Rosamond Smith (d. i. J. C. Oates): Lockender Engel

  • Rosamond Smith (d. i. J. C. Oates): Lockender Engel
    dtv 2001. 398 Seiten
    ISBN-13: 978-3423204132
    Originaltitel: Double Delight
    Übersetzerin: Maria Poelchau


    Verlagstext
    Er ist ein wohlhabender Mann, ein angesehener Bürger und Familienvater: Terence Greene hat alles erreicht im Leben. Als er zum Geschworenen berufen wird, ist es für ihn keine Frage, daß er seine Verpflichtung nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen wird. Und als er Ava-Rose zum erstenmal sieht - ein zartes junges Mädchen, das gegen einen Mann aussagt, der sie brutal überfallen und geschlagen hat -, ist ihm klar, wo die Wahrheit liegen muß. Er setzt eine Verurteilung des Angreifers durch. Der Gedanke an Ava-Rose läßt ihn nicht mehr los, bis er sie endlich in dem heruntergekommenen Viertel, in dem sie mit ihrer Familie lebt, aufsucht. Die Faszination, die von ihr ausgeht, reißt ihn immer tiefer in einen Strudel der sexuellen Obsession hinein - mit fatalen Folgen.


    Inhalt
    Ein Mann in Terence Greenes Position würde doch keinen Ruf als Geschworener (Laienrichter) in einem Gerichtsverfahren annehmen, meinte seine Frau Phyllis, als sie von der Einladung erfuhr. Terence sei für dieses Ehrenamt sowieso nicht durchschnittlich genug und werde sicher von der Verteidigung abgelehnt. Was Terence genau arbeitet in seiner wichtigen Position in einer Stiftung wissen wir noch nicht. Terence jedenfalls ist die neue Verpflichtung ein willkommener Grund, um vor vermüllten Kellern und unerfreulichen Diskussionen mit seiner pubertierenden Tochter zu flüchten. Joyce Carol Oates nutzt als Psychothriller-Autorin Rosamond Smith ihre ausgeprägte Freude am Detail, um ihren Lesern zunächst den Keller der Greenes als Friedhof längst vergangener Hobbies zu beschreiben und daran Terences Entscheidungsschwäche zu demonstrieren. Terence scheint bisher ein sorgenfreies Leben geführt zu haben; denn Phyllis hat genug Geld mit in die Ehe gebracht, um der Familie und ihren drei Kindern einen angenehmeren Lebensstandard zu ermöglichen, als Terence durch eigene Arbeit je erreichen würde. Phyllis, ewig unzufrieden, dauergewellt und mit festgewachsenem Lächeln, füllt hier lebensecht das Klischee der Amerikanerin aus bürgerlichem Haus aus. Doch die Idylle wankt, seit die Kinder größer sind und Terence sich allmählich eingestehen muss, dass er Anforderungen am liebsten ausweicht. Die Autorin kratzt noch tiefer an der bürgerlichen Idylle der Greenes, indem sie in kursiver Schrift giftige Einflüsterungen einschiebt, die Terence's eigene Selbstzweifel und Zweifel der Leser an Terence streuen. Wer ist dieser Terence überhaupt? Nie hat er bisher über seine Herkunft erzählt. Was ist Realität und was hat Terence evtl. nur geträumt?


    Der Fall, über den Terence als einer von 14 Geschworenen zu entscheiden hat, scheint so eindeutig wie unbedeutend zu sein. Es geht um eine Gewalttat zu Ungunsten von Ava-Rose Renfrew. Die Hauptbelastungszeugin der Anklage schwebt wie ein wandelnder Kunstgewerbeladen mit erfreulicher Nutzfläche für Schmückstücke herein. Terence ist sofort hingerissen von Ava - und nicht der einzige Geschworene mit der spontanen Überzeugung, dass jemand, der einer so zarten Person Gewalt angetan haben soll, schuldig sein muss. Einziger Schönheitsfehler scheint nur, dass weitere Zeugenaussagen ausschließlich von Avas Verwandten stammen und auffällig routiniert klingen. Terence, der bisher so unentschlossen durch sein Leben schlingerte, verfällt der Frau augenblicklich und handelt sich in ihrem Windschatten einen schwer zu durchschauenden Familien-Clan mit mehreren Kindern, einem Haus mit leckendem Dach und dem größenwahnsinnigen Vorsatz ein, das städtische Busunternehmen zu verklagen. Terence unterstützt, Terence zahlt, zur Not auch den neuen Papageienkäfig, und verheddert sich alsbald in ein kompliziertes Lügengeflecht, um seine Ausgaben für Ava zu rechtfertigen. Da das florierende Unternehmen Renfrew bereits unauffällig Tote hinterlassen hat, stellt sich die Frage, ob der dämliche Terence lange genug überleben wird, um zu merken, dass er von den Renfrews ausgenommen wird wie eine Weihnachtsgans.


    Fazit
    Hinreißend, welch bissige Seite "Rosamond Smith" mit den Mitteln des Psychothrillers hier auslebt und mit feinen Details ausspinnt.


    9 von 10 Punkten