Schnee - Orhan Pamuk

  • Kurzbeschreibung:


    Ka soll eine Serie von Selbstmorden von jungen Frauen in der türkischen Provinz untersuchen. Als er in dem Städtchen Kars angekommen ist, wird er vom Schnee eingeschlossen und kann die Stadt nicht verlassen. In Kars findet ein Kampf zwischen den religiösen und den säkularen Kräften statt. Ein Schauspieler ruft zu einem Aufstand auf und ein Militärputsch findet statt. Ka trifft seine große Liebe, die aber keine Zukunft hat.


    Über den Autor:


    Orhan Pamuk wurde 1952 in Istanbul geboren und studierte Architektur sowie Journalismus. Er lebte mehrere Jahre in New York. Neben vielen anderen Preisen ist der Literatur-Nobelpreis 2006 sicherlich der bedeutendste.


    Meine Meinung:


    Meiner Ansicht nach hat Orhan Pamuk den Nobelpreis vollkommen zu recht erhalten. Er ist einer der besten Autoren, die ich kenne.


    Stellenweise ist Schnee sehr anstrengend, das Buch mal einfach so im Zug zu lesen, das geht nicht. Da würde man auch viel zu viel von seiner wunderbaren Sprache verpassen. Manchmal musste ich noch einmal zurücklesen, wenn ich einfach einige Stellen überlesen hatte. Aber das lohnt sich! Die Geschichte ist anspruchsvoll, man sollte sich schon für die türkische Gesellschaft interessieren und die Handlung liegt im Detail.


    Wenn der Leser gerne die Konzentration für so ein kunstvolles Buch aufbringt, kann ich es sehr empfehlen. Es ist definitv kein Buch, das man innerhalb kurzer Zeit lesen könnte bzw. sollte. Dann geht der Zauber verloren. Und Orhan Pamuk ist ein Wortmagier, ich bin einfach immer begeistert, wenn ich ein Buch von ihm lese.

  • Inhalt:


    Ka ist ein türkischer Dichter, der seit 12 Jahren in Frankfurt in politischem Exil lebt. Wenige Tage nach seiner Rückkehr in Istanbul wird er von seinem Journalistenkollegen überredet, in eine nordosttürkische Provinzstadt zu fahren, um dort eine Selbstmordserie zu untersuchen. Sein eigentliches Motiv ist es aber, dort die wunderschöne Komilitonin von der Studentenzeit wieder zu treffen, die nun geschieden ist. Ka kann sein einsames, isoliertes Leben in Frankfurt naemlich nicht mehr ertragen und sucht nach seinem Liebesglück. Es werden seine 3 Tagen in dieser Stadt namens Kars beschrieben, in denen die Stadt durch starken Schneefall von der Außenwelt isoliert wird und Ka sich im Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen politischen Gruppierungen befindet, obwohl sein einzigstes Ziel lebendig und gemeinsam mit seiner Geliebten aus der Stadt rauszufahren ist. Eine sehr vielschichtige Geschichte über die Unmöglichkeit von Neutralitaet auf parteiischem Boden, ein Rückblick auf die politische Geschichte der Türkei des 20. Jahrhunderts, ein Abbild der Zerrissenheit zwischen dem Orient und dem Okzident. Es ist aber kein rein politischer Roman, es geht grundsaetzlich um das individuelle Glück und wie dieses zu erreichen ist, um Liebe, Neid, Verrat und Treue.



    Meine Meinung:


    Es ist ein sehr vielschichtiges Buch, um das zu verstehen ein gewisses Maß an politischem und geschichtlichem Vorwissen vom Autor vorausgesetzt wird. Man muss mit Sicherheit kein Nahost-Experte sein aber Begriffe wie Atatürk, seine Ideologie Kemalismus, Laizismus oder iranische Revolution sollten einem schon gelaeufig sein.


    Dieser Roman ist so komplex und genial verwoben, dass es durchaus schwierig ist, zusammenzufassen, was für welche Wirkungen es auf den Leser entfaltet. Die Charaktere in dem Buch sind sehr sorgfaeltig herausgearbeitete, 'lebendige' Persönlichkeiten, die nach der Beendigung der Lektüre in einem weiter leben. Der Autor laesst seinen Charakteren ohne Rücksicht auf die herrschende politische Meinung alle Freiheiten, um sich zu entfalten und für sich zu sprechen. Von einem Radikalislamisten bis zu einem Demokraten, von einem Akademikern bis zu einem Analphabeten, von einem religiösen Oberhaupt bis zu einem Schauspieler kommt jeder zu Wort. Dieser Vielfalt an Charakteren wird ohne Verschönerung aber auch ohne jegliche Verachtung, mit all seinen Facetten sehr respekt- und liebevoll dargestellt. Durch diese Tiefgründigkeit der Charaktere gibt es keinen einzelnen, für den der Leser besonders mitfiebert, der Hauptcharakter wird sogar mit Absicht etwas unsympathisch gehalten, bzw. seine Schwaechen werden schonungslos offengelegt, was ich dem Autor sehr hoch anrechne.


    Es gibt noch weitere wundervolle Aspekte dieses Romans (z.B. dass Orhan der Autor mitspricht, der Zeit- und Perspektivenwechsel, die Ironie zwischen den Zeilen, der sanfte Humor, der mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht hat, die wunderschöne Stadt- und Schneebeschreibungen, die einem Gemaelde aehneln, die wunderbaren Parallelen zwischen den Gefühlen und den Erscheinungen der Außenwelt usw.), die ich hier nicht einzeln aufführen werde. Vielleicht noch ein paar Saetze zu den wenigen Kritikpunkten:


    Besonders im ersten und letzten Kapitel des Romans war die Sprache extrem verschachtelt, etwas übertrieben metapherreich und wirkte gekünstelt. Das finde ich so sehr schade, weil Orhan Pamuk solche Aufpeppungen für seinen Roman absolut nicht braucht und im Fluss der Geschichte eine bezaubernd schlichte, selbstverstaendliche Sprache entwickelt. Ich muss dazu bemerken, dass seine Sprache in seinen spaeteren Werken immer schlichter und besser wird.


    Für mein Geschmack haette das letzte Kapitel nicht unbedingt sein müssen, ich faende das Ende ohne dieses Kapitel besser, es war etwas überdramatisiert. Das ist aber wohl eine reine Geschmacksfrage.


    Alles in allem ein toller Roman, eine große Leistung von Orhan Pamuk, ist zwar sehr anspruchsvoll und melancholisch aber auch SEHR bereichernd.