Jenseits der Untiefen - Favel Parrett

  • Jenseits der Untiefen
    Favel Parrett
    Hoffmann und Campe
    HC mit 219 Seiten
    ISBN: 9783455404340


    Über die Autorin:
    Das Buch ist das Debüt der Australierin, die 1974 geboren wurde. Vorher hat sie einige Short Stories veröffentlicht.


    "Draußen, jenseits der Untiefen, jenseits der sandbödigen Buchten, kommt das dunkle Wasser - schwarz, kalt und tosend. dort rollt es die unsichtbaren Pfade aus. Die uralten Pfade nach Bruny oder die in südlicher Richtung, an den stillen Klippen vorbei, hinaus zu den Vogelinseln, die groß aufragen im Nichts aus Wasser und Himmel."


    Meine Rezi:
    In "Jenseit der Untiefen" begleiten wir einen Sommer lang die drei Brüder Joe, Miles und Harry. Der Vater, ein jähzorniger, gewalttätiger und verbitterter Mann schlägt sich als Fischer und Taucher durch's Leben. Allerdings wirft die Jagd nach Abalones kaum genug Geld ab, um die Familie zu ernähren. Oft genug besteht die tägliche Mahlzeit aus Kartoffeln und Milch. Und das Leben auf dem Boot ist gefährlich, die Taucher riskieren täglich ihr Leben und Haie und schlechtes Wetter setzen ihnen ständig zu. Die Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen und keiner in der Familie hat das bisher richtig verdaut.
    Die beiden älteren Jungs Joe und Miles müssen mit ran, obwohl sie beide die Arbeit auf dem Boot hassen. Der ältere Joe möchte so schnell wie möglich sein Glück woanders versuchen, Miles würde auch gern gehen, weiß aber, dass er Harry nicht allein beim Vater lassen kann. Harry hat Angst vor dem Wasser und ist zum Glück noch zu jung für die Arbeit auf dem Boot. So bleibt er den Sommer über allein im Ort und obwohl er das Haus nicht verlassen darf, freundet er sich mit dem missgestalteten George an.


    Das Buch liest sich einerseits etwas sperrig, die Sätze sind schnörkellos, kurz und prägnant und es gibt immer wieder Rückblicke in die Vergangenheit - von einem Satz in den Anderen, so dass man wirklich konzentriert lesen muss. Die Figuren werden auch nicht erzählend eingeführt, sondern führen sich quasi durch ihr Handeln selbst ein und es bleibt dem Leser überlassen, sie näher kennen zu lernen. Trotzdem entwickelt sich während des Lesens eine unglaublich intensive Atmosphäre, die kurzen Kapitel haben eine regelrechte Sogwirkung, so dass man nicht aufhören kann und immer weiter lesen muss. Man versinkt in dieser traurigen, melancholischen Welt und wird ein Teil von ihr. Lange hat mich kein Buch mehr so berührt wie dieses!


    Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass die Übersetzerin Antje Ravic Strubel hier großartige Arbeit geleistet haben muss. Ich kenne das Original nicht, aber wem es gelingt, Stimmungen so zu übertragen und so schöne Sätze zu finden, kann einfach nur großartig sein!

  • An Bord der "Lady Ida" schlackert die Arbeitskleidung wie ein riesiger Sack um Miles Körper. Nach dem Tod von Onkel Nick muss nun ein anderer Mann das Boot während der Tauchgänge nach Abalone-Muscheln auf Kurs halten und den erschöpften Tauchern bei ihrer Rückkehr vom Tauchen wieder an Bord helfen. Seit der älteste Sohn Joe sich mit der Familie überworfen hat, schuftet Miles auf dem Boot wie ein Erwachsener, obwohl die Arbeit für den mittleren der drei Curren-Brüder deutlich zu schwer ist. Ob sein Sohn die Schule versäumt, ist dem alten Curren gleichgültig. Curren hat Schulden und müsste in der Fischfabrik arbeiten, falls er den Unterhalt seines Bootes nicht mehr finanzieren kann. Harry, der jüngste Bruder, wird notgedrungen geschont, da ihm an Bord eines Schiffes sofort schlecht wird. Joe hat im Streit um das Haus, das sein Großvater bewusst seinem ältesten Enkel vermacht hat, mit der Familie und dem gewalttätigen Vater gebrochen. Mit seinem eigenen Boot will Joe nur noch fort aus Tasmanien. Ihm ist bewusst, dass die Arbeit an Bord und die Sorgen um den sensiblen Harry nun allein auf Miles lasten werden. Miles würde gern Tischler wie der Großvater werden, doch welches Leben Miles sich erträumt, steht in der prekären Situation der mutterlosen Familie nicht zur Debatte. Würde der mittlere Sohn fortgehen wie Joe, müsste Harry mit dem jähzornigen Vater allein bleiben. Zutiefst deprimierend wird allmählich deutlich, dass kein Familienmitglied es dem alten Curren recht machen kann, auch Miles nicht, wenn er eines Tages seinem Vater körperlich gewachsen sein wird. Von den drei Brüdern erfährt allein Harry - außerhalb seiner Familie - geringe Zuwendung.


    Die Untiefen in den Beziehungen dieser mutterlosen Familie skizziert Favel Parrett in knappen Worten. Mit den bedrückenden Passagen ihres Romans versöhnen stimmungsvolle Naturbeschreibungen und der glaubwürdige Ton, der die Situation der beiden jüngeren Brüder beschreibt. Parrett zeigt das Meer von seinen gegensätzlichen Seiten; als tödliche Gefahr, der der Vater sich bei jedem Tauchgang aussetzt und als Quelle unbegrenzten Vergnügens, wenn Joe und Miles unbeschwert gemeinsam surfen. Harry wird derweil auf der Suche nach einem Hai-Ei den Strand entlang geschickt; denn sowie er sich auf ein Surfbrett schwingen würde, würde ihm sofort schlecht!


    9 von 10 Punkten

  • Ich schließe mich Queedin an.


    Eindeutig eines der absoluten Highlights dieses Lesejahres!!


    Dieses zauberhafte Buch ist einfach nur ein Hammer.
    Wirklich, ich hatte zwar schon einiges Positives gehört, bevor ich mit dem Lesen begonnen habe, konnte mir aber nicht erklären, wie diese Geschichte, denn so toll sein könnte, wie sie mir geschildert wurde.
    Aber sie war es. Ich war von der ersten bis zur lezten Seite komplett gefangen in diesem Familiendrama, diesen Emotionen, die dem Leser so nahe gehen.
    Dabei wird fragementartig immer nur ein Teil der Geschichte erzählt, der Leser muß eigenständig denken, zusammensetzen, überlegen und darf seine eigenen Schlüsse ziehen, was hier nun passiert ist oder nicht passiert ist.
    Dabei wird der kleine Harry als absoluter Sympathieträger herausgestellt, man freut sich mit ihm über seine Überraschungstüten, man tollt mit ihm und dem Welpen Jake durch die Wiesen und dann erträgt man sehr viel Schreckliches mit ihm, während das Umfeld zwar sieht, was hier passiert, aber zu hilflos oder gehemmt ist, etwas zu ändern.


    Ein unheimlich bewegendes und berührendes Buch, das noch dazu an einem so wundervollen Ort spielt und so viele Dinge in sich vereint, die mich faszinieren.


    Ich bin wirklich wirklich begeistert, von der Intensität mit der die Autorin hier berichtet, trotz der verhältnismäßig geringen Seitenanzahl, taucht man hier im wahrsten Sinne des Wortes in eine so dichte und intensive Geschichte hinein, daß es mich schier mitgerissen hat.


    Wunderbar! Mehr davon!

  • Joe, Miles und Harry leben gemeinsam mit ihrem Vater in der Nähe der Küste. Der Vater verdient den Lebensunterhalt mehr schlecht als recht mit der Fischerei. Und so müssen sich die 3 Brüder oft selbst durchs Leben schlagen, denn ihr Vater kann weder für sie noch um sie sorgen.


    "Jenseits der Untiefen" ist der Debütroman von Favel Parrett und hat mich sehr berührt. Sowohl die Geschichte als auch die Sprache haben mich sehr berührt.


    Die Geschichte der 3 Brüder wird nicht unbedingt gradlinig oder offensichtlich erzählt. Viele Dinge werden zwar nur oberflächlich angekratzt, aber durch das poetische Erzählen entsteht eine ganz besondere Tiefe, die mich dazu gebracht hat länger über bestimmte Sätze nachzudenken.


    Zudem ist die gesamte Erzählung, auch wenn sie kurz zu nennen ist, mit sehr viel Gefühl und Traurigkeit behaftet. Diese besondere Mischung machen das Lesen von "Jenseits der Untiefen" zu einem besonderen Leseereignis.


    Fazit: ein aufwühlendes und poetisches Buch, welches den Leser auch nach dem Beenden noch nachdenken lässt.

  • Das Jahr ist noch nicht alt, aber ich habe jetzt schon ein Buch gelesen, das durchaus zu meinen Lesehighlights 2014 zählen wird. „Jenseits der Untiefen“ erzählt die Geschichte dreier Brüder (Harry, Joe und Miles), die nach dem Tod ihrer Mutter mit ihren Erinnerungen an ihren Unfall und leider auch mit ihrem gewalttätigen Vater leben müssen.


    Harry, der jüngste der Brüder, ist ein sehr empfindsames Kind. Er wird von Joe und Miles so gut es geht vor dem Vater beschützt. Doch dann beschließt Joe, die Familie zu verlassen. Harry hat in seinem Umfeld wenig zu lachen, doch er freut sich schon an Kleinigkeiten. Und so freut man sich als Leser mit ihm. Er sammelt Überraschungstüten, spendiert sie großzügig auch seinen Brüdern und seinem Freund, lernt George kennen, einen Einsiedler und dessen Hund Jake, bei denen er Zuflucht findet, ohne dass man ihm groß Fragen stellt. Überhaupt scheint niemanden so wirklich zu interessieren, woher die Verletzungen der Brüder stammen und was da im Hause so alles vor sich geht, wenn der Vater betrunken ist- das Umfeld scheint gleichgültig. Miles muss seit dem Tod seines Onkels Nick mit auf dem Boot des Vaters arbeiten, obwohl die Arbeit noch zu schwer für ihn ist. Den Vater interessiert nur der Gewinn, den er mit dem Fang machen kann, sein Sohn scheint ihm völlig egal zu sein.


    Es ist der Schreibstil, der so anrührt, der einen sofort für Harry und Miles einnimmt, die noch beim Vater wohnen müssen. Man spürt so viel ertragene Verletzungen, sieht hilflos zu, wie die beiden klaglos fast alles über sich ergehen lassen und spürt, ohne dass es auch nur irgendwie erwähnt wird, die nicht verheilten Wunden der Vergangenheit. Beide Brüder sind ungemein verletzlich und das liegt nicht nur an der Gewalt des Vaters, sondern auch an dem tödlichen Autounfall der Mutter, von dem nur in ganz kleinen Erinnerungsfetzen berichtet wird.


    Ich wüsste nicht, woran ich es festmachen könnte, dass dieses Buch so sehr berührt. Ein auktorialer Erzähler berichtet das Geschehen um die Familie. In manchen Büchern baut dieser Erzählstil eine gewisse Distanz zu den Figuren auf. Hier bewirkt er das Gegenteil. Man fühlt sich sofort nahe bei Harry und sieht die Welt mit seinen neugierigen Augen. Und die ganze Zeit liegt auf der Geschichte eine Traurigkeit, eine Ahnung von etwas Bedrohlichem, dass man um ihn fürchtet.


    Es ist nur ein dünnes Buch, aber es besitzt eine beeindruckende Tiefe und Intensität und es macht auf seinen wenigen Seiten deutlich, wie ausgeliefert Kinder ihren Eltern sein können, wie verletzlich und zerbrechlich eine Kinderseele ist.


    10 berührte Eulenpünktchen dafür

  • Ein Umschlagbild wie gemacht für heisse Sommertage. Das dunkle türkis mit dem Seepferdchen verheisst eine kühle Erfrischung im Meereswasser und erinnert an entspannte Urlaubstage an einem Strand. Der Handlungsort im tasmanischen Küstengebiet verspricht genau diese unbeschwerte Stimmung die wir uns in unserem Träumen vorstellen. Aber da wo die einen ihre Ferien verbringen müssen andere mit eintöniger Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Schnell wird man in die Handlung getragen und merkt, dass an diesem malerischen Ort etwas nicht stimmt. Die Brüder Joe, Miles und Harry leben vordergründig ein Leben frei von Sorgen mit tauchen, surfen und allerlei Strandgut sammeln. Blickt man aber hinter die Fassade, wird man in einen dunklen Strudel einer familiären Tragödie gezogen. Joe, der Älteste der Brüder, möchte unbedingt weg aus dem kleinen verschlafenen Ort. Miles arbeitet hart auf dem Fischerboot seines Vaters und kümmert sich liebevoll um den kleinen Harry. Die Mutter ist nicht mehr da, sie verstarb bei einem rätselhaften Verkehrsunfall. Die finanzielle Lage ist angespannt, das Boot bei der Bank verpfändet, und der Vater, sobald er alkoholisiert ist, unberechenbar. Die zwischenmenschlichen Spannungen laden sich gegenseitig auf bis sie sich in einem dramatischen Knall entladen…


    Die traurige Handlung wird erzählt in einer feinen, in sich ruhenden Prosa. Stilistisch gesehen eine karge Poesie mit vielen kleinen gefühlsbetonten Anspielungen die man als Leser erstmal bemerken und erfassen muss. Dabei wandelt die Autorin auf einer schmalen Gratwanderung bei der sie aufpassen muss, weder in eine einlullende Langweile noch in einen melodramatischen Kitsch abzustürzen. Dies gelingt ihr bemerkenswert gut.


    Es ist eine fragile Geschichte voller kalter Unterströmungen, wie Wasser das oberflächlich still wirkt und einem doch in die Tiefe zieht. Leise. Unaufhörlich. Konsequent. Mit hoher sprachlicher Sensibilität werden Realität und Erinnerungsspuren der Vergangenheit mit Wünschen und Ängsten verwoben und so entsteht ein aussergewöhnlich dichter Roman der mit seiner ruhigen Erzählweise über weite Strecken zu überzeugen vermag. Ich mag Kurzromane nicht besonders aber auf den knapp 220 Seiten wird erzählt, was es vom Leben zu erzählen gibt. Mehrere tragische Schicksale, irgendwo da draussen an den idyllischen Gestaden Tasmaniens, jenseits der gefährlichen Untiefen. Wertung: 8 oder 9 Eulenpunkte.



    * Das Buch habe ich vom Büchertauschtisch Eulentreffen März 2014. Vielen Dank der edlen Spenderin Eskalina. :kiss :knuddel