Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como

  • Was ist Liebe?


    Während der ersten zehn, fünfzehn Seiten dachte ich: Großer Gott, was für eine manirierte, anstrengende Sprache, ein Bild jagt das nächste, eine Metapher die andere - da kippen Tränen aus den Augen, und die Sonne schreitet ihre Bahn ab. Kaum ein Ding oder Mensch tut in diesem Roman einfach das, was Dinge oder Menschen einfach tun. Die Seitenmenge, die ich dem Buch noch geben wollte, um mich zu überzeugen, mitzureißen, für sich einzunehmen, nahm stetig ab. Bis ich plötzlich verblüfft feststellte, dass ich das Buch vermisste, wenn ich es beiseitelegen musste, weil ich schlicht zu müde war, um weiterzulesen. Was keinesfalls an "Die Ordnung der Sterne über Como" lag, sondern beispielsweise daran, dass es auf vier Uhr morgens zuging.
    Nein, Monika Zeiner schreibt nicht und nichts "einfach". Ihre Erzählweise und ihr Stil markieren eine Singularität, fühlen sich einerseits anachronistisch an, andererseits so frisch, klug und im Wortsinn gefühlvoll wie kaum etwas anderes, das ich während der letzten Jahre gelesen habe.


    Tom Holler entstammt einer mittelständischen Spießerfamilie, die in der Provinz lebt - sein Vater handelt mit Rechen- und Schreibmaschinen, glaubt auch im iPad-Zeitalter noch daran, dass seine Produkte eine Renaissance erleben werden. Aus der Insolvenzmasse eines Kunden erwirbt der Vater einen Flügel, der für den jungen Tom Lebensmittel- und Rückzugspunkt wird. In den Neunzigern lebt der liebenswürdige, wortkarge Egozentriker Holler dann in Berlin, studiert an der Musikhochschule, lernt Marc Baldur kennen, der sein bester Freund wird, und Betty Morgenthal, die seine beste Freundin wird - und Marcs Geliebte, während Holler glaubt, in eine ältere, verheiratete Klavierschülerin verliebt zu sein. Es sind nicht nur Freundschaft und Liebe, was die drei verbindet, sondern auch die elementare Affinität zur Musik, die mehr als Liebe ist, eher eine musikalische Weltsicht. Aber alles endet, manches war vielleicht nie. Inzwischen, in der Jetztzeit, steht der erfolgreiche Jazzmusiker Holler vor den Scherben einer glücklosen Ehe, spielt mit Selbstmordgedanken, längst nicht zum ersten Mal. Doch er verschiebt die Selbsttötung und tritt eine Tour an, die seine Formation nach Italien führen wird, auch nach Neapel, wo Betty inzwischen lebt.


    Die Handlung dieses mehr als 600 Seiten starken Romans ließe sich fast verlustfrei in wenigen Sätzen wiedergeben, aber "Die Ordnung der Sterne über Como" ist kein handlungsbetontes Buch, sondern eine tiefgehende, sehr feingliedrige, überaus lesenswerte und lesbare Studie über das Wesen der Liebe. Der Roman seziert jenes lebensbestimmende Gefühl, ohne diesen Vorgang je klinisch, gar wissenschaftlich erscheinen zu lassen; gleichwohl gibt es seitenlange - zuweilen redlich amüsante - Referate eines Philosophieprofessors, dem Holler und Baldur zugetan sind. Nach und nach treten mehr Ähnlichkeiten zwischen der Musik, die sich zwar auch analysieren, gar mathematisch beschreiben lässt, die aber dennoch auf jeden anders wirkt, und der Liebe zutage, für die es ebenfalls Erklärungen zu geben scheint, die aber kaum jemand, der liebt, unterschreiben würde.


    Zugleich gelingt es Monika Zeiner, ihre Figuren mit einer Lebenssicht auszustatten, die auf den ersten Blick nicht zum Handlungsrahmen passt, gar ein seltsames Fünfzigerjahre-Nostalgiegefühl aufkommen lässt, letztlich aber Romanpersonal und -thema so trefflich umklammert, als gäbe es ohnehin keine Alternativen. "Die Ordnung der Sterne über Como" ist ein cleveres, feines, trauriges, nein, melancholisches, unfassbar schön geschriebenes Buch, das mit seiner leisen Härte berührt und durch seine Authentizität vereinnahmt. Zudem, aber keineswegs nebenbei entführt es in einen Kosmos, für den man als Leser schließlich eine Vertrautheit entwickelt, ohne notwendigerweise selbst Musiker zu sein, gar die Musik, von der die Rede ist, überhaupt zu mögen.

  • Zitat

    Original von Tom
    Was ist Liebe?
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    "Die Ordnung der Sterne über Como" ist ein cleveres, feines, trauriges, nein, melancholisches, unfassbar schön geschriebenes Buch, das mit seiner leisen Härte berührt und durch seine Authentizität vereinnahmt. ...


    Genau so ist es. Ein unfassbar schönes Buch.
    Lesen!

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin