Didier Decoin - Der Tod der Kitty Genovese

  • Didier Decoin: Der Tod der Kitty Genovese
    DTV. 2011. 160 Seiten
    ISBN-13: 978-3716026601, 19,90 €
    Originaltitel: Est-ce ainsi que les femmes meurent?
    Übersetzt von: Bettina Bach


    Zum Buch:


    »Die meisterhafte Rekonstruktion eines Verbrechens – Truman Capotes Kaltblütig ebenbürtig« Le Point »Didier Decoins herausragendes Buch erzählt eine wahre Begebenheit. Trotzdem handelt es sich um einen Roman, dessen besondere Stärke nicht auf die dramatischen Vorgänge, von denen er berichtet, zurückzuführen ist, sondern auf die außerordentliche literarische Qualität, die ihn von der ersten bis zur letzten Seite auszeichnet.« Le Magazine Littéraire Queens,


    13. März 1964: Um 3.15 Uhr stellt die 28-jährige Kitty Genovese, die von ihrer Schicht als Kellnerin nach Hause kommt, ihren Wagen in der Nähe ihres Apartments ab. Als sie aus dem Auto steigt, nähert sich ihr ein Mann. Dieser Mann ist Winston Moseley, der mit seiner Frau und zwei Kindern ebenfalls in Queens lebt. Winston Moseley arbeitet als Bürokraft, hat -keine Schulden, ist nicht vorbestraft und bisher nie auffällig geworden. Trotzdem erregt etwas an der Art, wie er sich Kitty Genovese nähert, deren Misstrauen. Sie versucht, eine Notrufsäule zu erreichen, wird jedoch von Moseley eingeholt und auf offener Straße niedergestochen. Über einen Zeitraum von einer halben Stunde wird Kitty Genovese von Winston Moseley vergewaltigt, schwer verletzt und am Ende ermordet – während mindestens 38 Zeugen ihre Schreie hören und aus erleuchteten Fenstern heraus das Geschehen beobachten. Die anhaltende Untätigkeit von Zeugen nennt man seit Kitty Genoveses Ermordung »Bystander-Effekt« oder auch »Genovese-Syndrom«.


    Zum Autor:


    Didier Decoin, geboren 1945, wurde 1977 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Neben Romanen und Essays schrieb er die Drehbücher für Verfilmungen von Jakob der Lügner, Der Graf von Monte Christo und Les Misérables. 1995 wurde Decoin Sekretär der Académie Goncourt und 2007 Präsident der Écrivains de Marine.Bettina Bach, Jahrgang 1965, übersetzt aus dem Französischen, Englischen und Nieder-ländischen. Zu den von ihr ins Deutsche übertragenen Autoren gehören neben Didier Decoin u. a. Jan Siebelink, Mary Hooper sowie Anne Plichota und Cendrine Wolf. Bettina Bach lebt in Jena.


    Fazit:


    Das Ungeheuerliche geschieht: Eine Frau wird gequält, missbraucht und getötet. Mehr oder weniger vor den Augen etlicher Anwohner. Keiner hilft. Kitty Genovese hätte nicht sterben müssen. Ein Anruf bei der Polizei hätte genügt. Die Tragik erschüttert zutiefst.


    Das Buch ist ein Mahnmal. Die eindringliche Warnung davor, sich vor Verantwortung zu drücken. Einen Teil der Geschichte lässt uns der Autor aus den Augen eines Mannes erfahren, der zum Zeitpunkt des Mordes nicht zu Hause war. Moralisch sauber nimmt er großen Anteil an der Tragödie. Doch als Leser fragt man sich, ob er nicht ebenso zu den unbeteiligten Zuschauern gehört hätte, wäre es am Mordabend in seiner Wohnung gewesen. Und die Frage muss weiter gehen. Was hätte man selbst getan? Ein Buch das aufrüttelt, das unangenehm sticht und gleichzeitig literarischen Wert besitzt. Meine liebste Textstelle möchte ich zitieren.


    S. 72 Wie der Strahl eines Vorführgerätes drangen die Scheinwerfer des Corvair durch den Nieselregen über der Bronx-Whitestone Bridge, und er sah blasse, im Rhythmus des vernarbten Asphalts auf und ab hüpfende, von dunklen Augen punktierte Gesichter vorbeiziehen, Prozessionsraupen auf dem Weg zu den ungewissen Metamorphosen eines Arbeitstages.


    Ich gebe 9 von 10 Punkten.

  • Das hört sich sehr interessant an. Herzlichen Dank für diese Buchvorstellung. :wave


    Wird auch der schuldig der wegschaut, der nicht hilft? Oder überwiegt hier der Selbstschutz? Zivilcourage um jeden Preis?


    Das Buch wird gleich auf meiner Wunschliste landen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Zivilcourage um jeden Preis?


    Eben nicht! Das war das grotesk Grauenhafte: ein läppischer Anruf bei der Polizei hätte genügt! Keiner der "Zuschauer" hätte sich in Gefahr bringen müssen.