Der Komet - Hannes Stein

  • Klappentext:
    »I bin doch ned deppat, i fohr wieder z’haus«, sagt der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo, wo gerade jemand versucht hat, eine Bombe auf ihn zu werfen. Das hat natürlich Folgen: Der Erste Weltkrieg fällt aus! Wien ist und bleibt der Nabel der Welt. Hier, in der Hauptstadt des Vielvölkerreichs, dieser Stadt voller Juden, Psychoanalytiker und Wiener Schmäh, spielt Hannes Steins erster Roman.


    Autor:
    Hannes Stein, geboren 1965 in München, aufgewachsen in Salzburg. Er ist Publizist. In Berlin schrieb er für die Frankfurter Allgemeine Zeitung , den Spiegel und Die Literarische Welt . Im Sommer 2007 ist er nach New York ausgewandert, wo er als Journalist und Autor lebt.


    Meine Meinung:
    Ein wundervolles Buch. Und das im wahrsten Sinne des Wortes - ein Buch voller Wunder, voller wundersamer Ereignisse, voller wunderschöner Sprache.


    Nur eine kleine Entscheidung, eine kleine Änderung und die ganze Welt sieht anders aus. Erzherzog Franz Ferdinand, Thronfolger des greisen Franz-Joseph von Österreich-Ungarn, entscheidet sich nach einem mißglückten Attentat in Sarajevo, sofort nach Hause zu fahren. Damit hat seine Reise nicht die bekannten Folgen: Er wird nicht später am Tage erschossen, Österreich-Ungarn erklärt Serbien nicht den Krieg, der erste Weltkrieg findet nicht statt, ebensowenig die Revolution in Russland oder die Nazi-Herrschaft, auch die Kolonien wurden nie in die Unabhängigkeit entlassen. Das Buch spielt im Wien der Jahre 1999/2000 - Wien ist zumindest aus österreichisch-ungarischer Sicht der Nabel der Welt, die Hohenzollern gelten als Emporkömmlinge (sie sitzen ja gerade mal gut 100 Jahre auf dem Kaiserthron), das russische Zarenreich gilt als hoffnungslos rückständig, ebenso die Vereinigten Staaten von Amerika. Kurz: Alles könnte so schön sein, wäre da nicht ein Komet, der unaufhaltsam auf die Erde zusteuert.


    Der Autor schafft es mit Schreibstil und Sprache, diese nie untergegangene k.u.k.-Monarchie erlebbar zu machen. Er vermeidet z.B. praktisch alle Anglizismen (alle bedeutenden neueren Erfindungen kommen vom europäischen Festland). Außerdem erzählt er die eigentlich recht rasante Geschichte mit einer Gemütlichkeit, daß man sich direkt in ein Wiener Cafehaus der Jahrhundertwende versetzt fühlt.


    Ein besonderes Highlight war für mich die Schlafzimmerszene. Ansonsten in Romanen für mich zumeist eher ein Ärgernis, fand ich sie in diesem Buch einfach nur genial umgesetzt.


    Besonders hilfreich: Viele Stellen des Buches sind mit einem Sternchen gekennzeichnet - hier wird dann im Glossar am Ende des Buches erklärt, was mit den Orten oder Personen in unserer Realität verbunden ist.


    "Der Komet" hat mich von vorn bis hinten begeistert - absolute Leseempfehlung, volle Punktzahl.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Die Idee ist ja nicht ganz neu. Mir ist spontan "Vaterland" eingefallen.


    Jedenfalls hat mich deine Buchvorstellung neugierig gemacht und habe die Rezensionen bei amazon durchgeschaut. Da scheiden sich die Geistern ja ganz gewaltig. Perle oder miserable Umsetzung!
    Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Österreicher das Buch besser bewerten. Liegt das am anderen Humor oder haben die einfach einen besseren Bezug zu dieser Geschichte?

  • Zitat

    Original von made
    Die Idee ist ja nicht ganz neu. Mir ist spontan "Vaterland" eingefallen.


    Jedenfalls hat mich deine Buchvorstellung neugierig gemacht und habe die Rezensionen bei amazon durchgeschaut. Da scheiden sich die Geistern ja ganz gewaltig. Perle oder miserable Umsetzung!


    Ich denke, es kommt auf die Erwartung an das Buch an. Wenn Du ein Buch wie "Vaterland" erwartest, wird Dich die Umsetzung bestimmt enttäuschen - "Vaterland" ist ein Thriller, den ich persönlich extrem spannend und mitreißend fand. "Der Komet" hat zwar zumindest was den titelgebenden Teil betrifft, eine recht dramatische Geschichte (nicht weniger als der Weltuntergang steht bevor!), ist aber in keiner Weise 'spannend' im Sinne eines Thrillers. Die "Öffentlichkeit" erfährt vom Kometen auch erst im letzten Drittel des Buches (auch da haben sicher einige aufgrund des Titels viel mehr erwartet). Vorher ist das Buch einfach eine Beschreibung, wie das ganz normale Leben im heutigen Wien sein könnte, wenn die k.u.k.-Monarchie noch bestünde, es die Weltkriege und weitere Ereignisse wie die russische Revolution nicht gegeben hätte. Und das hat der Autor meines Erachtens hervorragend umgesetzt.


    Zitat

    Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Österreicher das Buch besser bewerten. Liegt das am anderen Humor oder haben die einfach einen besseren Bezug zu dieser Geschichte?


    Ich als Norddeutscher fand das Buch großartig und in Sachen Humor war es genau mein Ding. Ja, möglicherweise gefällt es jemandem, der Wien kennt (ich war noch nie dort, kenne es nur aus Romanen), wegen der bekannten Umgebung noch besser. Auch über die k.u.k.-Monarchie ist ja in der deutschen Öffentlichkeit recht wenig bekannt, das interessiert die Österreicher natürlich mehr. Vielleicht liegt es aber auch am Schreibstil, der mich (ich war noch nie in Österreich!) wie ja schon geschrieben, sehr an die gemächliche Lebensweise in Wiener Kaffeehäusern erinnert.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Also jetzt habe ich das Buch auch gelesen.


    Die Frage, was passiert wäre, wenn das Attentat von Sarajevo nicht gelungen wäre, ist sicher interessant. Doch dass dadurch weder die beiden Weltkriege noch die Gräuel des Nationalsozialismus stattgefundenen hätten und überhaupt der Krieg abgeschafft ist, ist doch eine reichlich naive Sicht auf die Weltgeschichte.


    Natürlich wollte Hannes Stein keine wissenschaftliche Abhandlung zu diesem Thema abliefern, sondern auf lockere Weise dem Leser Denkanregungen bieten und ein Plädoyer für Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen halten. Leider hat er bei mir nicht mehr erreicht, als das Bild einer leicht modernisierten K.u. K. Monarchie mit Heile-Welt Kaffeehaus-Flair.


    Ich hatte den Eindruck, dass der Autor viel zuviel in das Buch packen wollte. Neben der Was-wäre-wenn-Frage gibt es biographische und geschichtliche Informationen, eine Liebesaffäre, eine Mondreise, eine Diskussion zum Thema Zufall, einen bevorstehenden Weltuntergang, der nicht viel mehr als etwas Melancholie ("schad drum") auslöst. Verschiedenste Personen tauchen auf und ab und am Ende wieder auf. Bei manchen fragt man sich, wozu. Und das alles auf ca. 260 locker bedruckten Seiten. Vieles begann sehr viel versprechend, doch dann fühlte ich mich sitzen gelassen.


    Dennoch hat mich das Buch auch amüsiert mit seinen herrlichen deutschen Wortschöpfungen für technische Erfindungen und treffenden Beschreibungen, gerne mal überspitzt.
    Die häufig verwendeten österreichischen Ausdrücke dagegen wirkten auf mich oft aufgesetzt.