Heinrich Steinfest - Das himmlische Kind

  • Kurzbeschreibung:


    „Komm, Elias, setz dich dorthin. Ich werde versuchen, ein Feuer zu machen, dann können wir unsere Sachen trocknen, und es wird warm.“ „Kannst du das? Feuer machen?“ „Ja“, sagte Miriam. Es war ein gutes „Ja“, keine Lüge, sondern Optimismus, was mitunter das Gleiche ist, aber nicht sein muss. In diesem Moment jedenfalls nicht. Zwei kleine Halbwaisen, durchnässt und verfroren, auf der Suche nach Rettung: In einem abgeschiedenen, winterlichen Wald finden sie eine verlassene Hütte. Es mangelt an allem – kein Essen, kein Strom, keine Heizung, nur ein alter Ofen in der Ecke. Doch die 12-jährige Miriam weiß mit traumwandlerischer Sicherheit, was zu tun ist. Und als Elias krank wird, beginnt sie ihm eine ganz besondere Geschichte zu erzählen. Denn eines ist gewiss: Man kann nicht sterben, wenn man wissen möchte, wie es weitergeht...


    Meine Meinung:


    Miriams und Elias´ Mutter ist nach der Trennung von ihrem Mann schwer depressiv und will einen erweiterten Suizid mit den beiden Kleinen begehen, indem sie mit dem Auto in ein Gewässer fährt. Miriam rettet sich und ihren Bruder, und die beiden sehen sich unversehens in einem tiefen Wald einer Hänsel und Gretel-Situation gegenüber. Sie finden eine Hütte und dank Miriams Einfallsreichtum haben sie auch ein wenig zu essen und zu trinken sowie einen warmen Unterschlupf. Die philosophisch veranlagte Miriam erzählt Elias eine Geschichte, und als dieser krank wird, will er unbedingt wissen, wie sich die Dinge weiterentwickeln. „Denn man kann nicht sterben, wenn man wissen möchte, wie es weitergeht."


    Steinfests Romane sind immer ein Erlebnis, dank ihrer Sprachgewalt und ihren skurrilen Einschlägen. „Das himmlische Kind“ nun fällt aus der Reihe der bisherigen belletristischen Kriminalromane, vor allem inhaltlich, aber auch stilistisch. Die Sprache ist diesmal deutlich reduzierter, da gibt es kaum noch auf den ersten Blick abwegige, bei genauerem Hinsehen punktgenaue Vergleiche und Sprachbilder. Was nicht heißen soll, dass dieser Roman sprachlich reizlos wäre, er ist nur anders als ich es von Steinfest gewohnt bin.


    Auch die Skurrilität ist deutlich zurückgeschraubt, bzw. kaum vorhanden. Dafür bekommt der Leser eine Art modernes Märchen und ein Hohelied auf die Macht von Geschichten, fein und sorgsam erzählt, bedächtig vorgetragen und fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.
    Ich wollte unbedingt wissen, wie es mit den beiden Kindern weitergeht und auch, wie Miriam ihre für Elias erdachte Geschichte weiterspinnt.


    Trotz all dieser positiven Aspekte wird dieser Roman polarisieren, vor allem aufgrund der tragenden Figur Miriam, die mit ihren 12 Jahren einfach zu gewitzt, einfallsreich und vor allem philosophisch daherkommt. Mich störte es nicht wirklich, aber ich denke, manche Leser wird dies abschrecken.


    Fazit: Steinfest einmal von einer ganz anderen Seite, reduziert auf das geradlinige Erzählen einer Geschichte wie ein Märchen, in einer prägnanten Sprache und vielen Dialogen.


    8 Punkte

  • Wer das Ende erfahren will, darf nicht vorher sterben


    Die zwölf Jahre alte Miriam und ihr sieben Jahre jüngerer Bruder Elias werden von der Mutter ins Auto geladen, um angeblich aufs Land zu fahren. Aber Miriam ist skeptisch, vor allem, als die ohnehin merkwürdig gestimmte Mama unterwegs Coca Cola reicht, was sonst nur sehr ausnahmsweise geschieht. Die Tochter trinkt die Limonade nicht und hindert auch den Bruder heimlich daran. Ihre vagen Befürchtungen bestätigen sich: Die depressive Mutter fährt das Auto in einen See, will also sich und die Kinder ertränken, aber Miriam und Elias, die nicht vom Schlafmittel im Getränk narkotisiert sind, können sich retten. Sie gelangen in einen Wald und entdecken eine verlassene Hütte. Das Mädchen entwickelt dort, tagelang dem Wintereinbruch ausgesetzt, ungeahnte Survival-Fähigkeiten, während sie dem kranken kleinen Bruder mit einer metaphernreichen Einsame-Insel-Geschichte über die schlimme Zeit hilft.


    Wenn man die seltsame, seitenlange Auseinandersetzung mit einem Plastikspielzeug namens "Aquapet" hinter sich gebracht hat, entwickelt "Das himmlische Kind" durchaus seine Qualitäten, obwohl Steinfests antiquarisch gehaltene Erzählsprache und die direkten Verweise auf die Märchenvorlage deutliche Bremswirkung entfalten. Und auch die Vorgriffe können nicht daran hindern, dass man erfahren möchte, wie es mit Miriam und Elias genau ausgeht; sogar die Nebengeschichte um die elternlosen "Spinks" hat ihre spannenden Momente. Den Besprechungen im Feuilleton und andernorts habe ich entnommen, dass es im Roman um die Kraft des Erzählens geht, kann dem Buch eben diese Kraft jedoch nicht attestieren. Steinfest gesteht seiner Hauptfigur, aus deren Perspektive erzählt wird, nicht jene Eigenständigkeit zu, die sie glaubhaft gestalten würde, weshalb sich Miriam wie ein Heinrich Steinfest gebärdet, der eine Zwölfjährige zu sein versucht. Dass die Protagonistin jedoch ihre Kraft aus einem sehr persönlichen Glauben bezieht, der mit Religiosität nichts zu tun hat, bringt der Autor ganz trefflich auf den Punkt.


    "Das himmlische Kind" hinterließ mich unentschlossen. Sicherlich hätte man dieses literarische Experiment deutlich schlechter umsetzen können, aber es bleibt das Gefühl, ein mäßig interessantes Buch gelesen zu haben, das an einer Idee entlanggeschrieben wurde, die eine Kurzgeschichte oder Novelle getragen hätte, aber bei einem 320-Seiten-Roman nur noch homöopathische Wirkung zeigt.