Stirb, du Narr! - Karl Zuchardt

  • Titel: Stirb, du Narr!


    Autor: Karl Zuchardt


    ASIN: B00273TGD0


    ISBN: 3354000244



    Autor: * 10. Februar 1887 in Leipzig; + 12. November 1968 in Dresden
    Weitere Werke u.a.:
    1954: Der Spießrutenlauf, historischer Roman über die Fridericus-Legende
    1956: Wie lange noch, Bonaparte?, historischer Roman zu Napoleon I.
    1965: Die Stunde der Wahrheit, historische Novellen über Heinrich VIII., Philipp II., Ludwig XIV., Friedrich II.



    Inhalt laut Schutzumschlag:


    Zuchardt zeigt Thomas Morus, Lordkanzler und Verfasser der "Utopia", in seinem Kampfe mit König Heinrich VIII. Von der animalischen Vitalität des gefährlichen Gegenspielers hebt sich die stille Größe und heitere Gewissheit des Thomas Morus ergreifend ab. Indem der Autor die mitbewirkende Umwelt, die ökonomischen, politischen und kirchlichen Verhältnisse, aber auch die im Helldunkel der Geschichte ihr Wesen treibenden erotischen Kräfte lebendig werden läßt, entsteht vielfarbig schillernd und doch künstlerisch geschlossen das Gemälde einer sehr bemerkenswerten Geschichtsepoche: England in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, jenes widerspruchsvolle und naiv-brutale, aber zugleich hochgeistige England, in dem mit zynischem Egoismus die Reformation durchgeführt und der Absolutismus zu gründen versucht wurde, in dem der aufkommende Kapitalismus an der Lage der Landbevölkerung mit geradezu bestürzender Deutlichkeit die ihm innewohnenden Gesetze zu Tage treten ließ.


    Meinung:


    Das Buch hat mich gefunden und gefesselt und es fasziniert mich noch etliche Tage nach dem Lesen der letzten Seite. Trotzdem finde ich es sehr schwer, eine Rezension dazu zu schreiben. Aber ich versuche es mal...


    Das Buch beginnt 1533 mit der Wanderung von Johnny Patenson, seines Zeichens Narr, durch eine Landschaft voll verarmter Bauern (Die Landbesitzer steigen immer mehr in die viel einfachere und einträglichere Schafzucht ein, dies geht zu Lasten der leibeigenen Bauern), auf der er einer in Bedrängnis geratenen jungen Frau zu Hilfe kommen kann, die sich dann als Schwester des königlichen Hofnarren Will Summers herausstellt (Letzterer ist m.E. historisch, bei der Schwester und bei Patenson bin ich mir da nicht sicher).
    Später werden wir nicht nur mit der Familie Summers, sondern auch mit der Familie von Thomas More alias Morus, was auf Latein "Narr" bedeutet, bekannt.
    Morus und seine Beziehungen zu seiner zweiten Ehefrau und zu seiner Tochter Meg Roper werden anschaulich geschildert. Desweiteren erfahren wir vieles über den König, der seine erste Ehefrau Katharina mangels männlichem Erben entsorgen und seine Beziehung zu Anna Boleyn legalisieren will.
    Will Summers wurde als kleines Kind von seinen Eltern (durch die oben erwähnten Ereignisse ebenfalls verarmte Bauern, die ihrem Sohn so die Chance auf eine einträgliche Arbeit ermöglichen wollten) bewusst entstellt und zum Krüppel gemacht, damit er angemessen einen Narren verkörpern kann.
    Er schätzt Morus sehr, und je mehr sich das Verhältnis zwischen Morus und dem König verschlechtert, desto mehr gerät der kleine, kluge, dem Leser schnell ans Herz wachsende Mann in Schwierigkeiten.
    Aus anderen Büchern (Der Brautmaler oder Die 12. Nacht seien hier stellvertretend genannt) war mir die Grundproblematik bekannt, aber aus welchen Gründen auch immer erschien sie mir nie so deutlich nachvollziehbar und wirklich Teilnahme erweckend geschildert wie hier.
    Cranmere, Tyndale, die "verrückte Nonne" und der intrigante Cromwell, sie alle finden ebenso Erwähnung wie Henrys Ladies. Auch totale Nebenfiguren sind sorgfältig gezeichnet, so zB eine Kneipenwirtin oder eine untergetauchte jüdische Familie.
    Ich weiß nicht, inwieweit der Autor sich an die Wahrheit gehalten hat. Mir ist auch klar, dass die Story regimeangepasst eingefärbt ist.
    Trotzdem - ein tolles Buch, dem ich 10 Eulenpunkte gebe.


    Edit:
    1. Ich habe eine Isbn gefunden und deshalb die Asin-Verlinkung korrigiert
    2. Info über den Autor sowie
    3. eine Erläuterung ergänzt.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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  • Vielen Dank für diese Buchvorstellung! Wie‘s aussieht, war das Buch zu DDR-Zeiten ein richtiger Dauerbrenner: 1. Auflage 1960, 18. Auflage 1989.
    Ich hab eh grad eine DDR-Literatur-Lesephase, da passt Deine Empfehlung gut rein. Danke also.

  • :knuddel1 :anbet :blume


    Danke, dass du meine Rezension kommentiert hast.
    Es ist nicht unüblich, dass Rezensionen unkommentiert bleiben und normalerweise kann ich damit auch gut umgehen, aber dieses Buch hat mich so umgehauen, und ich war so traurig-unzufrieden, dass ich das nicht besser rüberzubringen in der Lage war (Herzchen voll, Sprache unzureichend!*g*), weshalb mich deine Antwort sehr gefreut hat.
    Bitte, sei so nett und berichte, wenn du es gelesen hast, selbst, wenn du nicht so beeindruckt bist wie ich. Und bitte: Der Anfang ist vielleicht ein wenig dröge, bis Thomas Morus auftaucht, aber wenn man dann erst den komplizierten Kampf zwischen ihm und dem König liest... und dann den verkrüppelten Summers an der Wiege der kleinen Elizabeth vor Augen hat...


    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Na ja, ich bin ja überhaupt erst durch Deine Rezi auf das Buch aufmerksam geworden und dann hab ich es mir gestern sofort bestellt (so viel zu der Frage, wie gut Deine Rezi war :-)) und dann dachte ich, dass es echt unfein wäre, wenn ich mich nicht für den Buchtipp bedanken würde.
    Ich bin schon gespannt! :wave

  • Du, mir ist noch etwas eingefallen!
    Du wirst vermutlich das oben abgebildete blaue Buch bekommen.
    Ich selbst habe aber ein älteres, rotgrünes Buch, das jedoch nur eine ASIN und noch keine ISBN hatte. Möglicherweise stimmen die Klappentexte vom Schutzumschlag nicht überein.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Meine Meinung:


    Grundidee und Konstruktion des Romans sind schon mal genial. Es geht um die Rivalität zwischen König Heinrich VIII. von England und dem Gelehrten Thomas Morus. Im Latainischen bedeutet Morus „Narr“ – hierauf wird im Roman auch ab und zu angespielt. Vielleicht hat dieses Wortspiel den Autor bereits inspiriert, in die Geschichte zwei weitere Figuren einzufügen, die ihren Lebensunterhalt tatsächlich als Narr verdienen: den Narr des Königs, Will Summer (historisch verbürgt, siehe englischen Wikipedia-Eintrag zu William Sommers, mit Bild! <klick>) und Johnny Patenson, aus einer verarmten Bauernfamilie stammend, der nun als Narr durch die Lande streift, die Leute unterhält und so ein gutes Einkommen gefunden hat.
    Als Leser erlebt man beide Seiten mit. Es wird sowohl das Leben bei Hofe mit seinen Intrigen, politischen Finessen, Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Königsmacht, den Amouren Heinrichs als auch das Schicksal der Bauern, die wegen der Ausbreitung der Schafzucht von ihrem Land verdrängt wurden und nun in den neuen Manufakturen Arbeit suchen, geschildert. Man kann sich als Leser in alle Personen sehr gut hineinversetzen und mit den Menschen mitfühlen. Die Schilderung des Lebens bei Hofe und des Lebens des einfachen Volkes sorgt für Abwechslung beim Lesen und macht die Geschichte spannend und unterhaltsam.


    Negativ aufgefallen ist mir die einseitige Zeichnung der Hauptfiguren Heinrich VIII. und Thomas Morus und Gefolge. Der König und seine ihm ergebenen Hofschranzen werden ausschließlich mit schlechten Eigenschaften ausgestattet, während Thomas Morus die ganze Zeit über mit einem Heiligenschein herumlaufen muss und Morus‘ Freunde auch stets die Guten sind. Ein wenig mehr Grautöne wären hier schön gewesen.
    Die Darstellung Thomas Morus‘ scheint insofern historisch auch nicht ganz korrekt zu sein, denn der tatsächliche Thomas Morus hat als Lordkanzler bspw. Anhänger der Reformation verfolgen und verbrennen lassen (Quelle: wikipedia.de), wovon im Buch nichts erwähnt wird. Eine ganz so weiße Weste, wie der Autor das gerne hätte, hatte Thomas Morus also nicht.
    Zudem waren mir – bei 611 eng bedruckten Seiten – manche Szenen zu breit ausgeführt, was einem „Historienschinken“ wohl aber zugestanden werden kann.


    „Stirb, du Narr!“ ist ein Buch, das selbst schon aus der Zeit gefallen ist. Die erste Auflage erschien 1960 und so kommt das Buch eben auch daher. Der Sprachstil hat mir sehr gut gefallen, die Sprache ist ein klein wenig umständlich-betulich und stets malerisch-schwelgend, also eines historischen Romans sehr angemessen.
    Jedem Kapitel sind, wie in Büchern früherer Jahrhunderte üblich, kurze Inhaltszusammenfassungen vorangegeben, in denen der Leser auch direkt angesprochen wird (was sonst im Buch nicht der Fall ist). Auch dies hat mir Freude gemacht, weil es einfach passt. Ein Beispiel (Zitat von S. 500):


    Einundzwanzigstes Kapitel


    Dieses Kapitel enthält viel Betrübliches,
    ja zum Schluß Schaudererregendes.
    Leser, die Schaudererregendes nicht
    hören mögen (obwohl es sich so
    ereignet hat!), sollten den Schluß des
    Kapitels lieber überschlagen.


    Fazit:


    Für Freunde historischer Romane ist „Stirb, du Narr!“ auf jeden Fall eine Empfehlung. Für Leser, die sich für einen historischen Roman interessieren, der selbst schon Zeitgeschichte ist, ist das Buch eine ganz besondere Empfehlung.
    8 Punkte.


    Wanderbuch-Angebot:


    Ich habe das Buch hier bei den Eulen als Wanderbuch eingestellt. <klick>
    Wer also möchte …

  • Danke, danke für diese so tolle Rezi!
    Habe sie gerade erst entdeckt, da ich vor/gestern voll auf den Robin-Gibb- und den Kondolenzliederthread konzentriert war.
    Ich wünschte, ich hätte für dieses Buch so schöne, passende Worte gefunden wie du. (Die Schwarzweißmalerei habe ich nicht ganz so stark empfunden wie du, ich fand im Gegenteil die Gewissensnöte von Heinrich teilweise recht gut geschildert.)
    Auch den Stil hast du treffend charakterisiert.
    Nett, dass du das Buch wandern lässt.
    Ich wünsche ihm viele Leser.
    :anbet :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Wegen der Schwarzweißmalerei, da dachte ich, dass das derselbe Kritikpunkt sein könnte, den Du in Deiner Rezi genannt hattest: die Story sei regimeangepasst eingefärbt. Auf der einen Seite der unerbittliche Herrscher, der alle Untertanen ausbeutet und absolutistisch knechtet und auf der anderen Seite der Visionär und Bauernbefreier, der in seiner Utopia fast schon den Kommunismus beschreibt.


    Jedenfalls hat mich das Buch "angefixt", so dass ich gern mehr über diesen Teil der englischen Geschichte lesen möchte. Nun überlege ich, ob ich "Ich, Heinrich VIII." von Margaret George oder besser "Wölfe" von Hilary Mantel lesen will …
    Heinrich VIII. war mir doch bisher glatt entgangen, ich wusste bislang nur, dass das der mit den vielen Frauen war … :learn

  • Nein, mit regimeeingefärbt meinte ich das Regime, unter dem das Buch geschrieben wurde, nicht die Zeit, in der es spielt. Auch im Klappentext wird sehr betont auf das kapitalistische England Bezug genommen.
    Die George habe ich gelesen, das andere sagt mir im Moment nichts, aber ich könnte dir auch noch das folgende Buch empfehlen:
    Die zwölfte Nacht - Charlotte Lyne

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von maikaefer
    Nein, mit regimeeingefärbt meinte ich das Regime, unter dem das Buch geschrieben wurde, nicht die Zeit, in der es spielt. Auch im Klappentext wird sehr betont auf das kapitalistische England Bezug genommen.
    Die George habe ich gelesen, das andere sagt mir im Moment nichts, aber ich könnte dir auch noch das folgende Buch empfehlen:
    Die zwölfte Nacht - Charlotte Lyne


    Hm, so hatte ich das auch verstanden und gemeint. Die Einteilung in Gut und Böse ist DDR-konform: der absolutistische Herrscher ist der Böse und der Utopia-Verfasser ist der Gute. So waren halt die Zeiten, 1960, Kalter Krieg, System-Wettstreit, da muss gefälligst auch in einem historischen Roman das Weltbild stimmen.


    Danke sehr für den Buchtipp!