OT: Frau Hjelde 1917 (zus. mit Frau Waage unter dem Titel Splinten av trollspeilet erschienen)auf deutsch erstmals 1930, hrsg. von Justus Sandmeier und Sophie Angermann
Uni Hirsch war Schauspielerin am Osloer Stadttheater, dann heiratete sie den Ingenieur Kristian Hjelde. Nach der Geburt ihrer zwei Töchter gab sie ihren Beruf auf. Da ihr Mann nur mäßig gut verdiente, mußte sich die Familie einschränken, nach der Geburt eines dritten Kinds wurde ein Zimmer der Wohnung untervermietet. Inzwischen ist Uni etwa Mitte dreißig, vom Leben enttäuscht und zum viertenmal schwanger. Bei einem Spaziergang mit den Kindern trifft sie einen Jugendfreund
Tatsächlich ist er der ältere Bruder einer ihrer Schulfreundinnen, als Kinder haben sie sich eher flüchtig gekannt. Vegard Larsen kommt nach langen Auslandaufenthalten nach Norwegen zurück, um in der neuentstandenen Chemiefabrik in Oslo zu arbeiten. Er ist unverheiratet und ungebunden, ein moderner Mann. Zugleich ist er in der Vergangenheit verhaftet, seine Kinder - und Jugendzeit ist ihm immer noch sehr nah, ebenso wie sein alter Traum, Maler werden zu wollen. Aus einer Mischung aus Sentimentalität, Mitleid und Sympathie fühlt er sich zu Uni hingezogen.
Durch einen Zufall treffen sie sich Monate später im Urlaub. Uni spürt jetzt die Anziehungskraft Vegards und gerät in einen Konflikt aus Verliebtheit, Liebe zu ihren Kindern und dem gewohnten Trott einer langjährigen Ehe, die keineswegs lieblos, sondern eher farblos geworden ist.
Vor diesem Hintergrund spielt Undset in verschiedenen Variationen das Grundthema dieses Romans durch, die Pflichten der Frau als Mutter. Sie tut das sehr ernst, streng moralisch, sehr offen und für das Erscheinungsjahr 1917 modern. Ihre Beobachtungen sind genau und treffend. Es geht um Rollen und Aufgaben der Geschlechter, um die Bedeutung von Erotik zwischen Männern und Frauen. Darum, was man aufgeben muß, was man gewinnen kann, wenn man sich zusammen tut und was, wenn man allein bleibt. Ihr Standpunkt ist heute eher altmodisch, der Obertitel der Originalaugabe: Splitter des Zauberspiegels, nach dem Märchen Die Schneekönigin von H.C. Andersen, geben die Lösung schon vor.
Bewundern muß man Undset aber auch heute noch für ihre schlüssige Argumentation innerhalb des Geheges, in das sie sich gestellt hat. Hier fallen Sätze, deren moralische Weiterungen hin und wieder auch für heutige Verhältnisse nicht ganz leicht zu ertragen sind. Noch einige Jahre von ihrer Konversion zum Katholizismus entstanden, hat die Geschichte von Uni Grundzüge moralisch - christlicher Überzeugungen, die die Unterströmung des Ganzen bilden. Das rettet dieses Buch davor, in das Fahrwasser eines Mutterkults zu geraten, der säkularisiert einen neuen ideologischen Kern sucht und prompt im Faschismus landet.
Undsets Vorstellung von selbstloser Liebe hat das Wohlergehen der Kinder als höchstes Ziel, in dem Wissen, daß dieses Wohlergehen zeitgebunden - an die Kinderzeit - und damit flüchtig ist. Ihre Auffassung von Glück ist die eines Gefühls, das in winzige Einzelmomente zersplittert und, wenn man es bemerkt, schon verflogen ist.
Nur Verlorenes bleibt uns ewig, ist Unis Erkenntnis am Schluß, am Ende eines Tages, als ihr Mann zufrieden nach Hause kommt und sie eins ihrer Kinder liebevoll ins Bett bringt. Ergebenheit in die Verhältnisse, ein Schuß echter Resignation, zugleich Glück, die Belohnung in Form einer funktionierenden Familie.
Sprachlich modern gefaßt, denkerisch vorwiegend altmodisch, hat diese Geschichte wegen der Eigenwilligkeit der Autorin durchaus noch ihren Reiz.