lost in gentrification - Sebastian Lehmann/Volker Surmann (Hrsg.)

  • In diesem Buch sind Texte mehr oder weniger bekannter Autoren zum Thema Gentrifizierung versammelt. Und alles, was jemals zu diesem Thema gesagt wurde, kommt in einem dieser Texte irgendwie auch vor.


    Die reichen von derb polemisierender Architekturkritik über lustige Geschichtchen von verzogenen Yoga-Blagen und lärmempfindlichen Medienmenschen und dem obligatorischen, wenn auch ironisch verbrämten Schwaben-Bashing (Der Sebastian aus Stuttgart) hin zu nachdenklichen Essays zum Thema. Das ist kurzweilig zu lesen, manchmal lustig, manchmal öde, sprachlich durchaus ansprechend und auch der eine oder andere Gedanke war mir neu.
    Aber im Großen und Ganzen ist dieses Buch, wie auch der Untertitel verrät, eine Sammlung von Großstadtgeschichten, die zwar alle irgendwie Gentrifizierung zum Thema haben, die aber meist nur recht oberflächliche Beobachtungen in nette Geschichten verpacken.
    Nun behauptet dieses Buch auch nicht, eine fundierte Analyse zum Thema zu liefern, trotzdem fehlen mir originelle Gedanken.
    Zum Beispiel erwähnen mehrere Autoren, dass sie mittlerweile zu alt wären für eine Altbauwohnung ohne Bad, dafür mit Ofenheizung. Das mag ja sein, bedeutet aber nicht, dass es nicht doch noch viele Menschen gibt, die für preiswertes Wohnen gerne in Kauf nehmen, Kohlen zu schleppen und es ist auch kein Argument dafür, ganze Straßenzüge luxuszusanieren.


    Bis auf wenige Ausnahmen sind alle der Meinung, der erste Schritt, die Vereinnahmung bestimmter Viertel durch Künstler und Kulturschaffende, sei eigentlich noch ganz in Ordnung. Denn die Ureinwohner sind ja doch nur Alkis, die in den Flur kotzen, alte Nazis, die sich noch über lange Haare aufregen oder Hartzis, die ihre Kinder vernachlässigen. Das sagt keiner so explizit, aber dem „Lumpenproletariat“ weint keiner ernsthaft eine Träne hinterher. Problematisch scheint das Thema erst zu werden, wenn die zweite Phase der Vertreibung einsetzt, die des Kulturprekariats. Aber das liegt wohl in der Natur der Sache, wird das Problem doch ausschließlich aus Sicht der Gentrifizierer betrachtet, wenn auch solcher der ersten Stunde. Die sozial Schwachen, die da vertrieben werden, schreiben nun mal selten Texte.


    Was alle Autoren eint, ist die Ansicht, dass der Prozess der Gentrifizierung eigentlich völlig zwangsläufig ist. Offenbar ist unser Lebensraum auf Gedeih und Verderb den Kräften des Marktes ausgeliefert, Politik scheint nicht zu existieren, und alle finden das normal. Im ganzen Buch gibt es nicht eine Idee, was getan werden kann, keinerlei Querdenken, „lost in gentrification“ eben. So war das Buch ganz nett zu lesen, weitergebracht hat es mich aber nicht.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)