Luftschlösser ist eine Sammlung von Kurztexten, Prosa und gereimt, das Ergebnis einer Ausschreibung zu diesem Thema von zwei Leiterinnen einer Schreib - und Lesewerkstatt. Erschienen ist die Sammlung in einem Kleinverlag. Veröffentlichungen dieser Art und Herkunft sind alles andere als selten. Wahrgenommen von einem breiteren Publikum werden sie kaum.
Äußert man sich zu derartigen Veröffentlichungen anders als im privaten Raum, findet man sich schon nach dem ersten Schritt auf einem Minenfeld wieder, das mehr aus Minen und nur wenig aus Feld besteht. Zunächst sind die zusammengestellten Texte heterogen, es gibt Erzählungen, Kindergeschichten, Betrachtungen mit lebensphilosophischen Ansätzen, Verse und Reime, mitunter sogar ein Gedicht. Märchen, Liebesgeschichten, Abenteuergeschichten, Fantasy und Krimi, es ist alles möglich. Schon bei der Beurteilung der jeweiligen Genre ist Vorsicht geboten, wollte die Autorin tatsächlich ein Märchen schreiben oder meinte sie etwas anderes? Eine Fabel? Eine Parabel?
Ein Vergleich der Texte auf dieser Ebene ist kaum möglich, jeder steht für sich und beansprucht volle Aufmerksamkeit. Nur wofür?
Nähert man sich den reinen Texten, wird es noch gefährlicher. Mißt man sie mit Maßstäben der Literatur, zerstieben die aneinandergereihten Wörter wie frischer Pulverschnee auf der Fensterbank, wenn man darüberbläst. Gestalten? Einsatz von Sprache? Die Welt erkennen, etwas von ihren Mechanismen sichtbar machen? Ein neues Bild malen? Es ist zu bezweifeln, daß die Autorinnen solcher Texte je davon gehört haben.
Klopft man die Texte nach den Gedanken ab, die dahinterstecken, findet man viel Gefühl und viele Klischees. Banales, Belangloses zuhauf. Material für Tagebücher, Notizhefte und kleine Kladden mit Rosen auf dem Umschlag, die sich allesamt tief in Schreibtisch - und Nachttischschubladen wohlfühlen. Tageslicht ertragen sie nicht, eine Einsicht in die Sachlage, die ihren Besitzerinnen abgeht. Diese wollen ihre Gefühle äußern, das nehmen sie als Recht in Anspruch.
Und schon explodieren die Minen. Weist man auf die Banalität hin, heißt es, daß man gar nichts Anspruchsvolles schreiben wollte, es soll ja keine Literatur sein. Nennt man die Oberflächlichkeit, die unweigerlich entsteht, wenn jemand Gefühle nicht adäquat zu Papier zu bringen weiß, heißt es, Gefühle seien etwas Privates. Jede/r empfindet anders. Und hinter jedem Klischee steckt schließlich Wahres. Überhaupt trifft man jeden Tag auf Klischees.
Führt man Unvermögen in der Konstruktion und im Ablauf an, heißt es, es sei noch keine Meisterin vom Himmel gefallen. Warum soll immer alles perfekt sein? Überhaupt muß man dies und jenes gar nicht erklären, das versteht sich doch von selbst. Die Antwort darauf ist ein four-letter-word: nein.
Wortwahl, verwendete Sprache, Stil? Mangelndes Verständnis vom Metrum und Rhythmus, schlechte Reime, keine Musikalität, kein Ohr? Das ist kein Vergehen, denn die Freundinnengruppe hat sich gefreut über das ‚Gedicht’ und in der letzten Sonntagsbeilage der Tageszeitung war genau so eines abgedruckt. Als Schlimmstes dabei kann sich herausstellen, daß das wirklich so ist.
Das schrecklichste Argument, die Mine, die tatsächlich eine Welt zum Einsturz bringt, lautet, daß es doch nur Spaß machen soll. Daher ist schon das Bemühen zu loben, das jede/r allein dadurch zeigt, daß sie/er teilgenommen hat an diesem Wettbewerb. Also sind wir doch alle gleich?
Spätestens hier wird deutlich, daß alles die Schuld der Kritikerin ist. Anderen den Spaß verderben gehört zum Schlimmsten, was man heutzutage tun kann. Nicht die, die gegen Gesetze von Sprache verstoßen, nicht die, die mit Mühe von A nach B denken und dabei die beiden Buchstaben noch regelmäßig verwechseln, richten Schaden an. Was macht schon ein schlechter Text mehr aus? Was eine Amateurin mehr oder weniger?
Alles. Sie verstellen den Blick auf gute Texte, sie verwässern die Frage nach Qualität, sie halten Unerfahrene unerfahren und Unwissende dumm. Sie verhindern Entwicklung, sie setzen sich absolut, sie bauen an der Mauer des Nicht-Erkennen-Könnens. Ein guter Spaß.
‚Luftschlösser’ ist ein geradezu grausam passender Titel für eine Sammlung von Geschichten aus der Feder von AmateurInnen.
Lohnt sich diese Sammlung? Ja.
Sie ist erhellend für alle, die herausfinden wollen, was eigentlich ‚Literatur’ ausmacht. Die einen Standpunkt jenseits des ‚es soll Spaß machen und unterhalten’ finden wollen. Jede einzelne Beiträgerin und Beiträger hat nämlich gearbeitet an dem jeweils eigenen Text, was vorliegt ist kein Schnellausstoß derer, die reflexartig reagieren, wenn ihr Blick auf eine Tastatur fällt.
Herausgekommen sind von über 35 Texten zwei, die es wert sind, das man sie liest. Prisca Meyers ‚Luftschlösser’, und Stefanie Kießlings ‚Petz’ Traum, wegen der Umsetzung des Themas und dem ansatzweise gelungenen Versuch, originell zu gestalten. Nicht wenige Geschichten sind ‚nett’, versanden aber, weil sie viel zu nah am gegebenen Thema geblieben sind. Unablässig werden Luftschlösser gebaut in den Geschichten, aus Wolken, wie kann es anders sein. Am schwächsten sind die romantischen Geschichten, darunter unglücklicherweise auch die der beiden Herausgeberinnen.
Die Kindermärchen sind sehr schwach, die Autoren, überraschenderweise finden sich einige junge Männer in diesem Genre, sollten aufhören, sich jünger zu machen als ihr Publikum.
Die Qualität der Texte ist unabhängig vom Alter der AutorInnen, es findet sich Erstaunliches bei sehr jungen und höchst Banales bei älteren, die es eigentlich besser wissen sollten. Viel zuviele dieser Texte sind einfach mißlungene Versuche, Proben, Fingerübungen, notwendig, vielleicht. Für die Augen des Publikums sind sie nicht geeignet.
Aber daran ist natürlich wieder die Kritikerin schuld. Warum liest sie so etwas.
Würde sie rundum loben, hätte niemand etwas gegen sie einzuwenden.