Ganze Tage im Café - Sólveig Jónsdóttir

  • Was sagen uns Cover, Titel und Klappentext?
    Wir haben es hier mit Frauenliteratur zu tun (laut Buchrückseite das Beste, was Frauenliteratur zu bieten hat), es scheint also um Frauen zu gehen, die ständig shoppen (das suggerierte mir zumindest das Cover) und der Titel legt nahe, dass sie ansonsten im Café rumhocken, um Frauenprobleme (Männer und Einkaufen) zu bequatschen.
    Das alles ruft eigentlich ganz laut "Chicklit"und das interessiert mich noch weniger als vegane Kochbücher oder historische Romane über vagabundierende Seifensiederinnen. Aber ich habe es gelesen, und auch wenn es für mich beim Bücherbingo unter der Rubrik „Ein Buch, vor dem ich mich fürchte“ firmiert, war es am Ende doch gar nicht so schlimm.


    Vorneweg: in diesem Roman werden allenfalls Milch oder Fischbuletten eingekauft und „ganze Tage im Café“ verbringt höchstens eine der Protagonistinnen, die, eher widerwillig, in eben jenem Café arbeitet.
    Es geht also um vier junge isländisch Frauen, die im modernen Reykjavik versuchen, ihr Leben zu meistern. Alle vier sind angeschlagen, wurden verlassen, mussten Verluste ertragen und sind an einem Punkt im Leben angelangt, an dem sich etwas ändern muss. Sie kennen sich nicht, sind aber verbunden über lose Bekanntschaften und zufällige Begegnungen.
    Silja, eine vom Schichtdienst gestresste Ärztin, erwischt ihren Mann inflagranti mit Karen, die mit Onenightstands und ausgiebig Alkohol ihre persönliche Katastrophe zu verdrängen versucht. Hervör, studierte Ökonomin und Kellnerin im titelgebenden Café, muss das Ende der Affaire mit ihrem ehemaligen Professor verkraften und Mia ihren Traum eines bürgerlichen Lebens mit Mann und einem Stall voller Kinder beerdigen.
    Wie sich die vier so langsam wieder aufrappeln, ist Thema dieses Buches. Natürlich ist das ziemlich leichte Unterhaltung, und tatsächlich geht es meist um Männer, genauer Ex-Männer und die Suche nach dem Prinzen. Dennoch sind die Probleme der Frauen doch etwas schwerwiegender als ein abgebrochener Absatz oder ein verpatztes Date.
    Natürlich steuert das alles über einige Umwege auf ein Happy End zu, auch wenn nicht jedes Töpfchen seinen Deckel findet und eigentlich auch offen bleibt, welcher Deckel auch langfristig passt.
    Das Ganze ist sprachlich recht ansprechend, mit einem guten Schuss Selbstironie, aber ich nehme an, das ist üblich in dem Genre. Der eine oder andere ernste Unterton verpasst der Geschichte zumindest ein kleines bisschen Tiefgang, auch wenn ich, anders als so manche amazon-Beurteilung, weit davon entfernt bin, dass Buch als negativ oder gar deprimierend zu bezeichnen.
    Gesundheitsbewusste Leserinnen dürften wohl auch mit dem modernen isländischen Lifestyle ihre Probleme haben: da wird schon ganz schön viel gesoffen, und wenn mal keinen Alkohol, dann Kaffee in rauen Mengen. Das allerdings scheint mir eine recht realistische Darstellung der Partyhauptstadt Reykjavik.


    Dennoch, Fan des Genres werde ich wohl nicht werden. Streckenweise ist das doch ganz schön kitschig und auch die Probleme der Damen sind nur bedingt auch meine. Wenn man den Tatsachen ins Auge blickt, bin ich wohl einfach zu alt für solche Bücher.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ich dachte mir, daß Du das anders siehst.
    :lache


    Ich brauche es demnach also nicht zu lesen.


    Danke übrigens für den Hinweis auf das Bücherbingo. Das habe ich gerade studiert.
    :rofl
    Ideen habt Ihr!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • ach ja, was ich vergaß zu erwähnen:
    trotz Dauerparty und häufig wechselnden Sexualpartnern kamen mir die Protagonistinnen doch sehr konservativ vor.
    Die suchen alle keinen Mann fürs Leben, sondern einen Ehemann. Und ein Kerl, der keinen Ring trägt, gilt von vorneherein als noch zu haben (weshalb die perfideren unter den Ehemännern den Ring abnehmen, bevor sie sich ins Nachtleben stürzen). Das kommt mir ähnlich modern vor wie die roten oder schwarzen Bommelhüte aus dem Schwarzwald. In meinem Umfeld tragen jedenfalls die wenigsten Eheleute, wir eingeschlossen, auch Ringe :gruebel

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Für Titel, Cover und Klappentext sollte jemand Strafe zahlen. Die sind rundum irreführend.


    Das Buch ist ein klassischer Frauenroman, angepaßt ans 21. Jahrhundert. Der Grundton ist tatsächlich melancholisch, die Atmosphäre trotz gewisser hellerer Momente insgesamt traurig. Die verschneite, hin und wieder leicht angetaute Stadt ist ganz wundervoll proträtiert, zwischen kuschelig und abweisend, aufnahmebereit und feindlich.
    Mit vier Protagonisitinnen ist es nicht leicht, eine passende Identifikationsfigur zu finden. Das wiederum hebt den Roman über den klassischen Frauenroman hinaus.
    Die vier Frauen sind ganz unterschiedlich, das macht den Handlungsverlauf sehr spannend. Es gibt immer etwas Neues zu entdecken.
    Schön fand ich auch das wiederkehrende Moment, daß bei den kurzen und zufälligen Begegnungen jede die andere völig falsch einschätzt, bzw. eigene Sehnsuchte in sie hineininterpretiert. Dieses Falschverstehen von Menschen ist auch einer der Gründe, warum die Beziehungen der vier so oft scheitern.
    Die Schwierigkeiten dieser Frauen schienen mir die vieler Frauen Ende zwanzig zu sein, zumindest ist die Autorin geschickt genug, sie so darzustellen, daß ich eben das beim Lesen annehmen mußte.


    Den immensen Kaffeekonsum fand ich beeindruckend, aber Kaffee scheint hier die Funktion von Lebenselixir zu haben, jedenfalls so lange, bis sich eine neue Chance auf Liebe (und Ehemann) eröffnet.


    Gestört hat mich, daß die Autorin zu viele Worte macht. Bis da mal eine im Auto sitzt, die Wohnung betreten hat oder ihren Pferdeschwanz gebunden, könnte man ein halbes neues Kapitel schreiben.


    Insgesamt eine positive Überraschung, es lohnt sich durchaus, Nachmittage mit diesem Roman zu verbringen.



    :wave



    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Kaffee wird in Island tatsächlich in rauen Mengen getrunken, auf dem Land womöglich noch mehr als in der Stadt.
    Das hat womöglich einen biologisch nachvollziehbaren Grund: Koffein hemmt den Abbau von Serotonin, einem Neurotransmitter, der u.a. für unser seelisches Wohlbefinden verantwortlich ist. Serotonin wird in Abhängigkeit vom Tageslicht gebildet und somit ist es in einem Land, in dem es im Winter kaum hell wird, sinnvoll, seinen Abbau durch Kaffeekonsum hinauszuzögern. Immerhin trinken auch die anderen Skandinavier deutlich mehr Kaffee als zum Beispiel Südeuropäer.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)