle 'Komödie in Moll', rief weltweit begeisterte Reaktionen hervor.


    Über den Autor:
    Hans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde geboren. Sein Roman "Das Leben geht weiter" erschien 1933. Er war der letzte jüdische Autor, der noch im "alten" S. Fischer Verlag debütieren konnte. Hans Keilson verließ 1936 Deutschland und emigrierte in die Niederlande, wo er noch heute lebt und praktiziert. Er hat unter den deutschen Schriftstellern der Gegenwart eine einzigartige Stellung in seinem Hauptberuf als Psychotherapeut und Forscher wie als Lyriker, Romancier und Essayist. Wie kaum ein anderer Autor hat Hans Keilson die seelischen, politischen und kulturellen Folgen der NS-Zeit analysiert und sprachlich vergegenwärtigt; ein literarisches Engagement, das bis heute anhält. In großem Kontrast zu den lauten Wirren des Jahrhunderts stehen die geradezu leisen, manchmal komischen, immer aber zutiefst menschlichen Darstellungen seiner Figuren und ihrer existentiellen und geschichtlichen Erfahrung. Ein großer Dichter in seiner Prosa, ein hellsichtiger Analytiker in seiner Dichtung.Zuletzt wurde er ausgezeichnet mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis, der Moses-Mendelssohn-Medaille, der Humboldt-Medaille und dem WELT-Literaturpreis.


    Mein Eindruck:
    Hans Keilsons atmosphärisch dichter Roman ist inhaltlich schwer in Worte zu fassen, es ist mehr ein Erspüren der Aussage und thematischer Folgerungen. Es ist ein psychologischer Ansatz vorhanden. Daraus folgert auch logisch, dass erst einmal Kinder- und Jugendjahre des Protagonisten ab den zwanziger Jahren bis in die Zeit des Nationalsozialismus geschildert werden. Ein wenig spürt man Keilson Vorbilder Hermann Hesse und Thomas Mann, aber sein Stil wirkt viel zeitloser. Keilsons Stil ist so beeindruckend, weil Sprache, Form und Inhalt zu einer inneren Geschlossenheit führen.


    Das gelingt nicht zuletzt auch wegen der Klammer, in der die eigentliche Geschichte gehüllt und reflektiert wird, so gut.


    Es gibt ein langes, analytisches und wirklich erhellendes Nachwort von Heinrich Detering mit dem Titel „Ich war der Niemand“.
    Unter Abstraktion schreibt Detering:

    Zitat

    Was vielen Kritikern zu schaffen gemacht und sich mittlerweile als die provozierendste Leistung dieses Buch erwiesen hat, ist sein Stilprinzip: die lakonische Abstraktion der Figurennamen, der Konflikt, der Handlungsorte. Die Ereignisse, auf die doch unmissverständlich angespielt wird, werden nur so weit zeitgeschichtlich konkretisiert, dass der Horizont von nationalsozialistischer Herrschaft, Judenverfolgung, Exil und Krieg zu erkennen ist. Aber vom Nationalsozialismus ist nirgends ausdrücklich die Rede, ebenso wenig von Juden oder von einem Diktator namens Hitler.


    Als Leser ist man zunächst verunsichert, ob der „Widersacher“, der im Titel angesprochen wird, wirklich Adolf Hitler sein kann. Zum Zeitpunkt 1941, als Keilson den Roman konzipierte, imaginiert er dessen Tod und Untergang. Kein Wunder, dass er den Roman für Jahre vergrub.
    Diese Verunsicherung, die beim Leser hervorgerufen wird, ist positiv und führt zu einem Aufbrechen der Lesehaltung. Der Text wird umso intensiver und wirkungsvoller.
    Es gibt beklemmende Szenen, wenn z.B. der Vater des jüdischen Erzählers in Erwartung der drohenden Deportation einen Rucksack packt. Offensichtlich für die letzte Reise. Er selbst nimmt sein Schicksal an, nur für seinen Sohn packt er einen Koffer und drängt ihn zur Flucht.


    Immer wieder gibt es einzelne Passagen, deren Sätze unglaublich eindringlich sind.
    Seite 214:

    Zitat

    Die grausame Wirklichkeit, die man nicht zu ertragen gelernt hat, wir sind nicht vorbereitet, sie aufzunehmen, gleichviel, ob sie ein Freundliches oder Feindliches bringt. Wir kleiden sie in Gewänder, die wir nach unseren Maßen verfertigen, behängen und verunzieren sie mit unseren Farben und wissen zugleich, dass eine andere gemeint ist. Wir wünschen nicht, ihr zu begegnen, noch einmal, wir sind nicht vorbereitet, und jedes tiefere Gefühl, dessen wir zaghaft fähig wären, fürchtet sein Démasqué.


    Die Entdeckung dieses Autors, den ich bisher nicht kannte, ist eine große Bereicherung.

  • Herzlichen Dank für die tolle Buchvorstellung, Herr Palomar. Letzte Woche habe ich "Das Leben geht weiter" gelesen, was mir auch ausgesprochen gut gefallen hat (vielleicht hätte ich es auch unter "Zeitgenössisches" einsortieren sollen?). Dieses heir wird schnellstmöglich gekauft und gelesen. Ich habe auch das Gefühl mit Hans Keilson einen wirklich aussergewöhnlichen Autor entdeckt zu haben.