Beiträge von parvati

    Titel: "Ich"
    Autor: Wolfgang Hilbig
    Originalsprache: Deutsch



    Inhalt:
    Wir begegnen in diesem düsteren Roman Herrn Cambert, ein einfacher Arbeiter in einer großen Fabrik in einer kleinen Stadt in der DDR. In seiner Freizeit schreibt Cambert Gedichte, für die sich niemand interessiert. Er wird allerdings von der Stasi entdeckt und wird in der Folge dazu erpresst, Spitzelberichte zu schreiben. Cambert erweist sich für Stasi brauchbar, wird nach Berlin versetzt, wo er öfters in Künstler- und Literatenkreisen unterwegs ist und befreit von seinem Hauptberuf nur schreiben soll. Dabei verwischen sich die Grenzen der Literatur und des Spitzelberichtes, die Grenzen des "Ich"s lösen sich in dem Staat auf und Cambert verliert mit seiner Identitaet nach und nach auch seinen Realitaetsbezug, bis er verhaftet wird.



    Meine Meinung:
    Das ist ein sehr düsterer, depressiver und atmospherisch dichter Roman. Der Roman hat sehr viele autobiographische Anspielungen, die man sofort spürt, wenn man bisschen über das Leben von Hilbig gelesen hat, dadurch wirkt die Erzaehlung sehr authentisch.


    In diesem Roman geht es hauptsaechlich um Milieubeschreibungen und Atmosphere. Wer Handlung erwartet, wird bitterst enttaeuscht sein. Der Erzaehlstil ist kafkaesk, die Realitaet, in der sich der Protagonist befindet, ist unheimlich und zugleich absurd, der Protagnoist ist in seinem ganzen Dasein höheren Maechten der Stasi hilflos ausgeliefert und gefangen. Dieser Zustand wird literarisch und sprachlich meisterhaft dargestellt.


    Es geht dem Autor aber nicht nur um die Darstellung einer kafkaesken Atmosphere, sondern es gibt handfeste Analysen der Literaturszene der DDR, der Überwachungsarbeit und seiner Folgen sowie der gesamten Lebensweise in der DDR. Der Autor versucht, dem Hass auf die Spuren zu kommen, der in der DDR gegenüber dem Staat entstanden ist. Dabei gibt es aber streckenweise scharfsinnige Kritiken auch gegenüber Westdeutschland.


    Auch wenn man sich für die DDR nicht interessiert, ist dieser Roman wegen seiner überwaeltigenden Sprachkraft absolut lesenswert, man sollte es vielleicht lieber bei schönen Sommertagen lesen, die triste Stimmung des Buches ist sonst wirklich ansteckend! Von mir 8/10 Punkte.

    Titel:A Brief History of Seven Killings
    Autor: Marlon James
    Originalsprache: Englisch
    Noch keine deutsche Übersetzung verfügbar


    Inhalt:


    Im Jahr 1976 in Kingston stürmen sieben Gangster in das Haus von Bob Marley und eröffnen Feuer aus Maschinengewehren. Bob Marley und seine Angehörigen kommen mit ihrem Leben davon, die Gangsters werden aber nie gefangen. Von diesem echten historischen Ereignis ausgehend baut Marlon James eine Geschichte aus, die die Zeit von 1976 bis 1991 anspannt und sein Ende in New York nimmt. Er schmückt die im Schatten gebliebenen Teile der echten Geschichte mit Fiction aus, erfindet Charaktere, die diese Schießerei begangen haben, erlaeutert deren Vergangenheit und die Zustaende, die zu dieser Tat geführt haben, sowie deren Leben nach diesem Ereignis. Dabei erzaehlt der Autor einerseits die Geschichte Jamaikas waehrend des kalten Krieges als Zielscheibe der Amerikaner aber auch der Kommunisten, das Leben in immerwachsenden Ghettos sowie die Entstehung der Rastafari-Bewegung und der Reggae-Musik. Andererseits ist die Geschichte halbwegs wie ein actionreicher Krimi aufgebaut aber dazu im Kommentar mehr.



    Meine Meinung:


    Als ich angefangen habe, dieses Buch zu lesen, hatte ich sofort das Gefühl, in eine neue Welt einzutauchen. Zum Teil ist die Patois-Sprache (eine Art kreolisches Englisch, typisch für Jamaika) gewöhnungsbedürftig, aber man hat das Gefühl, dass man in Jamaika gelandet ist und erstmal von der musikalische Sprache, von diversen Farben und Gerüchen überwaeltigt wird. Die Dialoge sind gut gelungen und die inseleigene Sprache wird ebenfalls gut eingesetzt. Viele Begriffe und Redewendungen, auch die, die mit Rastafari zu tun haben, werden im Verlauf der Lektüre unauffaellig erklaert. Eine kleine Warnung: die Sprache ist aeußerts vulgaer und obszön, es gibt kaum einen Satz ohne Schimpfwörter und das Niveau entspricht wahrlich dem der Ghettos. Bei den Dialogen fand ich diese Art passend und echt, nun dieser Sprachgebrauch setzt sich bei den Gedankenströmen der Charakteren und Umgebungsbeschreibungen fort und irgendwann hat diese Sprache mich gewaltig genervt. Vielleicht bin ich aber etwas zu konservativ in dieser Hinsicht...


    Die Charaktere sind leider sehr klischeehaft und extrem karikaturisiert. Von einem jamaikanischen Autor habe ich andere Einsichten in die Karibik und seine Menschen erwartet, diesbezüglich wurde ich ziemlich enttaeuscht. Es sind identische Charaktere wie in jedem amerikanischen Thrillerfilm, der gewöhnlich und regelmaeßig im Fernseher zu finden ist. Der Autor gibt von Anfang an das Gefühl, dass jeder dieser Charaktere austauschbar ist, was vielleicht der Ghetto-Realitaet entspricht, aber dadurch kann man keine Beziehung zu diesen sowieso klischeehaften Charakteren aufbauen, mir war es im Endeffekt durch die ganzen 700 Seiten egal, was mit denen passiert, dadurch habe ich keine Spannung im Verlauf der Geschichte erleben können.


    Wegen der Inhaltsangabe könnte man meinen, dass es sich hierbei um einen politischen Roman handelt oder es um Bob Marley geht. Beide Annahmen waeren aber unzutreffend. Die Themen der Politik, der zwei Parteien, die in 70er und 80er Jahren in Jamaika um Macht ringen, und das Leben und Wirken von Bob Marley werden zwar umrissen, aber nur am Rande und sehr oberflaechlich. Man braucht keinerlei Vorwissen, um der Geschichte zu folgen. Diese Themen dienen eher als Kulisse für eine Gangstergeschichte, es geht vordergründig um die Drogenkartells, die miteinander kaempfen, im Verlauf kristallisiert sich ein Drogenboss heraus und es wird die Geschichte derer erzaehlt, die irgendwie mit ihm in Verbindung stehen. Das wenige Hintergrundgeschehen, das vorhanden ist, wird sehr klischeehaft und fast laecherlich bearbeitet, von antikommunistischen CIA-Spionen zu antirevolutionaeren Kubanern und rassistischer Polizei. Schade...


    Es ist schwierig, dieses Buch unter Krimi oder Thriller zu kategorisieren, weil man bei dem Hauptereignis (Schießerei im Haus von Bob Marley) das Ende eigentlich schon weiß. Bei der Erzaehlung der Zeit nach dieser Schießerei wird ebenfalls keinen Spannungsbogen aufgebaut, im Prinzip wird vom Anfang an angedeutet, dass alle sterben werden, die damit zu tun hatten und so kommt es auch... Die beschriebenen Szenen sind zwar sehr bildhaft, sehr actionreich und tarantinohaft blutig und bis zum Absurden extrem brutal (so dass man es kaum noch ernst nehmen kann und auch nicht erschrickt) aber spannend ist es nirgendwo. Ich musste mich öfters fragen, was das Ziel dieser Erzaehlung ist, außer damit Geld zu verdienen.


    Dieser Roman ist der Gewinner von Booker-Preis 2015, deswegen bin ich darauf aufmerksam geworden und war sehr gespannt, etwas von einem jamaikanischen Autor zu lesen. Leider bin ich rundum enttaeuscht, für mich ist dieser Roman weder literarisch wertvoll noch unterhaltsam und dazu noch ziemlich langatmig... Es ist mir ein Raetsel, wie er diesen renommierten Preis gewinnen konnte. Von mir 4/10 Punkte.

    Wir begegnen hier "Cambert" in einer undefinierten Zeit waehrend der DDR in Ost-Berlin, der als Stasi-Spitzel arbeitet und einen gewissen, mysteriösen Schriftsteller überwachsen soll. Cambert ist selber Schriftsteller und verwechselt zunehmend Realitaet und Dichtung, seine unheimlichen Expeditionen in Berliner Kellergaengen führen ebenfalls zur Realitaetsverkennung. Ein atmospherisch sehr dichter, düsterer Roman...

    Meine Meinung:


    Nachdem ich mich ca. 15 Tage lang durch dieses intensive und dicke Buch durchgearbeitet habe, komme ich heute dazu, darüber zu schreiben. Bei mir hat es ebenfalls sehr lange (ca. 170 Seiten) gedauert, bis ich mich einigermaßen in die Erzaehlung hineinfinden konnte. Am Anfang wurde ich größtenteils durch die sehr enthusiastischen Jazzbeschreibungen verhindert, die mich wiederum überhaupt nicht begeistert haben, aber der Autor kann nichts für meine Abneigung gegenüber dieser Musikrichtung.


    Die vielfachen Zeit- und Ortsprünge in der Erzaehlung fand ich aufregend und spannend und der Kreis der Erzaehlung schließt sich am Ende des Buches meisterhaft. Die Verflechtung zweier Familiengeschichten über Jahre und Kontinente hinweg ist einfach beeindruckend. Einige der vielen Anekdoten fand ich literarisch sehr gelungen, andere waren mir eher uninteressant und fad.


    Es ist hier ein Panaroma des 20. Jahrhunderts im Abendland und eine Unmenge an berühmten und bedeutenden Persönlichkeiten aus der Aera treten in der Geschichte vor. Es sind unzaehlige Anspielungen, Erzaehlungen und Aphorismen über Mathematik, Musik, Philosophie und Literatur drin enthalten, mit Sicherheit habe ich nicht alle richtig mitbekommen und interpretieren können, der Leser wird schier von dem breitgefaecherten Wissen des Autors überwaeltigt, was zwar respekteinflößend ist, aber literarisch nicht unbedingt immer funktioniert. Die Geschichte wirkt dadurch sehr konstruiert, gezwungen und wird schwer zu lesen.


    Teilweise kam mir vor, als ob Köhlmeier mehrere Novellen und Kurzgeschichten, die er über die Jahre geschrieben hat, wie ein Patchwork in diesem Riesenroman zusammengetragen haette. Manche Zusammenhaenge erschienen mir viel zu erzwungen. Andererseits waren manche Stellen auch viel zu viel in die Laenge gezogen. Ich denke, man könnte diesen Roman um die 300 Seiten verkürzen, ohne dass er die Quintessenz verloren haette und wodurch er deutlich zugaenglicher für den Leser geworden waere.


    Dieses Buch erfordert von dem Leser eine gewisse Ausdauer und Disziplin um dabei zu bleiben. Wenn man das schafft, dann wird man mit einer abwechslungs- und lehrreichen und teilweise hochinteressanten Erzaehlung belohnt und bekommt einen neuen Blickwinkel auf das 20. Jahrhundert des Abendlandes. Von mir 6/10 Punkte.

    Schön, dass sich einige aus dem Südwesten gemeldet haben! :grin Wo waere denn für euch der ideale Treffpunkt? Am besten würde mir Freiburg passen, Stuttgart oder Heidelberg/Mannheim waeren ebenfalls denkbar. Vom Zeitpunkt her bin ich flexibel, sollte nur am Wochenende sein. Wie sieht es bei euch aus??

    Titel: An der Biegungs des großen Flusses
    Autor: V. S. Naipaul
    Originalsprache: Englisch
    Originaltitel: A Bend in the River



    Inhalt:
    Salim ist der junge Sohn einer muslimisch-indischen Haendlerfamilie, die seit mehreren Generationen an der Ostküste Afrikas angesiedelt ist, und es mittlerweile mit Geschaeften und Haussklaven (aus Zentralafrika, die seit Generationen fest zur Familie gehören und im Wesentlichen nicht viel anders als Familienangehörige behandelt weden) zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hat. Salim waechst zwar wohl behütet auf, muss aber als junger Mann erkennen, dass der Wohlstand seiner Familie nicht lange anhalten wird, dass die Ostküste wegen politischen Unruhen als Folge der Unabhaengigkeit afrikanischer Staaten destabilisiert werden wird. Er befolgt den Rat eines alten Familienfreundes, Nazruddin, der ihm einen Laden in einem zentralafrikanischen Land verkauft. Das Land wird durch den ganzen Roman hindurch nicht benannt, steht aber offensichtlich stellvertretend für viele afrikanische Staaten in der Zeit nach der Unabhaengigkeit. Der Laden befindet sich in einer kleinen Provinzstadt, die durch Unruhen vor kurzer Zeit zerstört wurde und bei der Ankunft von Salim mehr oder weniger in Trümmern liegt. Salim übernimmt den Laden und beobachtet den wirtschaftlichen Schwung in der Region, waehrend die Ostküste ganz nach seiner Vorahnung zerstört wird, seine Familie dort alles verliert und sich in der ganzen Welt herumverteilt. Die Familie schickt Salim einen jungen, freiheitsliebenden Haussklaven, Ali, den Salim bei sich aufnehmen und auf den er aufpassen muss. Salim denkt am Anfang über seinen Aufenthalt in dieser Stadt eher als eine vorübergehende Zeit und weiß im Inneren, dass diese Region genauso instabil ist. Waehrend er sich dort etabiliert, muss er aber zusehen, dass er in dem Kontinent Afrika immer als ein Außenseiter bleiben wird, nie dazu gehören kann, kein Zuhause und keinen Zufluchtsort mehr hat und im Leben nichts bestaendiges aufbauen kann. Seine traditionellen Ideen von Heimat, Familie, Vergangenheit und Zukunft muss er radikal revidieren und wird bald zu einem Mann ohne Perspektive... Waehrend dessen spitzt sich die politische Lage in der kleinen Stadt sowie in dem ganzen Land weiter zu.



    Meine Meinung:
    Ich bin völlig überwaeltigt von diesem Roman. Die Sprache (auf Englisch) ist sehr schlicht und einfach, in seiner Einfachheit aber immens poetisch und bildhaft. Naipaul ist ein toller Erzaehler, man fliegt durch die Seiten und egal welches Thema er behandelt, wird man vollkommen gefesselt. Dabei hat er einen ruhigen Erzaehlstil, braucht keinen Spannungsbogen aufzubauen, seine Sprachkraft wirkt fast wie Magie.
    Obwohl sich die Inhaltsangabe eher politisch anhören mag, ist das im Grunde kein typisch politischer Roman. Es werden zwar die Lage in Afrika nach der Abhaengigkeit und der jahrhundertelange Sklavenhandel und seine Folgen behandelt; dabei geht es aber nicht um politische Ideale sondern um die viel tiefer liegenden menschlichen Ideale, die Korruptheit und Gier der Menschen und sein ewiges Verlangen nach Schutz und Sicherheit. Die Frage der Zugehörigkeit und Heimat in einer sich rasant entwickelnden Welt wird sehr berührend anhand des Protagonisten behandelt. Diese Frage ist heute nach wie vor brand aktuell, handele es sich um frisch angekommene Migranten oder solche der vierten Generation.
    Ich konnte mich mit dem Protagonisten sehr gut identifizieren und mit ihm mitfühlen. Besonders gegen Ende des Romans kann man die beklemmend aengstliche Atmosphaere hautnah miterleben. Die restlichen Charaktere sind etwas im Hintergrund, sind aber so gut beschrieben, dass man das Gefühl hat, mit diesen Menschen in dieser Stadt gelebt zu haben.
    Ich finde, das ist ein rundum gelungener, toller Roman, der mich auf mehreren Ebenen begeistern konnte und sehr lesenswert ist. Von mir 10/10.

    Mein erster Roman von Köhlmeier. Es geht um den 95-jaehrigen Carl Jacob Candoris, Mathematiker und Jazz-Fan, der seine Lebensgeschichte aufschreiben laesst. Den Auftrag erhaelt der Schriftsteller Sebastian Lukasser, der Sohn des Gitaristen Georg Lukasser. Dadurch entsteht ein Panaroma vom 20. Jahrhundert über mehrere Generationen hinweg.

    Ich wollte mal in die Runde fragen, ob es hier noch andere Eulen aus Baden-Württemberg, der Schweiz oder Elsass gibt? Ich wohne im Südwesten von Baden-Württemberg und fühle mich so ziemlich weit ab vom Schuss verglichen mit den meisten anderen Eulen. Vielleicht gibt es ja noch andere aus der Region und man könnte mal einen südwestlichen Eulentreffen zustande bringen??

    Salim, ein junger Mann, der zu einer indischen Handelsfamilie aus der Ostküste von Afrika gehört, übernimmt einen Laden im mittleren Afrika, an der Biegung des großen Flusses, in einer kleinen Provinzstadt, in einem unbenannten Land kurz nach der Unabhängigkeit. Durch seine Geschichte wird stellvertretend die jüngste Geschichte Afrikas erzählt, es geht um politischen und gesellschaftlichen Umbruch sowie die Einsamkeit eines Entwurzelten, eines Ausländers.

    Meine Meinung:


    Wie die meisten hier schon erwaehnt haben, finde ich das Buch sehr ergreifend, insbesondere die Kriegs-, Todes- und Elendsbeschreibungen. Waehrend der Lektüre habe ich drei Naechte hintereinander Albtraeume gehabt und tagsüber musste ich immer wieder an die Erzaehlung denken, es war für mich durchaus erschütternd. Historisch gesehen ist es mit Sicherheit wichtig und richtig, das Buch gelesen zu haben. Literarisch gesehen hat mich aber Remarque nicht besonders überzeugt, ich fand den Text sprachlich nicht besonders schön zum Lesen, manche Metaphern waren mir zu klischeehaft oder überflüssig. Wenn man es mit dem Roman "Atemschaukel" von Herta Müller vergleicht, der ein aehnliches Thema bearbeitet, sieht man den deutlichen Unterschied, der die Sprachkraft ausmacht. Daher von mir 6/10 Punkte mit einer Leseempfehlung.