'Das Haupt der Welt' - Seiten 600 - 708

  • Tugomir wurde vor die schwierige Entscheidung gestellt, entweder an der Seite seiner Slawen gemeinsam gegen Otto aufzubegehren, oder die Obodriten davon abzubringen, gegen Otto zu kämpfen und sie so gegen sich selbst aufzubringen. Durch diesen David/Goliath-mäßigen Kampf, der ein Gottesurteil darstellen soll! gelingt es ihm schließlich fürs Erste, alle von seinem Plan, Frieden zu halten, zu überzeugen. Und Egvina beschließt, nach Brandenburg überzusiedeln, außerdem erahnen wir so langsam, wo der gute Ruf der Königinmutter herkommt.


    Wer mir in diesem Abschnitt und in den vorigen mächtig auf den Senkel geht, ist Tuglo. Permanent muss der widersprechen und rummotzen, was für ein Ekel! :schlaeger

  • Es ist schwierig, etwas zu diesem Abschnitt zu schreiben; kein Wunder, daß es so wenig Leute getan haben. Die Erzählstränge driften jetzt doch sehr weit auseinander.


    Es gibt ein paar rührende Abschiede. Otto verpaßt dabei seinem toten Bruder Thankmar posthum noch eine schallende Ohrfeige, indem er dessen Prinzenkette einem slawischen Dorfhäuptling umhängt - zumindest bin ich ziemlich sicher, daß die Zeitgenossen das so erlebt hätten. Von der Symbolik, die darin liegt (die Kette symbolisiert die Rangstellung, darum hatte Thankmar sie ja in der Kirche abgelegt; Otto erklärt Tugomir hier praktisch zum Familienmitglied!) einmal ganz abgesehen. Das habe ich als ganz groben Schnitzer im Roman empfunden.

    Tugomir nimmt Dragomira, seine Alveradis, Widukind und die diversen Daleminzer mit auf die Brandenburg. Wo er sich mit seinem Neffen und dessen Partei anlegen muß. Der junge Dragomir stirbt, als er versucht, Tugomirs Freund Selema zu ermorden. Hier weicht Frau Gablé von der historischen Überlieferung der "Sachsengeschichte" ab. Soweit ich mich erinnere, hieß es dort, der heimgekehrte "Tugumir" habe seinen Neffen hinterrücks ermordet. Ich war gespannt auf diese Szene und ein bißchen enttäuscht, als sie nicht kam. Das hätte die Ähnlichkeit zwischen Tugomir und Otto - der Zweck heiligt die Mittel - vollendet. Aber ja, es wäre schwer zu erklären gewesen.


    Tugomir muß sich danach mit allerhand politischen Problemen auseinandersetzen - von dem Widerstand seines altes Lieblingsfeinds Gero bis hin zu Bündnisangeboten kampflustiger Nachbarstämme, die Ottos momentane Schwäche ausnutzen und Tugomir zum Aufstand gegen die Sachsen verleiten wollen. Unterbrochen werden diese Ereignisse durch gelegentliche Schauplatzwechsel und Abstecher ins fränkische Reich, wo Otto sich - weitgehend erfolglos - immer noch gegen die Aufrührer unter Hennings nomineller Führung wehren muß. Die Nachricht, daß Tugomir die aufständischen Slawen für den Moment beruhigen konnte, verschafft dem gestreßten König etwas Erleichterung im familiären Drama.


    Was mich ein wenig gestört hat: wie beiläufig im Roman von der Buchmalerei gesprochen wird. Das Illuminieren von Büchern war ganz sicher nichts, was einem Zehnjährigen mal so eben aus der Feder fließt, sondern ein Handwerk, das von der Pieke auf gelernt wurde und einer eigenen Bildsprache mit sehr strengen Regeln folgte. Auch wenn die Bilder für moderne Augen oft wie die von Kindern aussehen. Das sind dann die Details, bei denen ich mir denke: naja, so intensiv war die Beschäftigung mit der Zeit eben doch nicht. (Ist vermutlich für einen Roman aber auch nicht nötig. Ein anderes Beispiel weiter vorne im Buch war die Beschreibung irgendeines Hochzeitskleids aus "sattgrünem Leinen". Das war auch so ein "Huh!"-Moment. Meines Wissens gab es gar keine Möglichkeit, Leinen mit damaligen Methoden "sattgrün" zu färben - mattgrün vielleicht. Und Leinen wurde, unter anderem weil es sich so schwer färben läßt, meines Wissens vor allem für Unterwäsche verwendet.)


    Anderes Detail: Tugomir soll doch angeblich der rechtmäßige Erbe des Fürstenthrons sein. Darum muß Dragomir seinen Platz ja räumen. Gleichzeitig wird aber auch gesagt, bei den Hevellern gelte grundsätzlich das Erstgeburtsrecht. Das paßt doch nicht zusammen? Nach dem Erstgeburtsrecht wäre doch ganz klar Dragomir der rechtmäßige Erbe (erster Sohn des ersten Sohnes - Bolilut - von Tugomirs Vater)?

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Dass Tugomir der rechtmäßige Fürst sein soll, das habe ich wegen dem Erstgeburtsrecht auch nicht verstanden. Der erste Sohn vom toten Fürst sitzt doch auf dem Thron. :gruebel


    Dass Tugomir seinen Neffen nicht hinterrücks ermordet hat, hat mich gar nicht gestört. Widukind von Corvey war ja nicht dabei und hatte bestimmt jede Gelegenheit genutzt die heidnischen Slawen schlecht darzustellen, also, warum sollte es nicht so gewesen sein?

  • Och, wie es wirklich war, ist mir in einem Roman eigentlich auch egal. Und gerade Widukind merkt man ja extreme Abneigung gegen die Slawen an. Ich hatte an dieser Stelle nur etwas anderes erwartet und war schon ganz gespannt, wie die Autorin dieses Dilemma (positive Hauptfigur muß was ganz, ganz Gemeines tun) lösen würde. In was für eine Zwangslage Tugomir gebracht werden würde, um so zu handeln.


    Daß die Hauptfigur das Böse einfach nicht tut, ist natürlich die einfachste und leserfreundlichste Lösung. (Ich bin mir bei Tugomir noch immer nicht hundertprozentig sicher, ob ich ihn mag. Aber er ist mir in jedem Fall lieber als Robin aus dem "Lächeln der Fortuna", dem einzigen Gablé-Roman, den ich vorher gelesen hatte. Den konnte ich nicht ausstehen :rolleyes.)

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Zitat

    Original von Josefa



    Daß die Hauptfigur das Böse einfach nicht tut, ist natürlich die einfachste und leserfreundlichste Lösung. (Ich bin mir bei Tugomir noch immer nicht hundertprozentig sicher, ob ich ihn mag. Aber er ist mir in jedem Fall lieber als Robin aus dem "Lächeln der Fortuna", dem einzigen Gablé-Roman, den ich vorher gelesen hatte. Den konnte ich nicht ausstehen :rolleyes.)


    Robin finde ich auch von allen Hauptfiguren Gablés am wenigsten gelungen, der Kerl ist mir zu sehr "Gut-Mensch".