Eugen Ruge - Cabo de Gata

  • Titel: Cabo di Gata
    Autor: Eugen Ruge
    Verlag: Rowohlt
    Erschienen: Juni 2013
    Seitenzahl: 203
    ISBN-13: 978 3 498 05795 4
    Preis: 19.95 EUR



    Zum Inhalt:


    Ein Mann erinnert sich daran, wie er in seinen mittleren Jahren eine Krise durchlebte und im Winter aus Deutschland fortging. Er landete in dem kleinen Feriendorf Cabo de Gata in Andalusien, am Meer. Obwohl die Atmosphäre dort unbehaglich ist und er kaum Kontakt zu den wortkargen Bewohnern des Ortes bekommt, bleibt er dort, um zu schreiben.


    Meine Leseeindrücke:


    Es fällt mir nicht leicht, eine Rezension zu diesem Buch zu verfassen.
    Da ich dieses Buch im Rahmen einer Blindbuch-Kauf-Aktion erwarb, las ich den Klappentext und dachte: Oh je, ein frustrierter Mann auf Sinnsuche, das gab es schon so oft, das könnte öde werden. Dass es sich nicht um einen spannenden Roman handeln würde, war anzunehmen. Und richtig, der Autor Eugen Ruge lässt seinen Ich-Erzähler in lakonischem Erzählton über seine Krise und seinen Weggang aus Deutschland plaudern, in locker unverbundenen Kapiteln.
    Solche Bücher habe ich früher durchaus ernsthaft und brav gelesen, heute tue ich mir das nicht mehr oft an, aber der knochentrockene, teilweise griesgrämige, teilweise zynische Humor, den dieser Ich-Erzähler an den Tag legt, gefiel mir doch recht gut, so dass ich weiterlas. Es handelt sich um eine Art Humor, die von so manchem Leser gar nicht als Humor empfunden wird, wie etliche Rezensionen, die man bei amazon lesen kann, zeigen.
    Mir ging es so, dass ich immer wieder leise lachen musste, und obwohl vieles nur angerissen wurde, nichts in die Tiefe ging, alles irgendwie beliebig und fast schon belanglos zu sein schien, berührten mich manche Szenen plötzlich, überraschend. Andere ließen mich fühlen, wie fremd mir der Protagonist ist. Eugen Ruge schafft es, sehr diffizile Stimmungen in Worte zu fassen. Die Bilder entstehen sehr deutlich vor dem inneren Auge, ohne von Erklärungen zerstört zu werden. Und sogar tausendmal Beschriebenes - Sonne, Strand und Meer - bleibt in den Bildern, die Eugen Ruge beschreibt, wohltuend klischee- und kitschfrei. Immer wieder kamen Sätze oder Szenen vor, die mir so gefielen, dass ich sie mir beinahe herausgeschrieben hätte..


    Mir scheint, dies ist nicht nur ein Roman mit Anti-Held, sondern auch zugleich ein Anti-Roman, in dem der Autor sich die Freiheit nimmt, so zu schreiben, wie es ihm passt und sich nicht an die ungeschriebenen Regeln zu halten, die man gefälligst einzuhalten hat, will man als Autor Erfolg haben. Ein postmoderner Roman ist es nicht, sondern ein eigenwilliger, kleiner Roman.


    Etwas allerdings störte mich sehr: Am Anfang und über weite Teile des Romans wurde jeder Absatz mit den Worten "Ich erinnere mich..." eingeleitet. Dieser monotone Satz, manchmal leicht variiert, zieht sich durch das gesamte Buch, auch wenn das Schema, jeden Absatz damit einzuleiten, schließlich verlassen wird. Was zunächst noch als (recht ungelenkes) Experiment erscheint, ging mir schon nach kürzester Zeit so auf die Nerven, dass ich Lust bekam, das Buch an die Wand zu pfeffern. Doch zugleich hatte sich schon eine gewisse Neugier entwickelt, die mich ausharren und weiterlesen ließ.
    Die Stimmung des Ich-Erzählers, der von der Welt und seinem Leben angeödet ist, eine Krise durchmacht, sich ausgestoßen fühlt, sich in bitteren Gedanken ergeht und sich mit der deutschen Bürokratie herumschlägt, passt allerdings hervorragend zu diesem nervtötenden Ich-erinnere mich-Wiederholungszwang. Der Verschlossene, der keinerlei Gefühlsausbruch zulassen kann, lässt den Leser dieses Abgrundtief-genervt- von-allem-Sein spüren, so dass unmittelbar deutlich wird, warum er einfach weggehen m u s s.
    Auch nachdem der Anti-Held Peter Deutschland schon längst verlassen hat, findet er wenig Schönes: Er weiß auch nicht, wohin er will, überlässt es mehr oder weniger dem Zufall, landet schließlich in Cabo de Gata, einem verlassenen Ferienort am Meer - im Winter - und beginnt dort ein ebenso ödes Leben wie das, welches er hinter sich lassen wollte. In dem ärmlichen Fischerdorf ist im Winter nichts so, wie es in den Urlaubsprospekten Anadalusiens angekündigt wird. Und doch hatten die Beschreibungen der wenig reizvollen Häuser, des von Müll übersäten Strandes, der einfachen, oft wortkargen Menschen, ihren Reiz. Mir ging es so, dass ich an Urlaube erinnert wurde, in denen ich Ähnliches vorfand: die Kehrseite der schönen Urlaubsprospekte-Welt. Doch liegt in all dem Hässlichen manchmal auch eine gewisse Schönheit. Das karge Leben, das der Ich-Erzähler in seiner armseligen Unterkunft führt, wandelt sich ganz ganz langsam. Fast unmerklich gewöhnt er sich ein und gerät in eine etwas lebendigere und hellere Stimmungslage, in der er immerhin Kontakt zu einigen Touristen bekommt und die Einheimischen freundlicher zu werden scheinen. Und ich stellte fest, dass auch das nervige "Ich erinnere mich..." fast verschwunden war.
    Man schöpft Hoffnung, dass dieser einsame Schriftsteller, der nicht weiß, was er schreiben soll, langsam doch noch eine Entwicklung durchmacht, als eine kleine rotgetigerte Katze auf den Plan tritt.
    Doch dann...
    Nun ja, ich möchte das Ende natürlich nicht vorwegnehmen.


    Man kann diesen Roman als Psychogramm eines Vertreters einer Generation, die von den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieg stark geprägt ist, lesen. Sehr eindringlich deutlich wird das in den wenigen Seiten, die das Verhältnis Vater-Sohn zeigen und die mich an die bleierne Stimmung in deutschen Wohnzimmern erinnerten, die ich aus den 60er Jahren kenne.
    Eugen Ruge verzichtet auf tiefgehende Analysen, lässt stattdessen die Gedanken des Protagonisten im Ungefähren hängen oder zeigt sie in all ihrer Abstrusität. Hinter den ruhig erzählten Bildern, die so belanglos daherkommen, steckt sehr viel mehr. Doch dies erschließt sich dem geneigten Leser nur dann, wenn er es schafft, das Buch zu Ende zu lesen und sich die Zeit nimmt, noch ein wenig darüber nachzusinnen, so nebenbei. Mich erinnert die Ödnis und zutiefst versteckte, abgrundtiefe Traurigkeit zwischen den Zeilen ein kleines bisschen an die Stimmung in einigen Kurzgeschichten von Wolfgang Borchert.
    Anders als in Borcherts sehr verdichteten Texten, die auf knappstem Raum in starken Bildern das innere Elend der Menschen nach dem Krieg zeigen, wirken die Gedanken von Eugen Ruges' Antihelden eher wie zynisch gefärbte Randnotizen, Szenen und Tagebuchnotizen, die das innere Elend des Ich-Erzählers andeuten. In Ruges' Bildern sind Schmerz, Traurigkeit und Unglück schon längst eingetrocknet, ja, pulverisiert. In diesen Bildern, zeigt sich die Ausweglosigkeit der inneren Verkrustung eines stillen, unscheinbar wirkenden Mannes, der nicht aus seinen inneren Zwängen und seiner Verschlossenheit herauskommen kann, egal wie weit er flüchtet.


    Fazit:


    Wer einen spannenden Roman oder einen schönen und gefühlvollen Selbstfindungs- und Entwicklungsroman erwartet, in dem der Protagonist in die Ferne zieht, mit Neuem konfrontiert ist, daran innerlich wächst, so dass alles besser wird, der sollte diesen Roman gar nicht erst beginnen zu lesen.


    Wer die ehrliche, ironisch-bittere, illusions- und klischeefreie Skizze eines hoffnungslosen deutschen Mannes ertragen kann, wird hier einigen Stoff zum Nachdenken finden, der hinter der scheinbaren Belanglosigkeit versteckt und vom Leser selbst zu erschließen ist.


    7/10 Eulenpunkten gibt es von mir dafür.