Beiträge von Rika-

    Ich weiß noch genau, wo ich gerade war und was ich gemacht habe, als im Radio die Nachricht kam, dass Christa Wolf gestorben ist.


    Dies ist Christa Wolfs letzte Erzählung, 2011 als Geschenk für ihren Mann Gerhard Wolf entstanden, ihr handschriftlicher Brief an ihn ist im Anhang abgedruckt. Die Erzählung wurde 2012 postum veröffentlicht.
    Erzählt werden Kindheitserinnerungen an Flucht und Nachkriegszeit des damals achtjährigen August, diese Erinnerungen verbinden sich mit anderen Lebenserinnerungen und mit der Gegenwart. Der Erzählton ist unaufgeregt, unspektakulär, ruhig und gerade in seiner Einfachheit berührend.


    „August bleibt gelassen. Er wird niemals ungeduldig. Du hast eine Engelsgeduld, hatte Trude öfter zu ihm gesagt. Er gerät niemals außer sich. Seine Kollegen wissen das zu schätzen. Manchmal halten sie ihn wohl für ein bisschen langweilig. Sag du doch auch mal was, haben sie ihn anfangs angestoßen, wenn sie in der Pause zusammensaßen. Aber was sollte er sagen.“ (S. 20)


    Ein leiser, freundlicher Gruß zum Abschied von einer großen Autorin, die viel zu sagen hatte.


    8 Punkte


    Den Beginn der Erzählung gibt es als Leseprobe auf der Seite des Suhrkamp Verlages. <klick>

    „Seit drei Jahren ging ich nicht mehr zur Schule. Meine besten Freunde waren meine Eltern. Mein drittbester Freund war ein Schriftsteller, der nicht einmal ahnte, dass ich existierte. Ich bin nicht der Typ, der sich dauernd meldet. Wenn irgendwo Freiwillige gesucht werden, ist meine bewährte Strategie, mich höflich im Hintergrund zu halten.“ (S. 17)



    Hazel ist 16 und hat Schilddrüsenkrebs, sie ist die Ich-Erzählerin des Romans. In einer Selbsthilfegruppe lernt Hazel Gus kennen – und es beginnt eine schöne und traurige Liebesgeschichte.
    „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ hat alles, was ein gutes Buch ausmacht: es ist humorvoll, nachdenklich, philosophisch, romantisch, warmherzig, tieftraurig. Ich habe herzhaft gelacht und an anderen Stellen des Buches sehr geweint. Hazel, Gus, Isaac und ihre Familien muss man einfach mögen und man fühlt mit ihnen. Es gibt auch schräge Gestalten, wie den Schriftsteller Peter Van Houten, oder Menschen, die einen wütend machen, wie Monica – aber keine der Personen in diesem Buch lässt einen als Leser kalt. Die Story um den Schriftsteller konnte ich erst nicht einordnen, aber auch hier schließt sich der Kreis und es ergibt sich eine gut gemachte Geschichte in der Geschichte.
    Der Autor macht keinen Bogen um schwere und schwierige Themen, sondern geht mutig darauf zu, setzt sich damit auseinander und schreibt seine Geschichte auch zu Ende. Das schafft längst nicht jeder Autor!
    Obwohl es sich um ein Jugendbuch handelt, kann das Buch ohne Abstriche ebenso gut von Erwachsenen gelesen werden. Was es zum Jugendbuch macht, ist allein die Tatsache, dass die Hauptpersonen Jugendliche sind, aber die Themen und die Herangehensweise an diese Themen sind keinesfalls nur für Jugendliche lesenswert.
    Ich fand das Buch auch fachlich (medizinisch) fundiert, der Autor hat meines Erachtens gut recherchiert und konnte sich gut in seine Figuren hineinversetzen. Die Romanhandlung hat mich auch in dieser Hinsicht überzeugt, nach allem, was ich bisher von Krebserkrankungen weiß und erfahren musste.


    Ich habe das Buch in einem Stück hintereinander weggelesen, dies war ein furioser Auftakt meines Lesejahres und ich weiß nicht, wann mich ein Buch wieder so mitreißen und begeistern wird. Ich habe nichts an diesem Buch zu kritisieren – und ich bin SEHR kritisch, wenn’s um Bücher geht :-)


    10 Punkte


    Den Beginn des Romans gibt es als Leseprobe auf der Seite des Hanser Verlages (PDF-Datei). <klick>

    „Toto war Füllmaterial. Weiße Schaumstoffteile, die wichtige Waren in Paketen schützen. Sie war einer jener Menschen auf der Welt, die evolutionär von keinerlei Wert waren.“ (S. 175 f.)



    Der Roman schildert die Lebensgeschichte eines Menschen ohne eindeutige Geschlechtszuordnung, geboren 1966 in der DDR, gelebt zunächst eben dort, später auch in Westdeutschland, gestorben 2030 in Frankreich. Parallel zu Totos Lebensgeschichte werden gesellschaftliche und politische Entwicklungen detailiert und kritisch beschrieben. Inhaltlich gibt das durchaus etwas her, das könnte interessant und spannend zu lesen sein. Leider ist der Schreibstil durchgängig negativ, resignativ und sarkastisch gehalten. Irgendwann hat die düstere Grundstimmung des Romans auf mich abgefärbt und mir schlechte Laune verursacht. Dabei schreibt die Autorin durchweg intelligent, analysierend, treffend und scharfzüngig – man könnte auf jeder Seite ein, zwei Sätze mit Bleistift anstreichen, die einen interessanten, ungewöhnlichen oder neu formulierten Gedanken enthalten und es wert wären, noch einmal gelesen zu werden. Dies ist eine Art zu schreiben, die für Zeitungskolumnen sicher genau richtig ist, diesen Roman, finde ich, trägt es nicht, weil es ihn zu theoretisch macht. Die Ereignisse reihen sich flott aneinander, es passiert viel, aber ich konnte mit keiner der Personen mitfühlen, es gelang mir nicht einmal, Toto zu bedauern.


    6 Punkte


    Die Seiten 148 – 161 gibt es als Leseprobe auf der Seite des Hanser Verlages (PDF-Datei). <klick>

    Zitat

    Original von maikaefer
    Nein, mit regimeeingefärbt meinte ich das Regime, unter dem das Buch geschrieben wurde, nicht die Zeit, in der es spielt. Auch im Klappentext wird sehr betont auf das kapitalistische England Bezug genommen.
    Die George habe ich gelesen, das andere sagt mir im Moment nichts, aber ich könnte dir auch noch das folgende Buch empfehlen:
    Die zwölfte Nacht - Charlotte Lyne


    Hm, so hatte ich das auch verstanden und gemeint. Die Einteilung in Gut und Böse ist DDR-konform: der absolutistische Herrscher ist der Böse und der Utopia-Verfasser ist der Gute. So waren halt die Zeiten, 1960, Kalter Krieg, System-Wettstreit, da muss gefälligst auch in einem historischen Roman das Weltbild stimmen.


    Danke sehr für den Buchtipp!

    Wegen der Schwarzweißmalerei, da dachte ich, dass das derselbe Kritikpunkt sein könnte, den Du in Deiner Rezi genannt hattest: die Story sei regimeangepasst eingefärbt. Auf der einen Seite der unerbittliche Herrscher, der alle Untertanen ausbeutet und absolutistisch knechtet und auf der anderen Seite der Visionär und Bauernbefreier, der in seiner Utopia fast schon den Kommunismus beschreibt.


    Jedenfalls hat mich das Buch "angefixt", so dass ich gern mehr über diesen Teil der englischen Geschichte lesen möchte. Nun überlege ich, ob ich "Ich, Heinrich VIII." von Margaret George oder besser "Wölfe" von Hilary Mantel lesen will …
    Heinrich VIII. war mir doch bisher glatt entgangen, ich wusste bislang nur, dass das der mit den vielen Frauen war … :learn

    Meine Meinung:


    Grundidee und Konstruktion des Romans sind schon mal genial. Es geht um die Rivalität zwischen König Heinrich VIII. von England und dem Gelehrten Thomas Morus. Im Latainischen bedeutet Morus „Narr“ – hierauf wird im Roman auch ab und zu angespielt. Vielleicht hat dieses Wortspiel den Autor bereits inspiriert, in die Geschichte zwei weitere Figuren einzufügen, die ihren Lebensunterhalt tatsächlich als Narr verdienen: den Narr des Königs, Will Summer (historisch verbürgt, siehe englischen Wikipedia-Eintrag zu William Sommers, mit Bild! <klick>) und Johnny Patenson, aus einer verarmten Bauernfamilie stammend, der nun als Narr durch die Lande streift, die Leute unterhält und so ein gutes Einkommen gefunden hat.
    Als Leser erlebt man beide Seiten mit. Es wird sowohl das Leben bei Hofe mit seinen Intrigen, politischen Finessen, Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Königsmacht, den Amouren Heinrichs als auch das Schicksal der Bauern, die wegen der Ausbreitung der Schafzucht von ihrem Land verdrängt wurden und nun in den neuen Manufakturen Arbeit suchen, geschildert. Man kann sich als Leser in alle Personen sehr gut hineinversetzen und mit den Menschen mitfühlen. Die Schilderung des Lebens bei Hofe und des Lebens des einfachen Volkes sorgt für Abwechslung beim Lesen und macht die Geschichte spannend und unterhaltsam.


    Negativ aufgefallen ist mir die einseitige Zeichnung der Hauptfiguren Heinrich VIII. und Thomas Morus und Gefolge. Der König und seine ihm ergebenen Hofschranzen werden ausschließlich mit schlechten Eigenschaften ausgestattet, während Thomas Morus die ganze Zeit über mit einem Heiligenschein herumlaufen muss und Morus‘ Freunde auch stets die Guten sind. Ein wenig mehr Grautöne wären hier schön gewesen.
    Die Darstellung Thomas Morus‘ scheint insofern historisch auch nicht ganz korrekt zu sein, denn der tatsächliche Thomas Morus hat als Lordkanzler bspw. Anhänger der Reformation verfolgen und verbrennen lassen (Quelle: wikipedia.de), wovon im Buch nichts erwähnt wird. Eine ganz so weiße Weste, wie der Autor das gerne hätte, hatte Thomas Morus also nicht.
    Zudem waren mir – bei 611 eng bedruckten Seiten – manche Szenen zu breit ausgeführt, was einem „Historienschinken“ wohl aber zugestanden werden kann.


    „Stirb, du Narr!“ ist ein Buch, das selbst schon aus der Zeit gefallen ist. Die erste Auflage erschien 1960 und so kommt das Buch eben auch daher. Der Sprachstil hat mir sehr gut gefallen, die Sprache ist ein klein wenig umständlich-betulich und stets malerisch-schwelgend, also eines historischen Romans sehr angemessen.
    Jedem Kapitel sind, wie in Büchern früherer Jahrhunderte üblich, kurze Inhaltszusammenfassungen vorangegeben, in denen der Leser auch direkt angesprochen wird (was sonst im Buch nicht der Fall ist). Auch dies hat mir Freude gemacht, weil es einfach passt. Ein Beispiel (Zitat von S. 500):


    Einundzwanzigstes Kapitel


    Dieses Kapitel enthält viel Betrübliches,
    ja zum Schluß Schaudererregendes.
    Leser, die Schaudererregendes nicht
    hören mögen (obwohl es sich so
    ereignet hat!), sollten den Schluß des
    Kapitels lieber überschlagen.


    Fazit:


    Für Freunde historischer Romane ist „Stirb, du Narr!“ auf jeden Fall eine Empfehlung. Für Leser, die sich für einen historischen Roman interessieren, der selbst schon Zeitgeschichte ist, ist das Buch eine ganz besondere Empfehlung.
    8 Punkte.


    Wanderbuch-Angebot:


    Ich habe das Buch hier bei den Eulen als Wanderbuch eingestellt. <klick>
    Wer also möchte …

    Meinung:


    Das Buch beginnt gemächlich, gezeigt wird das Leben in einer normalen Kleinstadt in den USA mit normalen Menschen Ende der 1950er Jahre. Das Zeitkolorit kommt hervorragend rüber, man fühlt sich hineinversetzt in diese Zeit und an diesen Ort. Es ist wie nebenbei die Rede vom Kalten Krieg, der atomaren Bedrohung aus Moskau, die Kinder spielen mit Atomkanonen, von der Wasserstoffbombe wird gesprochen, die Leute haben Angst vor einem 3. Weltkrieg. Das Fernsehen wird als "nationaler Zeitvertreib" bezeichnet und Homosexuelle werden mal eben "schwule Himbeerbubis" genannt. Das Zeitgefühl hat der Autor sehr gut getroffen.
    Leider bleibt die Handlung in den ersten zwei Dritteln des Buches behäbig, obwohl man als Leser sehr bald überlegt, was hier eigentlich los ist, was hier nicht stimmen soll. Erst als Ragel versucht auszubrechen, wurde es für mich interessant und die Handlung nimmt zum Schluss hin richtig Fahrt auf. Die Auflösung hat mich überrascht, da hat der Autor viel Phantasie bewiesen und das hat mir gefallen, weil’s mal was anderes war.


    Geärgert habe ich mich über die sprachliche Umsetzung, wobei ist nicht weiß, ob Wortkreationen wie "Fußschritte", die jemand gehört hat oder eine Formulierung wie "reichte Ragle ihm die Kopfhörer und setzte sie ihm auf." (S. 128) dem Autor oder den Übersetzern anzulasten sind.
    Das sprachliche Niveau ist wie das Anfangsszenario des Romans bestenfalls normal bzw. Mittelklasse.


    Fazit:


    Insgesamt empfand ich den Roman dann doch eher als nichtssagend. Eine nette Idee, leidlich umgesetzt, als Buch für zwischendurch gut geeignet, mehr aber auch nicht. Der Film "Die Truman Show", zu dem es einige Parallelen gibt, konnte mich mehr zum Nachdenken bringen.
    6 Punkte.

    Tereza
    Wenn ich so drüber nachdenke – die meisten Personen sind (mindestens teilweise) unsympathisch dargestellt. Aber keine der Personen ist eindimensional oder flach gezeichnet und die simple Einteilung in Gut und Böse gibt es auch nicht. Insofern unterscheidet sich der Roman wohltuend von manch anderen Schema-F-Historienromanen. Und das spricht auf jeden Fall für das Buch.

    Meine Meinung:


    Es gibt einige eindrückliche Passagen und Szenen in diesem Buch, die ich nur so weggelesen habe und die mir im Gedächtnis bleiben werden. Dazu zählt die Schilderung der Überfahrt nach Kanada und die gemeinsame Zeit von Grace mit ihrer Freundin Mary. Auch der Hausierer Jeremiah, eigentlich eher eine Randfigur, war gekonnt und interessant gezeichnet – ich liebe schräge Nebenfiguren.
    Ebenfalls sehr gut gefallen hat mir das Buch in sprachlicher Hinsicht dort, wo die Ereignisse von Grace selbst geschildert werden. Wenn Grace ihre Geschichte erzählt, verwendet die Autorin hierfür eine einfache, manchmal fast naive und auch nicht immer grammatikalisch korrekte Sprache. Graces eigene Worte charakterisieren sie wie nebenbei als armes Dienstmädchen ohne besondere Schulbildung. Das passte gut zusammen und wirkte authentisch.
    Eine schöne Idee sind die Quiltmuster, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch ziehen: der Name eines Quiltmusters steht über jedem Kapitel als Überschrift und die entsprechenden Muster sind dazu abgedruckt. Auch inhaltlich geht es immer mal wieder um das Nähen von Quilts.


    Leider empfand ich das Buch insgesamt als viel zu langatmig. Bereits der Einstieg war eine Geduldsprobe, da die eigentliche Handlung, Graces Bericht über ihr Leben, erst auf Seite 141 (!) begann. Auch später hatte der Roman noch Längen, beispielsweise wird Graces Stellung bei Mr. Kinnear, in dessen Haus sich die Morde ereignen sollten, bis zu den Verbrechen sehr ausführlich geschildert.
    Den Handlungsstrang um Dr. Simon Jordan fand ich fast komplett entbehrlich, zumindest hätte er wesentlich gestrafft werden können. Der Mann ist und bleibt unsympathisch, sein beruflicher Werdegang hat mich absolut nicht interessiert und die Story um ihn und seine Zimmerwirtin war für mich einfach nur unglaubwürdig und damit ärgerlich.
    Grace bleibt das gesamte Buch über undurchsichtig, was sicher so beabsichtigt war, und man kann sich als Leser aussuchen, was man von ihr halten soll – ich fand das irgendwann mühsam.


    Fazit:


    Für mich haben die Nachteile leider überwogen. Man kann das Buch lesen, muss es aber nicht. Mich hat das Buch interessiert, weil mir „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood sehr gut gefallen hat und weil ich das historische Thema dieses Romans spannend fand. Aber so, wie die Autorin das Thema umgesetzt hat, war „alias Grace“ für mich eine Enttäuschung.
    6 Punkte.


    Leseprobe:


    Auf buch24.de gibt es eine Leseprobe vom Beginn des 1. Kapitels. <klick>

    Na ja, ich bin ja überhaupt erst durch Deine Rezi auf das Buch aufmerksam geworden und dann hab ich es mir gestern sofort bestellt (so viel zu der Frage, wie gut Deine Rezi war :-)) und dann dachte ich, dass es echt unfein wäre, wenn ich mich nicht für den Buchtipp bedanken würde.
    Ich bin schon gespannt! :wave

    Stefan Heym, Ahasver
    Roman, 272 Seiten
    Erstveröffentlichung BRD 1981, DDR 1988
    aktuelle Ausgabe:
    btb Verlag, Taschenbuch, 8,00 EUR, ISBN 978-3442733576


    Autor:
    Stefan Heym wurde 1913 in Chemnitz geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik. Da er Jude war, emigrierte er 1933 in die USA. Während des 2. Weltkrieges nahm er als US-Offizier an der Invasion in der Normandie teil. Die ersten Nachkriegsjahre verbrachte er in München, wegen seiner kommunistischen Haltung wurde er jedoch in die USA zurück versetzt und aus der Armee entlassen. Aus Protest gab er Offizierspatent, Auszeichnungen und seine US-Staatsbürgerschaft zurück und übersiedelte 1953 in die DDR. Zu Konflikten mit der DDR-Staatsführung kam es bereits 1956, als die Veröffentlichung seines Romans „Fünf Tage im Juni“ über den Arbeiteraufstand 1953 abgelehnt wurde. Die in der Gegenwart spielenden Romane Heyms (Fünf Tage im Juni, 1974; Collin, 1979) wurden ausschließlich in der Bundesrepublik veröffentlicht, da sie politische Themen zu kritisch behandelten. Nur die in der Vergangenheit angesiedelten Romane Heyms konnten auch in der DDR erscheinen, zum Teil jedoch erst Jahre nach deren Veröffentlichung in Westdeutschland. Damit war Stefan Heym Dissident in drei politischen Systemen: als Jude unter Hitler, als Kommunist unter McCarthy und als kritischer Schriftsteller unter Ulbricht und Honecker. Auch nach der Wende blieb Heym unbequem, beispielsweise als Bundestagsabgeordneter für die PDS. Stefan Heym starb 2001 in Jerusalem.


    Inhalt:
    Der Roman greift die Legende vom Ewigen Juden Ahasver auf. Nach dieser Legende ist Ahasver ein jüdischer Schuster an der Via Dolorosa, der Jesus auf dem Weg zur Kreuzigungsstätte Rast und Ruhe vor seinem Haus verweigerte. Ahasver wird deshalb von Jesus dazu verurteilt, bis zum Jüngsten Tag ruhelos auf der Erde umherzuwandern.
    Das Schicksal des Ewigen Juden wird vom Autor auf vier verschiedenen Zeitebenen ausgedeutet: eine mythologische Ebene reicht von der Schöpfung bis zum Weltuntergang und bildet die Rahmenhandlung des Romans. Weitere Handlungsstränge spielen zur Zeit Jesu, während der Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts und in der DDR in den Jahren 1979 bis 1981.


    Meinung:
    Durch die verschiedenen Handlungsstränge ist der Roman zwar sehr komplex, aber die Handlungsebenen lösen einander kapitelweise ab und sind klar voneinander getrennt. Zu Beginn jedes Kapitels steht nach dem Vorbild mittelalterlicher Bücher eine kurze inhaltliche Zusammenfassung. Zudem findet der Autor für jede Ebene eine der Zeit der Handlung eigene und angemessene Sprache, so imitiert er auf der mythologischen Ebene die Sprache der Bibel, die Ereignisse zur Zeit der Reformation sind in altertümelndem Historien-Deutsch geschrieben und der DDR-Handlungsstrang kommt in sachlich-wissenschaftlichem Ton daher.
    Allein für diese sprachliche Meisterleistung gebührt dem Autor ein großes Kompliment.
    Gefreut haben mich auch die „sprechenden“ Namen, die der Autor für seine Figuren gefunden hat. So ist beispielsweise ein Briefwechsel zwischen Prof. Dr. Dr. h. c. Siegfried Beifuß, Leiter des Instituts für wissenschaftlichen Atheismus in Berlin, Hauptstadt der DDR, und Prof. Jochanaan Leuchtentrager von der Hebrew University in Jerusalem im Roman wiedergegeben. Bei Beifuß musste ich gleich an das Kommando „Bei Fuß!“ für Hunde denken, was die Person dieses Namens treffend charakterisiert und Leuchtentrager ist einfach eine andere Formulierung für Luzifer.
    Der Roman ist intelligent gemacht, man muss schon ein bisschen mitdenken, er ist aber auch kurzweilig genug, um als Leser dabei zu bleiben. Zudem blitzen im Buch immer wieder Satire und Ironie auf. Jede der Handlungsebenen hat ihren eigenen Charme: die mystische Ebene kommt v. a. philosophisch daher, den Handlungsstrang zur Zeit Jesu fand ich aus religiöser Sicht interessant, da er viele biblische Bezüge enthält, die Schilderung der Ereignisse zur Zeit der Reformation las sich schon aufgrund der Sprache wie eine gut gemachte historische Erzählung und der Briefwechsel zwischen den beiden Professoren strotzte nur so vor Witz und Satire. Mir haben alle Handlungsebenen gleichermaßen gut gefallen, jede auf ihre Art.
    Die einzelnen Ebenen stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind durch die Ahasver-Legende miteinander verbunden. Daraus bezieht der Roman auch seine Spannung, da man als Leser immer wissen will, worauf das Ganze letztlich hinausläuft und wer hier was mit wem zu tun hat und warum.
    Vordergründig hat sich der Autor an der Legende vom Ewigen Juden abgearbeitet, aber eigentlich geht es um so große Themen wie etwa das Gute und das Böse, die Veränderung und Veränderbarkeit der Welt, menschliche Schwächen und menschliche Gelüste, Sichtbares und Unsichtbares …


    Fazit:
    Ich bin von dem Buch begeistert und es hat einen Platz in meinem Lieblingsbücher-Regal bekommen, da ich es unbedingt noch einmal lesen will. Vor allem Sprachmenschen und Lesern, die sich für philosophische und religiöse Themen interessieren, kann ich das Buch nur empfehlen.


    10 Punkte.

    Vielen Dank für diese Buchvorstellung! Wie‘s aussieht, war das Buch zu DDR-Zeiten ein richtiger Dauerbrenner: 1. Auflage 1960, 18. Auflage 1989.
    Ich hab eh grad eine DDR-Literatur-Lesephase, da passt Deine Empfehlung gut rein. Danke also.

    Da hab ich es ja richtig einfach: ich habe keinen SUB, sondern nur eine Leseliste. Von der Leseliste kommen meistens so 5 - 8 Bücher bei jedem Bibliotheksbesuch mit zu mir nach Hause, und das richtet sich danach, was in der Biblio gerade ausleihbar ist. Und bei 5 - 8 Büchern hab ich keine Auswahlprobleme mehr - ich will die eh bis zum Rückgabetermin (an)gelesen haben. :wave


    Allerdings, meine Leseliste wird, seit ich bei den Eulen bin, immer länger. Ich hab noch nie so viele Lesetipps bekommen! :-)

    Ich habe das Buch ca. auf Seite 100 abgebrochen, irgendwie kam ich mit dem schwarzen Humor und den altklugen Ansagen des 11-jährigen Melvin nicht zurecht. Es wird ziemlich schnell klar, wie das Buch "gestrickt" ist und wie sich die Story weiter drehen wird und dann hat mich die Geschichte leider nicht mehr so weit interessiert, dass ich sie zu Ende lesen wollte. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu ernst für solche Satire ;-)

    Meine Meinung:


    Das Buch spielt in den 1980-er Jahren, erzählt wird die Geschichte eines DDR-Bürgers, der reisen wollte, um bleiben zu können.
    In der Mitte seines Lebens beschließt Paul Gompitz, Kellner aus Rostock, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen: auf den Spuren J. G. Seumes möchte er nach Syrakus in Italien reisen. Damit hat sich Paul Gompitz viel vorgenommen, denn DDR-Bürger durften nur ins sozialistische Ausland reisen. Da ihm klar ist, dass er bei einem illegalen Grenzübertritt sein Leben riskiert, versucht er zunächst auf legalem Wege, über die BRD nach Italien zu gelangen, mit Einladungen seiner Cousine in Solingen und zweier Studenten aus Karlsruhe, deren Bekanntschaft er in Prag gemacht hat. Seine Besuchsanträge werden abgelehnt, weshalb Paul Gompitz nun den Weg über die See nach Dänemark mit dem eigenen Segelboot wählt. Er plant seine Reise in den Westen genau, sieben Jahre dauern die Vorbereitungen, dann ist es ganz plötzlich soweit, der Seewetterbericht des Deutschlandfunk meldet Wind Nordost und ein Tief und damit schlechte Sicht für die Grenzer …


    Das Buch erschien erstmals 1995, die Geschichte ist ausgedacht und sie wirkt auch ein wenig surreal. Paul Gompitz muss viel Phantasie, Mut, Bauernschläue und Witz aufbringen, um sich seinen Traum zu erfüllen. Da er auf seiner Reise nach Syrakus finanziell unabhängig sein will, trifft er auch hierfür mühsam Vorsorge. In seinem Reisetagebuch, das er für sich, die zu Hause gebliebenen sowie für die Stasi (!) schreibt, nimmt dieses Thema größeren Raum ein – denn Paul Gompitz weiß, dass sich die Reisebestimmungen der DDR ändern müssen und hoffentlich auch werden und dass das größte Problem dann immer noch die schwache DDR-Währung sein wird. Und immer wieder macht er deutlich, dass er nach seiner Reise auf jeden Fall zurück in die DDR will, zu seiner Frau und zu seiner Arbeit. Einer seiner Ängste ist es, nicht mehr in die DDR einreisen zu dürfen, auch der Wiedereinreise gelten daher seine akribischen Vorbereitungen.


    Ich musste beim Lesen oft schmunzeln über die Chuzpe des Paul Gompitz, dem DDR-Patrioten, der unbeirrt an seinem Traum festhält und seinem Staat ein Schnippchen schlägt.
    Die Sprache F. C. Delius’ ist kurz und prägnant, punktgenau. Die Handlung schreitet rasch voran, so wie sein Held Gompitz schweift Delius nicht ab, sondern schildert geradeweg die Reise seines Helden von Rostock nach Syrakus.


    Auf jeden Fall ein lesenswertes Buch, wenn man sich auf die etwas surreale Handlung einlassen kann. Von mir 9 Punkte.

    Ich musste mal ein paar andere Bücher dazwischen schieben, zu Erholungszwecken ;-), aber jetzt bin ich mit dem menschlichen Makel auch am Ende.


    Im letzten Teil waren wieder einige interessante Szenen dabei, z. B. die Beerdigungen von Faunia und Coleman, das Gespräch von Lester und Nathan beim Angeln und das Gespräch zwischen Ernestine und Nathan.


    Aufgefallen ist mir, dass es bei beiden Beerdigungen viel um den Beruf der Verstorbenen ging. Okay, Colemans Beerdigung wollten seine Kinder dazu nutzen, den Verstorbenen beruflich zu rehabilitieren, aber selbst bei Faunia wurde in der Grabrede sehr herausgestellt, was für eine gute Putzfrau sie war. Ich fand das schon ein wenig merkwürdig.


    Bei Lester fiel mir auf, dass er im ganzen Buch nie auch nur einen Moment an seine eigene Schuld bzgl. seiner beiden Einsätze in Vietnam gedacht hat. Vielleicht würde ihm das helfen, sein Trauma mal von einer anderen Seite aus zu bearbeiten, aber nee, sind ja immer die anderen (die Regierung, die ist am weitesten weg) Schuld.


    Colemans Schwester Enrestine hat mir gut gefallen und dass man durch sie noch etwas über die politische Bewegung der Schwarzen erfahren hat (z. B. der schwarze Arzt, der an einer Verletzung starb, für die er eine Heilungsmethode entdeckt hatte, aber als Schwarzer in dem Krankenhaus nicht behandelt wurde, unglaublich!) Ernestine hatte auch ganz vernünftige Ansichten, finde ich.


    Jaaa, mit den Anspielungen auf die griechische Mythologie – hatte das denn überhaupt irgendeine Funktion, frag ich jetzt mal ganz ketzerisch. Ich meine nämlich, wenn dieses ganze griechische Zeugs nicht im Buch vorgekommen wäre, wäre das Buch auch nicht auseinander gefallen. *hust*


    Alles in allem hat mich das Buch leider nicht begeistern können. Ich fand’s oft zu langatmig – z. B. Roth’ "Masche", vor einer spannenden Stelle schnell noch zwei Seiten Familiengeschichte o. ä. einzufügen, um den Spannungsbogen zu verlängern, fand ich irgendwann … na ja … wenn man das als Leser schon kannte, war’s leider nicht mehr spannend. (Zum ersten Mal fiel mir das auf, als Coleman seine weiße Freundin mit zu seinen Eltern nimmt, man weiß, das wird gleich ganz spannend, wie werden alle aufeinander reagieren, die beiden stehen schon an der Haustür und schwupps, gibts noch mal zwei Seiten Exkurs zur Familengeschichte, bis sie endlich an der Tür läuten.)


    Ich fürchte, ich bin für Hochliteratur nicht so ganz der geeignete Leser. :lache

    Schön, dass Du das Buch hier vorgestellt hast, danke! "Peter der Erste" hab ich vor ca. 20 Jahren zum ersten Mal gelesen, damals von einer Freundin geliehen. Vor einiger Zeit hab ich es mir dann anitquarisch gekauft und ein zweites Mal gelesen, wieder mit Begeisterung.