Französischer Originaltitel: Rien ne s'oppose à la nuit
Klappentext
»Du bist nicht so wie andere Mütter« – Von klein auf weiß Delphine, dass ihre Mutter talentierter, schöner, unkonventioneller ist als andere. Wie wenig diese jedoch dem Leben gewachsen ist, erkennt die Tochter erst als Erwachsene. Warum hat Lucile sich für den Freitod entschieden? Diese Frage treibt Delphine seit dem Tag um, an dem sie ihre Mutter tot aufgefunden hat. Sie trägt Erinnerungsstücke zusammen, spricht mit den Geschwistern ihrer Mutter, mit alten Freunden und Bekannten der Familie. Es entsteht das Porträt einer widersprüchlichen und geheimnisvollen Frau, die ihr ganzes Leben auf der Suche war – nach Liebe, Glück und nicht zuletzt nach sich selbst. Gleichzeitig zeichnet Delphine das lebendige Bild einer französischen Großfamilie im Paris der 50er und 60er Jahre. Erinnerung um Erinnerung lernt sie ihre Mutter und schließlich auch sich selbst zu verstehen.
Die Autorin
Delphine de Vigan wurde 1966 in Paris geboren, wo sie heute noch mit ihren zwei Kindern lebt. Sie arbeitet tagsüber für ein soziologisches Forschungsinstitut und schreibt nachts, wenn alle schlafen, ihre Romane. Ihr dritter Roman, "No & ich", wurde in 11 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet (u. a. 2008 mit dem Prix des Libraires und dem Prix Rotary International). Auch "Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin" war für den Prix Goncourt nominiert.
Die Autorin Delphine de Vigan, bekannt durch z.B. "No und ich", erzählt in diesem Buch von ihrer Mutter. Lucile wuchs als 3. von insgesamt 9 Geschwistern auf. Später kam noch ein angenommener Junge dazu, der ihr Leben einige Jahre teilte. Geboren wurde Lucile 1946, gestorben ist sie durch eigene Hand 2008.
Die kinderreiche Familie ist in vieler Hinsicht unkonventionell und anders. Nicht nur sind die Kinder sehr schön (Lucile ist eine Weile Kinderfotomodell und auch ihrer Geschwister hatten ähnliche kleine Jobs), sie sind auch Lebenskünstler. Delphine de Vigan durchleuchtet, soweit sie kann, die Kindheit ihrer Mutter, beschreibt ihre Großeltern, woher sie kamen und wie sie sich kennenlernten. Lucile ist immer aber schon ein stilles Kind, sie mag nicht lernen und ihrer Schönheit ist ihr unangenehm, da sie dadurch auffällt. Sie wäre lieber unsichtbar. Bei so vielen Geschwistern gibt es natürlich kleine Grabenkämpfe, aber auch viel geschwisterlicher Zusammenhalt. Eine ganze Weile beschreibt die Autorin diesen lauten und auch lustigen Haufen Kinder mit ihren unkonventionellen Eltern und ihrem bohemienartigen Leben. Mittendrin ihre etwas schwermütige Mutter, die sich immer etwas abhebt, auch wenn sie das gar nicht möchte.
Aber schon früh streut die Autorin kleine störende Krumen in ihre Erzählung, die im späteren Gesamtbild einen merkwürdigen Eindruck hinterlassen und ich nicht umhin kam, mich zu fragen inwieweit diese Dinge Auswirkungen auf Luciles geistiger Gesundheit hatten. Auch die Autorin, die ja auf der Spur einer Erklärung ist für den Selbstmord ihrer Mutter, merkt diese Störungen. Aber zu meinem größten Erstaunen hinterfragt sie die meisten nicht besonder stark. Fragmentarisch ist oft ihre Erzählung, Anekdoten, die sie von ihren Onkeln und Tanten erzählt bekommen hat, reiht sie Abschnitt an Abschnitt aneinander. So entsteht über weite Teile keine flüssige Geschichte, mehr eine episodenhafte Erzählung. Mosaiksteinchen an Mosaiksteinchen reiht sich aneinander, aber am Ende muss man erkennen, das sich trotz allem kein Gesamtbild, keine Erklärung abzeichnet.
Mich wunderte, das die Autorin manche Dinge nicht weiter verfolgte. So ließ sie z.B. bewusst völlig aussen vor, wie Lucile als Ehefrau oder Geliebte war. Sie hatte einige Männer in ihrem Leben, aber mit keinem sprach Delphine de Vigan für ihre Buchrecherche. Sie meinte, es ginge sie nichts an, wie ihre Mutter in dieser Beziehung war. Ich denke, das das ein großer Aspekt im Leben ihrer Mutter war, aber ihr Augenmerk liegt auf der Familie, aus der Lucile kam. Ganz klar aber zeigt sie, das eine Famllie, ob groß oder klein, Geborgenheit und Halt gibt, aber ebenso das grausame Werkzeug sein kann, das einen Menschen seelisch zerstören kann.
Fakt ist, das Lucile eine bipolare Erkrankung hatte und jahrelang in einer Klinik lebte. Später war sie unter medikamentöser Behandlung zu einem normalen Leben fähig. Mit 60 Jahren erkrankte sie an Krebs und nachdem sie jahrelang mit sich und ihrem Leben kämpfte, fehlte ihr dazu dann einfach die Kraft. Delphine de Vigan ist ein bewegendes Buch über ihre Mutter gelungen, das sehr persönlich ist und deswegen alles andere als objektiv. Ich hatte bei manchen Dingen das Gefühl, das sie gewisse Dinge, die zu sehr am Fundament ihrer Familie oder andere, noch lebender Familienmitglieder rütteln würde, etwas aussen vor ließ. Im Grunde ist die Autorin nicht auf der Suche, warum ihre Mutter so war oder wurde, wie sie war, sondern sie fragt sich, ob sie das alles hätte kommen sehen müssen. Sie fühlt sich schuldig, das sie trotz aller Liebe zu ihr ihr doch nicht wirklich nahe stand, sie nicht verstand, manchmal genervt war von ihr, sie kaum berühren konnte, das sie sich lange eine andere Art Mutter gewünscht hat. In diesem sehr eindringlichen, persönlichen Buch verarbeitet sie ihre Trauer um ihren Tod und vielleicht auch um verpasste Gelegenheiten.
Der Titel "Das Lächeln meiner Mutter" passt nicht wirklich, dem Lächeln Luciles gilt keinerlei tiefere Betrachtung. Der französiche Originaltitel Rien ne s'oppose à la nuit (Nichts steht der Nacht gegenüber), so erklärt de Vigan in ihrer Danksagung, stammt aus einem Chanson, der die Autorin während des Schreibens begleitet hat. Diese geheimnisvolle Titel passt wesentlich besser zu Lucile.