Chinua Achebe: Alles zerfällt

  • Chinua Achebe: Alles zerfällt
    S. Fischer 5. April 2012. 240 Seiten
    ISBN-13: 978-3100005403. 19,99€
    Originaltitel: Things fall apart
    Übersetzerin: Uda Strätling


    Verlagstext
    Der Afrika-Roman, der die moderne afrikanische Literatur begründete und die Weltliteratur prägte – endlich in neuer Übersetzung! Chinua Achebe erzählt von Verrat und Rache, von Leidenschaften, die keine Ruhe finden, und von Sehnsüchten, die keine Zukunft haben. Okonkwo, stark und jähzornig, stösst sich an den strengen Stammesregeln und zerbricht an dem Regime der britischen Kolonialherren. In seinem Meisterwerk beschreibt Achebe den Konflikt einer archaischen Kultur in einer Sprache, die rituell-sprichwörtlich, dokumentarisch und wunderbar poetisch ist: Mit diesem Roman erhielt der Kontinent eine Stimme.


    Der Autor
    Chinua Achebe wurde 1930 in Ogidi im Osten Nigerias als Sohn eines Katechisten aus dem Stamm der Igbo geboren. Er studierte am University College von Ibadan und lehrt seitdem als Professor an nigerianischen, englischen und amerikanischen Universitäten. 1958 erschien sein erster Roman "Things Fall Apart", heute das meistgelesene Buch eines afrikanischen Autors. 2002 wurde Achebe für sein politisches Engagement mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt, 2007 erhielt er den Man Booker International Prize.


    Inhalt
    Als Sohn eines Vaters, der ihm kein gutes Vorbild war, muss Okonkwo sich seinen Platz in der Dorfgemeinschaft hart erkämpfen. Der junge Nigerianer gelangt mit seinem Sieg in einem Boxkampf zu Ansehen; doch er wird niemals seine Angst vor Schwäche und dem Scheitern verlieren. Die Igbo in Nigeria leben zur Zeit der Handlung (1850 bis 1890) in Großfamilien, die zur besseren Verteidigung nach außen Dorfgemeinschaften bilden. Ein angesehener Igbo muss mit den Erträgen seiner Felder mehrere Frauen und zahlreiche Kinder ernähren und als Krieger die Gemeinschaft verteidigen können. Eine strenge Hierarchie legt den Rang jedes Familienmitglieds fest. Die Arbeit von Männern und Frauen im Haus und auf dem Feld ist unveränderbar an ihre Geschlechtsrolle gebunden. Nur Männer bauen Yamswurzeln an, Frauen die restlichen Feldfrüchte. Traditionen und Aberglaube spielen im Dorf eine bedeutende Rolle. Das Auftreten von Krankheiten und den Tod im Kindesalter können die Dorfbewohner sich nur durch die Macht von Geistern erklären. Wichtige Entscheidungen (wie ein Krieg gegen einen Nachbarstamm) beschliesst das Orakel. Obwohl jeder im Ort die junge Witwe kennt, die in das Gewand der Orakelpriesterin schlüpft, unterwerfen sich die Dorfbewohner gehorsam ihrem Spruch. Streng nach Stammestradition nimmt Okonkwo zur Abwendung von Blutrache den Jungen Ikemefuna als Geisel in seinen Haushalt auf. Ikemefunas und Okonkwos Stämme liegen miteinander im Streit. Das Heranwachsen von Ikemefuna mit Okonkwos eigenen Söhnen lässt Okonkwos Angst vor Schwäche hervorbrechen. Das Familienoberhaupt fürchtet, sein ältester Sohn könnte zu schwach sein, um die Großfamilie zu führen. Während sich in der Person Obierikas im Dorf bereits deutlich Widerspruch gegen die alten Sitten und Tabus regt, wird die Gemeinschaft mit christlichen Missionaren und der Nigeria durch die britische Kolonialamacht aufgepresste Rechtsprechung konfrontiert.


    Fazit
    Chinua Achebe wollte mit seinem Roman das Afrikabild von Lesern im Ausland entzerren und ihnen verdeutlichen, dass nicht die Weißen erst mit der Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents den "ungebildeten" Völkern Kultur brachten. Die Schilderung des Niedergangs einer Kultur durch die Starre ihrer Traditionen, wie auch das tragische Scheitern Okonkwos durch sein Beharren auf den Überlieferungen, sind als zeitlose Konflikte auf andere Kulturen übertragbar. Solange Männer wie Okonkwo aus Angst um ihr Ansehen an überholten Rollenbildern festhalten und die Stärken ihrer Söhne und Töchter nicht wahrnehmen können, bleiben die Probleme des afrikanischen Kontinents auf dem Weg in die Moderne unlösbar.


    Infos zu Roman und Übersetzung
    Chinua Achebe (* 1930) hat mit seiner Trilogie um Okonkwo und seine Nachkommen weltweit das Afrikabild seiner Leser geprägt. Things fall apart erschien 1958, wurde in über fünfzig Sprachen übersetzt und soll noch immer das in Europa meistgelesene Werk eines afrikanischen Autors sein. 1958 fragten sich (laut Vorwort) europäische Verleger, ob das Buch eines afrikanischen Autors überhaupt verkäuflich sein würde. Inzwischen sind mehr als 8 Millionen Exemplare davon verkauft worden. "Things fall apart" (dt. Okonkwo oder Das Alte stürzt) ist - teils in gekürzter Fassung - Schullektüre in vielen englischsprachigen und afrikanischen Staaten.
    Der Titel "Things fall apart" entstammt dem Gedicht Second Coming von William Butler Yeats:
    Turning and turning in the widening gyre/
    The falcon cannot here the falconer/
    Things fall apart; the center cannot hold;/
    Mere anarchy is loosed upon the world.


    Achebes Klassiker folgt der afrikanischen Erzähltradition und enthält zahlreiche Sprichwörter, die sich vollständig wohl nur Igbo-Sprechern erschließen wie Chimamanda Ngozi Adichie (*1977), die das Vorwort verfasste. Mit dem Vorwort der jungen nigerianischen Autorin und ausführlichen Anmerkungen des Verlags zur Igbo-Sprache wird aus der Neuübersetzung des klassischen Texts ein zeitlos gültiges Buch, das ganz in Achebes Absicht tiefes Verständnis für das moderne Afrika wecken kann, wo noch immer das Zusammenleben der Völker durch Aberglauben bestimmt wird.


    Die Fortsetzung No longer at Ease (1960, Heimkehr in ein fremdes Land) erzählt von Okonkwos Enkel Obi, der dritte Band Arrow of God (1964, Der Pfeil Gottes) von seinem Sohn Nwoye. Eine deutsche Ausgabe erschien übersetzt von Richard Moering unter dem Titel Okonkwo 1959 im Goverts Verlag und 1976 im Aufbau Verlag. Dagmar Hensler übersetzte die 1983 in der edition suhrkamp erschienene Ausgabe. 2008 fand eine Konferenz zum 50. Erscheinungstag des Buches statt, die sich mit Übersetzungsfragen, dem Einsatz im Unterricht und der Sprache des Romans befasste, dokumentiert im (vergriffenen) Kongressbericht ISBN 978-94-012-0683-9. Neu erscheint im Juli 2012 der Kongressbericht Hrsg. von Whittacker: Chinua Achebe's "Things Fall Apart": 1958-2008. ISBN 978-9042033962


    Textauszug
    Drei Jahre lebte Ikemefuna im Haushalt Okonkwos, und die Ältesten Umuofias schienen ihn vergessen zu haben. Er schoss auf wie die Blattranken der Yams in der Regenzeit und strotzte vor Lebenskraft. Er war eins mit seiner neuen Familie. Nwoye war er ein älterer Bruder, vom ersten Augenblick an hatte er in dem Jüngeren neues Feuer entfacht. Er gab ihm das Gefühl, erwachsen zu sein, und sie verbrachten die Abende nicht mehr in der Hütte seiner Mutter, während sie kochte, sondern saßen nun bei Okonkwo im obi oder sahen zu, wie er von seiner Ölpalme den Saft für den Abendwein zapfte. Nichts freute Nwoye jetzt mehr, als von seiner Mutter oder einer anderen Frau seines Vaters eine der schwierigen und männlichen Aufgaben des Hauses übertragen zu bekommen. Überbrachte ihm ein jüngerer Bruder oder eine kleine Schwester eine entsprechende Aufforderung, tat Nwoye ärgerlich und maulte laut über die Frauen und ihre Belange. Okonkwo freute sich insgeheim über die Entwicklung seines Sohns, und er wusste wohl, dass sie Ikemefuna zu verdanken war. (S. 69)


    8 von 10 Punkten

  • Nigeria, Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert: Okonkwo gehört dem Stamm der Igbo an, sein Vater war ein Taugenichts, aber er hat es geschafft aus eigener Kraft zu etwas zu bringen und sich einen guten Status im Dorf zu sichern. Als christliche Missionare im Dorf eintreffen, ändert das das Leben des ganzen Stammes für immer.


    Chinua Achebe, selbst Nigerianer, veröffentlichte diesen Roman bereits 1958. In einem sehr interessanten Vorwort erfährt man einiges über den Autor und den (zunächst geplanten) Roman, der letztlich in die Afrika-Trilogie mündete, „Alles zerfällt“ ist der erste Band dieserTrilogie und erzählt das Leben eines afrikanischen Stammes „von innen“, Anmerkungen im Anhang vertiefen manches.


    Der Roman lässt sich sehr gut lesen, wird aber manchen erschüttern. Nicht immer wird deutlich, warum der Stamm dieses oder jenes tut, und für unser eigenes Verständnis wirkt vieles fremd und „barbarisch“. Hier hilft aber der Blick von innen, den der Autor einnimmt, der eben nicht wertet, und so sollte man es auch als Leser halten, und den Kontext der Zeit und des Ortes berücksichtigen. Dabei hilft, dass viele verschiedene Lebenslagen erzählt werden. Der Eingriff des „weißen Mannes“ in die Kultur ist heftig, wenn auch zunächst schleichend, aber nach und nach wird sie komplett zerstört, die Würdenträger des Dorfes gedemütigt, die Jugend verliert die bisherigen Werte – die Veränderung, die der Stamm durchmacht, ist gravierend. Nicht nur Okonkwo zerbricht daran.

    Der Roman ist gut geeignet, das urtümliche Afrika aus Sicht der Afrikaner kennen zu lernen. Es zeigt auch die Zerstörung einer Kultur durch eine andere auf, die sich für höher entwickelt hält und es daher nicht für nötig hält, sich erst einmal mit ihr auseinanderzusetzen – ein Roman, den man gelesen haben sollte.


    Volle Punktzahl