Der Müller von Sanssouci - Brandenburger Geschichten

  • Der Müller von Sanssouci


    Über viele Jahrzehnte befand sich in preußischen Schulbüchern eine Anekdote, die den Kindern nahe bringen sollte, welchen hohen Stellenwert Recht und Gerechtigkeit im preußischen Staatswesen einnähmen. Selbst der Souverän, der König von Preußen, würde sich dieser öffentlichen Gerichtsbarkeit unterordnen, so die Legende.


    Friedrich II., genannt der „Große“, hatte in Potsdam ein neues Sommerschloss errichten lassen. Dorthin wollte er sich zurückziehen, wenn er von den anstrengenden Regierungsgeschäften entspannen und in den ausgedehnten Parkanlagen von „Sanssouci“ sorgenfreie Erholung genießen wollte. Eines schmälerte diese Entspannung jedoch beträchtlich. In der Nähe des Schlosses stand die Bockwindmühle des Müllers Grävenitz, die durch das pausenlose Geklapper der Windmühlenflügel eine beträchtliche Geräuschbelästigung darstellte. Friedrich ließ Grävenitz ausrichten, dass er seine Mühle an einem anderen Ort aufrichten solle, die Kosten dafür werde er übernehmen. Der Müller stellte sich stur und so ließ Friedrich ihn zu sich kommen. Bei dieser Audienz soll sich folgender Wortwechsel zugetragen haben:


    „Weiß er denn nicht, dass ich Ihm kraft meiner königlichen Macht die Mühle wegnehmen kann, ohne einen Groschen dafür zu bezahlen?“, drohte Friedrich dem Müller, der daraufhin ganz unerschrocken antwortete:


    „Gewiss, das könnten Euer Majestät wohl tun, wenn es – mit Verlaub gesagt – nicht das Kammergericht in Berlin gäbe“


    Die forsche, beherzte Art des Müllers soll dem König so imponiert haben, dass er Grävenitz seine Mühle ließ und fortan das Klappern duldsam ertrug.


    Die Legende erschien erstmalig 1787 in der anonym herausgegebenen Friedrich-Biografie „Vie de Frederic“ und wurde seitdem immer wieder neu verarbeitet. In jüngerer Vergangenheit zum Beispiel in einem Schauspiel von Peter Hacks, in dem die Legende als Propagandacoup des Alten Fritzen dargestellt wird oder in einer wiederkehrend erscheinenden kabarettistischen Glosse des RBB, in der sich Müller und König am Zaun treffen und über aktuelle politische Entwicklungen diskutieren.


    Aber was steckt tatsächlich hinter dieser Geschichte? In Wahrheit hat sich die Begebenheit um den Müller nämlich ganz anders zugetragen. Johann Wilhelm Grävenitz hatte die Genehmigung zum Betrieb einer Mühle zehn Jahre vor dem Bau der Schlossanlagen erhalten. Er soll ein streitsüchtiger, unleidlicher Mensch gewesen sein, der die Bauern um ihr Mehl betrog und dem preußischen König mit ständigen Bittschriften in den Ohren lag. Noch während des Baues der Schlossanlagen beklagte er sich, dass die Gebäude den Wind von seiner Mühle abhalten würden. Im Gegensatz zu der Version in der Legende war es Grävenitz, der deshalb verlangte, einen Ersatzbau vom König finanziert zu bekommen. Friedrich fühlte sich durch die Mühle keineswegs belästigt, sondern äußerte, dass sie „dem Schlosse eine Zierde sey“. Es gab auch keine Auseinandersetzung mit Grävenitz, denn anstandslos bewilligte Friedrich dem Müller die Kosten für eine neue Mühle, die dieser daraufhin in Babelsberg errichtete und betrieb. Grävenitz war somit im Besitz zweier Mühlen. Es gelang ihm sogar die Mühle am Schloss mit hohem Gewinn zu verkaufen.


    Möglicherweise floss in die Legende um die Grävenitzsche Mühle noch eine andere überlieferte Begebenheit ein, bei der tatsächlich das Kammergericht in Berlin bemüht wurde. Hierbei ging es um eine Wassermühle in Pommerzig, einem heute in Polen gelegenen Ort in der Neumark. Der Pächter der Mühle, Christian Arnold, war mit dem Pachtzins in Rückstand geraten und wurde daraufhin von seinem Zinsherrn Graf von Schmettau enteignet. Die Mühle ließ der Graf versteigern. Arnold strengte eine Klage gegen den Verkauf seiner Mühle an, mit der Begründung, neu angelegte Karpfenteiche hätten seiner Mühle das Wasser entzogen, wodurch er ohne eigenes Verschulden nicht mehr in der Lage gewesen wäre, den Pachtzins zu begleichen. Das Verfahren am örtlichen Gericht wies jedoch nach, dass Arnold durch Misswirtschaft schuldhaft in die finanziellen Schwierigkeiten geraten war.

    Daraufhin wandte sich Arnold mit einem Beschwerdebrief 1767 an Friedrich den Großen. Dieser hatte offenbar eine Schwäche für seine Müller und erwirkte, dass der Fall in einer Revision vor dem Kammergericht in Berlin neu verhandelt wurde. Aber auch hier bekam der Müller Unrecht. Dieses Urteil erboste den König, derart, dass er für einen handfesten Justizskandal sorgte. Friedrich setzte sich mit einer Verfügung nicht nur über die Urteile der Gerichte hinweg, er ließ darüber hinaus auch die Richter zu einem Jahr Festungshaft verurteilen und in der Zitadelle Spandau einkerkern. Der Justizirrtum wurde später von Friedrichs Neffen und Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., öffentlich eingestanden und revidiert.


    Beide Fälle zeigen aber, wie in der Legende historische Fakten in das Gegenteil verkehrt wurden. Obwohl die Achtung Friedrichs des Großen vor der preußischen Gerichtsbarkeit eine erwiesene Tatsache ist, belegt gerade die Geschichte um die Arnoldsche Mühle, dass auch er es damit nicht immer so genau genommen hatte. Die tatsächliche Begebenheit weist paradoxerweise genau das Gegenteil von dem nach, was uns die Legende weismachen will.


    Mit den nachfolgenden Pächtern der Windmühle am Weinbergschloss pflegten die preußischen Könige ein harmonisches Verhältnis. Friedrich Wilhelm II. ließ 1787 die alte Bockwindmühle abtragen und errichtete stattdessen die heute zu besichtigende holländische Galeriewindmühle, die 1840 nach Plänen des großen Gartenbauarchitekten Peter Joseph Lenné auch in die Parkanlagen von Sanssouci integriert wurde. Ein Besuch der Mühle ist für jeden Besucher der Potsdamer Schloss- und Parkanlagen ein lohnendes Ziel. Natürlich wird sie ihm auch dort erzählt: Die Legende um den Alten Fritz und den Müller von Sanssouci.

  • Die Zeit vergeht so schnell. Wieder sind zwei Monate um und im November soll die neue Ausgabe des "Ohrwurms" produziert werden. Ich habe mir diesmal eine alte Legende und ihre historischen Hintergründe herausgesucht. Ich möchte die interessierten Eulen wieder bitten, den Text auf inhaltliche und sprachliche Fehler durchzuschauen. Ich freue mich über jedes Feedback. :wave


    Wer noch nicht Bescheid weiß, hier die Hintergründe zu den Brandenburger Geschichten

  • Eine generelle Frage: klappern Bockwindmühlen? Ist mit der klappernden Mühle am rauschenden Bach evtl. eine Wassermühle gemeint?


    2. Absatz, Zeile 1 sich entspannen, "entspannen" ohne "sich" wirkt auf mich wie ein Amerikanismus.


    2. Absatz, Zeile 5 errichten, bauen statt aufbauen.

  • Danke für die Tipps, Buchdoktor :knuddel1


    Also die Legende habe ich mir nicht ausgedacht, also werden Windmühlen wohl auch klappern, besonders die alten Bauweisen hatten wohl noch bewegliche Flügel, die im Wind klapperten. Wassermühlen am rauschenden Bach klappern natürlich auch ;-)

  • Der Bericht gefällt mir.
    Bei der ersten wörtlichen Rede gehört "er" mE groß geschrieben (Ihm hast du ja ebenfalls groß geschrieben).
    Die Geschichte als solche wurde mir irgendwann einmal in der Schule erzählt, in einem Schulbuch tauchte sie nicht auf - oder ich habs vergessen. :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)