Leif Randt - Schimmernder Dunst über Coby County

  • Titel: Schimmernder Dunst über Coby County
    Autor: Leif Randt
    Verlag: Berlin Verlag
    Erschienen: August 2011
    Seitenzahl: 191
    ISBN-10: 3827010276
    ISBN-13: 978-3827010278
    Preis: 18.90 EUR



    Genau genommen erzählt der Autor eine ganz banale Geschichte. Aber es ist gerade das Banale, was diesen Roman so reizvoll macht.
    Der Ich-Erzähler Wim ist mit sich und der Welt mehr oder weniger im Reinen. Alles geht seinen gewohnten Gang in Coby County, diesem fiktiven Ort in einem namenlosen Land. Es ist nicht Amerika oder Europa, es ist irgendwo und nirgendwo. Dieser Ort wirkt wie eine riesige Wellness-Oase.
    Wim mag seine Freundin Carla und seinen Freund Wesley. Er ist Lektor in einem ortsansässigen Verlag und betreut ein paar hoffnungsvolle Jungautoren. Mit seiner Freundin hat er regelmässigen Sex und alles scheint klar und überschaubar zu sein und alles scheint seinen gleichmässigen Gang zu gehen.
    Wim berichtet über sein Leben als würde er außerhalb seiner Person stehen, als ginge ihn das Ganze überhaupt nichts an. Kaum bis gar keine Emotionen finden sich in seinen Beschreibungen. Alles ist unglaublich distanziert, fast schon gelangweilt.
    Steril und klinisch sauber.
    Als Carla dann die Beziehung beendet, wird Wim davon kaum aus der Bahn geworfen. Geschäftsmässig „packt der diese Beziehung“ zu den Akten. Alles in seinem Leben ist gut organisiert und für einen Schritt mal neben den eingeschlagenen Weg ist er einfach nicht geschaffen. Er lebt sein Leben weil es eben gelebt werden muss. Und zu heftige Emotionen könnten vielleicht nur stören.


    Dieses Buch verbreitet ein ganz besonderes erzählerisches Flair. Es ist der Stil von Leif Randt der dieses Buch, der diese Geschichte, zu etwas Besonderem macht. Es ist die Schilderung von Ritualen die keine Störung vertragen, und die, wenn sie dann tatsächlich einmal gestört werden, selbst diese Störungen ritualisiert verarbeiten. Auch wenn die Dinge um ihn herum in Bewegung geraten, so passt sich Wim diesen Bewegungen an, nimmt sie in sich auf, wendet sich aber nicht gegen sie – er passt sich immer dem Rhythmus des Laufs der Dinge an. Alles ist im langsamen stetigen Fluss – und Wim fließt mit.


    Wim und seine Freunde leben ihr Leben fast in einem vor sich hindämmernden Halbschlaf, es fehlt ihnen an nichts und so wie es läuft könnte es auch auf Dauer weiterlaufen. Eine banale Geschichte – frei von Banalitäten. Eine Geschichte auf eine beeindruckende und distanzierte Art und Weise erzählt.


    Leif Randt sorgt mit diesem Buch dafür, dass es in der deutschen zeitgenössischen Literatur nicht langweilig wird und das es eben auch reizvoll ist, mal einige Wege neben der Hauptstraße zu gehen. Die Beschreibung eines Menschen ohne Ecken und Kanten, der mit sich und der den Dingen um sich herum scheinbar zufrieden ist, ist dem Autor auf beeindruckende Art und Weise gelungen. Hier wird ein Mensch beschrieben, der sich nicht kümmert, der genügsam ist, der nicht verändern will – vielleicht ein Mensch der das Leben mehr oder weniger verschläft? Wer weiß.
    Ein lesenswertes Buch.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Unter Null


    Vor fast dreißig Jahren, nämlich 1985, hat Bret Easton Ellis, Autor des berüchtigten "American Psycho", seinen ersten Roman veröffentlicht: "Unter Null". Der Titel bezog sich auf die erschütternde Emotionslosigkeit der jungen Hauptfiguren, die zwischen Drogen, Sex und Markenartikeln keinen Platz für eigene Gefühlsregungen fanden - aber auch nie suchten.


    Wim Endersson, 26 Jahre alt, Absolvent der "School of Arts and Economics", ist bereits sieben Monate nach dem Abschluss Mitarbeiter einer großen Literaturagentur, zuständig für, wie er sie nennt, "Teeny-Autoren", die das Lebensgefühl von CobyCounty auflagenstark in die Welt tragen. Dieses Lebensgefühl zieht in jedem Frühling Heerscharen von Touristen an, höchst attraktive Touristen, zumeist Freiberufler, also selbst Künstler, wie fast jeder in CobyCounty. Die fiktive Kulturstadt mit dem angenehmen Klima produziert erfolgreiche Musik, Bücher und Filme, aber auch das Leben dort verläuft wie eine Inszenierung, selbst im Frühling, wenn die Touristenscharen zum Feiern kommen. Das Dasein in CC ist vorhersehbar, mit großer Kontinuität ausgestattet, nahezu frei von Katastrophen, stylisch und bildschön - wie ein beliebiges Franchise-Produkt.


    Leif Randt setzt diese merkwürdige, ernüchternde und auf amüsante Weise deprimierende Utopie, die zugleich als Kritik auf jene Parallelwelt verstanden werden kann, die sich "Unterhaltungsindustrie" nennt, in perfektem Duktus und sehr eigenartigem, aber äußerst lesbarem Stil um. Wim Endersson, der als Ich-Erzähler auftritt, ist ein präziser Beobachter, der sich selbst nicht als Gegenstand der Beobachtung ausnimmt, aber die Wahrnehmung - auch des eigenen Selbst - ist strikt auf die Oberfläche fokussiert: Während zwar jede Geste, jede Änderung der Mimik, jeder Halbsatz eines Gesprächspartners analysiert und bewertet wird, geschieht dies ebenso frei von jedem Tiefgang wie die Beobachtung selbst. Emotionen gibt es in diesem Buch nicht, sondern dramaturgische Zwänge, folgerichtige Handlungsverläufe und präzise gesetzte Plotpoints. Es ist, als wäre die Handlung dieses Romans die Handlung eines weiteren Romans. Das aber ist so verblüffend und großartig umgesetzt, so eigenwillig und ausdrucksstark, dass ein unvergleichlicher Lesesog entsteht.


    Wim Enderssons vorhersehbare Welt gerät ins Straucheln, als der Langzeitkumpel Wesley plötzlich die Stadt verlässt und Enderssons Gefährtin - natürlich per Kurznachricht - die Beziehung beendet. Der junge Held versucht, auch dieser Krise mit dem ihm bekannten Instrumentarium zu begegnen, das aber hierfür völlig ungeeignet ist. Womit dieser Wim Endersson plötzlich für eine große Gruppe junger Menschen steht, die sich bei der Selbstdefinition völlig kritiklos auf das Marktgefüge einlässt, in das sie eingebettet ist, ohne zu erkennen, wie unilateral diese Beziehung ist.


    Ein origineller, spannender, unterhaltsamer, pfiffiger und starker Roman, der nicht grundlos von der Presse gefeiert und mit Literaturpreisen überhäuft wurde. Großartig!

  • Schimmernder Dunst über Coby County - Leif Randt


    Mein Eindruck:
    Schimmernder Dunst über Coby County ist ein geschickt konstruierter, intelligent gemachter Prosatext, bei dem ich überrascht war, dass es von einem deutschen Autor ist. Wie in amerikanischer Tradition geschrieben, wirkt der Text auf mich. Man denkt an Bret Easton Ellis, aber ohne Psycho. Doch Leif Randt ist in Frankfurt am Main geboren und lebt in Berlin.


    Viele Abschnitte empfinde ich als dokumentarisches Erzählen über einen fiktiven Ort, wobei der Ich-Erzähler Wim ganz und gar im CobyCounty integriert ist. Ein nahezu perfekter Ort, der seinen Bewohnern ein perfektes Leben im Wohlstand bietet. Anpasst sein ist der Normalzustand.
    Doch jüngere verlassen die Gegend, mindestens zeitweise. Auch Wims Freund Wesley gehört dazu. Dann trennt sich Wims Freundin Carla von ihm.
    Auch als Wims Wahrnehmung über den Ort ein wenig zu bröckeln beginnt, stellt er die Utopie in Frage. Er bleibt überwiegend ein Beobachter, der wenig agiert. Er beginnt über die Vergangenheit nachzudenken und notiert in einem Tagebuch. Es wird erkennbar, dass die äußere und innere Sicherheit und Wohlstand, den das CobyCounty bietet, aber auch Sterilität und Emotionslosigkeit keinen Bestand für kommende Generationen haben wird.


    Das wohltuende an dem Roman ist, dass er so unaufgeregt, sogar undramatisch bleibt. Eine aufgesetzte Message wird vermieden. So kommt der Ton des Romans unter der Oberfläche teilweise auch ein wenig ironisch rüber.

  • Wim, der Ich- Erzähler dieses Roman ist ein "Obstkorb- Kind". So werden jene Kinder bezeichnet, die im fiktiven Ort "CobyCounty" geboren wurden, zu einer Zeit, in der der regierende Bürgermeister deren Müttern am Wochenbett mit einem prächtigen Obstkorb beglückwünschte. Eine Metapher für Sorglosigkeit und Wohlstand, denn CobyCounty ist solch ein Ort. Sauber, ordentlich, Touristenmagnet, Treffpunkt für Künstler, Filmproduzenten und Supermodels. Er könnte Pate stehen für klinische, austauschbare Werbespots, die mal für teures Parfum, mal für Smoothies und mal für Mundwässer werben. Dieser fiktive Ort könnte überall sein, ICH sehe durchaus Parallelen zur amerikanischen Westküste.


    Wim ist jung, erfolgreich, gutaussehend, liiert mit der ebenso jungen, erfolreichen, gutaussehenden Carla. Sein Leben erfolgt klinisch steril ohne Höhen und Tiefen, emotionslos und ideenlos. Wim scheint nie bei sich zu sein, er betrachtet sich ständig aus der Vogelperspektive. Mit seiner Freundin einigt er sich auf anfänglichen "ruppigen" Sex, ironisch gemeint gegen die spießigen Vorabendserien, die ihre Eltern immer mit ihnen angesehen haben, um dann ein wenig später einzusehen, dass diese Ironie ja auch nur ironisch gemeint ist und damit nichtig. Überhaupt zieht sich diese (Selbst) Ironie der Protagonisten wie ein roter Faden durch das gesamte Buch. Sie scheint wie ein Schutzschild vor Emotion, die das einig Bedrohliche in dieser Plastikwelt zu sein scheint. Carla beendet diese "Beziehung" eines Tages per SMS, was auch nicht weiter stört.


    Der Autor schreibt betont kühl und sachlich, der Vergleich mit BBE wurde hier schon genannt, den möchte ich so aber nicht bestätigen. Das Buch ist gut zu lesen, der Schreibstil ist außerordentlich und auch mal anders, aber an "Unter Null" reicht es nicht heran. Das gibts nur einmal.


    Ich gebe neun Punkte! :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Ein sonderbarer Roman von dem ich nicht weiss, was erwähnenswert ist, die relativ einfache Handlung oder die Aura die von diesen knapp 190 Seiten ausgeht? Also die Handlung kann es definitiv nicht sein, denn die ist banal und wird die Literatur gewiss nicht revolutionieren. Als muss es an der Ausstrahlung des Textes liegen weshalb dieses Büchlein von so vielen Lesern und dem Feuilleton beinahe hymnisch gefeiert wird. Es ist unbestreitbar, dass vom Text und dem Erzählstil ein gewisse Faszination ausgeht die einem an die Geschichte bindet. Als Leser schwebt von Beginn weg auf einer rosaroten Wolke der Leichtigkeit über das erfundene Coby County und nimmt am an und für sich belanglosen Leben der Hauptfiguren teil. Eine Erzählung aus dem unbeschwerten Künstlermilieu bei der Alles und Nichts wichtig ist. Selbst am Punkt an dem die Geschichte eine neue Richtung einschlägt, kommt nur kurz Spannung auf und man versinkt wieder in der lapidaren Bedeutungslosigkeit der Ereignisse. Eine Welt in der alle Ecken und Kanten mit Wattebäuschen gepolstert sind damit man sich ja nicht wehtut. Die Figuren sind gut situiert, leben in geordneten Verhältnissen sind aber uninteressant und in ihrer Ziellosigkeit langweilig.


    Ich will den schriftstellerischen Wert nicht in Abrede stellen, aber für mich war dieser Roman nicht das was ich mir von den guten Bewertungen versprochen habe. Er weckte keine Emotionen aber wenigstens liess sich die vor sich hin plätschernde Seifenblasengeschichte mühelos lesen. Mit etwas gutem Willen, kann man daraus auch Gesellschaftskritik herauslesen oder eine Parabel auf den intellektuellen Teil der Unterhaltungsindustrie oder sonst irgendwas Existenzielles oder Tiefschürfendes. Wertung: 6 Eulenpunkte


    Edit: Gelesen habe ich die verlinkte Taschenbuchausgabe